Asien
Mahbubani prophezeit das Ende der westlichen Vorherrschaft - und schießt über das Ziel hinaus
Die Moderne begann für Kishore Mahbubani mit einer Toilette mit Wasserspülung. Später kamen ein Fernseher, ein Kühlschrank, ein Telefon hinzu. In "Die Rückkehr Asiens. Das Ende der westlichen Dominanz" erzählt der Intellektuelle aus Singapur, wie die Errungenschaften westlicher Technologie-Vorherrschaft in seinem Leben ankamen, wie er fasziniert den amerikanischen Luxus bestaunte.
Heute sieht er ganz Asien auf dem "Marsch in die Moderne" - eine Entwicklung, die seiner Meinung nach an Ausmaß die Industrielle Revolution übertrifft. Zur Moderne gehören für ihn aber noch andere "westliche" Importe: zum Beispiel das Gefühl, sein Leben selbst gestalten zu können. Auch freie Marktwirtschaft, Wissenschaft, Bildung und der Rechtsstaat gehören zu den Grundfesten "westlicher Weisheit", die die Asiaten laut Mahbubani übernehmen müssen, um langfristig erfolgreich zu sein.
Mahbubani, der 33 Jahre in Singapurs diplomatischem Dienst war und heute die Lee Kuan Yew School of Public Policy an der National University of Singapore leitet, schätzt die westlichen Werte - und ist gleichzeitig ein scharfer Kritiker des Westens. Die Kernthese seines neuesten Werks: Die Vorherrschaft des Westens geht zu Ende. Asien, insbesondere Indien und China, gewinnt an Bedeutung. Das ist eine gute Entwicklung, denn dadurch wird die Welt gerechter, friedlicher und stabiler. Der Westen sollte sich freuen, dass sich seine technischen und ideologischen Errungenschaften so stark durchgesetzt haben, und die Macht bereitwillig abgeben.
Mahbubanis Aufteilung der Welt in Ost und West ist grob vereinfachend, seine Schwarz-Weiß-Malerei oft ärgerlich. Nicht nur, dass "der Westen" in Wirklichkeit eine Vielzahl von Positionen enthält und allein innerhalb der Europäischen Union sehr unterschiedliche Kulturen und Interessen unter einen Hut gebracht werden müssen. Auch sein "Asien" ist ein Konstrukt. Indien und China haben wenig mehr gemein, als dass beide auf dieser riesigen Landmasse liegen. Zwischen ihnen alleine gibt es genug Konfliktpotenzial, ganz abgesehen von den diversen anderen Krisenherden in der Region.
Mahbubani wirft dem Westen Arroganz und Inkompetenz vor. Arroganz im Auftreten gegenüber dem Rest der Welt, Arroganz schon in der Annahme, 900 Millionen Menschen aus dem Westen könnten über die übrigen 5,6 Milliarden Menschen auf der Welt bestimmen. Arroganz sieht er insbesondere bei den USA, wenn sie den Vereinten Nationen ihren Willen aufzwingen oder Beschlüsse ignoriert. Als Beispiele werden der Einmarsch in den Irak genannt sowie die Forderung nach Immunität für US-Soldaten vor dem Internationen Strafgerichtshof. Dadurch, so Mahbubani, verlören nicht nur die USA, sondern auch die UN ihre Legitimation in den Augen der Welt.
Hinzu komme Inkompetenz in globalen Fragen. Ob Naher Osten, Freihandel, Erderwärmung, nukleare Abrüstung, Verhältnis zum Iran - laut Mahbubani hat der Westen in all diesen Bereichen versagt. So sei der Atomwaffensperrvertrag im Geiste tot und Amerika hätte als größter Vertragsverletzer den ersten Nagel in den Sarg geschlagen. Beim Thema globale Erwärmung wären Indien und China bereit, ihre Verantwortung anzuerkennen - die USA dagegen würden bremsen. Dass mit dem Iran kein Dialog zustande käme, liege nicht nur an Teherans, sondern auch an Washingtons mangelnder Bereitschaft.
Ein Großteil von Mahbubanis Kritik bezieht sich auf Amerika. Aber auch die EU bekommt ihren Teil ab: Sie sei zu sehr mit sich selbst beschäftigt. Alle Energie würde in den Integrationsprozess gesteckt. Die EU hätte es nicht geschafft, ihren Nachbarn Frieden und Wohlstand zu bringen. Sowohl auf dem Balkan als auch in Nordafrika und im Nahen Osten sei sie damit gescheitert. Statt einer langfristigen außenpolitischen Strategie für Europa ständen die kurzfristigen Ziele einzelner Staaten im Vordergrund.
Dagegen bekommt Chinas Außenpolitik unverhältnismäßig viel Lob. So vergleicht der Autor das Verhältnis EU-Türkei mit dem Verhältnis Chinas zu den zehn Mitgliedsstaaten im Verband Südostasiatischer Nationen (ASEAN). Im Gegensatz zur EU hätte China es geschafft, zu seinen Nachbarn eine konstruktive, langfristige Beziehung aufzubauen. Ein besonders geschickter Schachzug sei dabei ein Freihandelsabkommen mit allen ASEAN-Staaten gewesen. Durch Entwicklungshilfe für Afrika und Südamerika, die angeblich ohne Bedingungen komme, würde China seinen geopolitischen Einfluss weiter ausbauen.
Mahbubani lobt den Pragmatismus asiatischer Länder, von dem der Westen lernen solle. So habe China nie die diplomatischen Beziehungen zu Nordkorea abgebrochen - und dadurch im Atomkonflikt mehr erreicht als der Westen mit Iran. Pragmatismus heißt bei Mahbubani: sich von Ideologie verabschieden. Unter Ideologie fallen bei ihm Konzepte wie Demokratie, Menschenrechte und Meinungsfreiheit. Kein Wunder: Sein Heimatland Singapur hat gezeigt, dass man den Kapitalismus erfolgreich ohne politische Freiheit einführen kann. China nimmt sich Singapur zum Vorbild - und Deng Xiaoping, der für das Tiananmen-Massaker mitverantwortlich war, wird von Mahbubani als Vorbild-Pragmatiker präsentiert. Freiheit ist relativ, findet der Autor. Über Menschenrechte kann man später reden. Das Wasserklosett ist erst mal wichtiger.
Die Rückkehr Asiens. Das Ende der westlichen Dominanz.
Propyläen Verlag, Berlin 2008; 334 S., 22,90 ¤