NOBUO TANAKA
Der Chef der Internationalen Energieagentur (IEA) über Ölpreise, G20-Treffen, die Politik des neuen US-Präsidenten Obama sowie die gedrosselten Investitionen der Ölkonzerne und deren Folgen
Herr Tanaka im Juli 2008 sagten Sie: "Wir erleben eindeutig einen dritten Öl-schock." Kurz darauf fiel der Ölpreis bis auf 40 Dollar. Haben Sie sich getäuscht?
Wir machen prinzipiell keine Vorhersagen über den Ölpreis. Insofern können wir auch keinen Fehler begangen haben. Aber es stimmt: Hätte ich das vorhergesehen, wäre ich wohl ein Held geworden.
Die Investmentbank Merrill Lynch erwartet einen Ölpreis von 25 Dollar.
Der Markt übertreibt immer, das hat mit Spekulation zu tun. Ob der Preis wirklich so tief fällt, kann ich nicht sagen. Andererseits gibt ein Preis von 40 Dollar auch Luft zum Atmen und könnte die Nachfrage ankurbeln, zum Beispiel in China oder Indien. Weltweit wird die Wirtschaft wohl 2010 wieder anfangen zu wachsen. Die Öl-Nachfrage könnte dann wieder steigen.
Es kann aber auch anders kommen. Was macht Prognosen so schwierig?
Das liegt auch daran, dass wir zum Beispiel von China und Indien keine Angaben haben, wie groß deren Öl-Reserven sind.
Und die Opec sagt Ihnen nicht, wie viele Öl-Vorräte sie hat. Oder sind die Angaben des Kartells verlässlich?
Was den Export betrifft ja. Aus den Daten zu Förderkapazitäten und Vorräten müssen wir unsere eigenen Rückschlüsse ziehen.
Führende Vertreter der Mineralölin-dustrie behaupten, der Höhepunkt der Ölförderung sei erreicht und die Tagesproduktion werde nie wieder 89 Millionen Barrel überschreiten. Ihre Organisation sprach noch vor drei Jahren von 130 Mil-lionen Barrel im Jahr 2025.
Wir haben die Prognose jetzt für 2030 auf 104 Millionen Barrel gesenkt.
Wem soll man glauben?
Man muss genau hinhören: Unsere Prognose entspricht einem Business-as-usual-Szenario, wir nennen es auch das Referenz-Szenario. Das heißt, wenn keine zusätzlichen Maßnahmen gegen den Klimawandel ergriffen werden und die CO2-Emissionen weiter steil ansteigen. Dieses Szenario führt uns am Ende dieses Jahrhunderts zu einem Anstieg der Erdwärme um sechs Grad Celsius. Das wäre ein Desaster. Wir hoffen, dass diese Entwicklung nicht eintritt. Die alternativen Szenarien gehen hingegen von einer Verringerung der Emissionen um mindestens ein Drittel bis 2030 aus, was einen globalen Temperaturanstieg von zwei bis drei Grad zur Folge hätte. Unter dieser Voraussetzung erwarten auch wir eine tägliche Ölfördermenge von bis zu 90 Millionen Barrel. Aber selbst das setzt voraus, dass die Ölgesellschaften wegen des Rückgangs der Fördermenge aus den bestehenden Ölfeldern neue Ölfelder erschließen oder den Rückgang mit Gas kompensieren.
Derzeit kürzen die großen Ölgesell-schaften aber ihre Investitionen. Folglich wird das Gewicht der Opec noch größer. Wie kann man in Zukunft die Abhängigkeit vom Öl und damit von der Opec verringern?
Das ist eine zentrale Frage für unsere Energiesicherheit. Es stimmt, dass das Gewicht der Opec zunehmen wird, selbst wenn wir unseren Ölverbrauch senken. Wir prophezeien, dass 2013 ein Engpass bei der Ölversorgung eintreten könnte.
Sie warnen vor einer weiteren Krise, die noch früher eintreten könnte, wenn die Nachfrage ab 2010 besonders stark anzieht?
Ja, dann könnten wir auf eine neue Wirt-schaftskrise zusteuern, deren Ausmaß die gegenwärtige übertreffen könnte.
Der Ölpreis könnte explodieren, die Volkswirtschaften überhitzen und die In-flation steigen?
Das wäre möglich. Deswegen mahnen wir die Ölgesellschaften zu investieren.
Hören die Konzerne auf Sie?
Ja, aber ob ich sie überzeugen kann, ist eine andere Frage.
Haben die Firmen derzeit überhaupt das Geld für Investitionen?
Die großen Konzerne ja.
Sind die G20-Treffen eine Gelegenheit auf die Gefahr hinzuweisen?
Da geht es um den Finanzmarkt. Wir wol-len grundsätzlich dazu beitragen, dass die Konjunkturpakete für den ökologischen Wandel verwandt werden. Wenn sich die Staats- und Regierungschefs der führenden acht Industrienationen im Mai wieder treffen, wollen wir vor den Folgen der fehlenden Investitionen im Energiebereich warnen.
Gehen die Investitionen in erneuerbare Energien und in Kernenergie auch zurück?
Ja, leider ist das der Fall. Und es ist besonders bedauerlich, weil das Klima darunter leiden wird. Unsere Botschaft für den G20-Gipfel war deswegen: Ja zu kurzfristigen Programmen, aber bitte den langfristigen ökologischen Wandel im Auge behalten.
Sollten die G20 nicht auch über eine Bandbreite nachdenken, innerhalb derer der Ölpreis schwanken kann. So könnte man das Auf und Ab des Preises eindämmen, was den Volkswirtschaften weltweit gut täte.
Solche Ideen gibt es seit langem. Ursprünglich war das mal der Wunsch der Opec. Sie wollte so den Preis über die Produktionsmenge kontrollieren, scheiterte aber. Der Markt ist nicht kontrollierbar, nicht mal von der Opec.
Aber die starken Schwankungen nutzen kaum jemanden.
Stimmt, irgendeine Regulierung des Mark-tes wäre wünschenswert.
Wie könnte diese aussehen?
Wir brauchen mehr Kennziffern, mehr Transparenz, eine größere Koordination der Regulierungsbehörden zum Beispiel für Future- und Optionsmärkte an den Börsen. Wir bräuchten auch mehr Informationen darüber, wer was kauft. Das gilt vor allem für China und Indien.
Am deutlichsten raten Sie den OECD-Ländern aber zu einem neuen Energie-Mix und der Abkehr vom Öl.
Die IEA rät vor allem zu einer größeren Energieeffizienz. Das heißt, die Regierungen sollten die Konsumenten dazu anhalten, Energie so zielgenau wie möglich zu verbrauchen.
Reicht eine verringerte Verschwen-dung von Energie aus, um eine Halbierung des CO2-Ausstoßes bis 2050 zu erreichen?
Nein, dazu muss die Hälfte der Energie aus erneuerbaren Ressourcen kommen wie Wind, Wasser, Sonne. Ein Viertel müsste aus der Atomkraft kommen. Und bei einem weiteren Viertel muss der CO2 Ausstoß eliminiert werden, indem das CO2 unter der Erde gespeichert wird.
Thema Versorgungssicherheit: Sollten die OECD-Länder ihre nationalen Gasreserven aufstocken?
Deutschland, die Niederlande und einige osteuropäische Länder tun dies bereits. Grundsätzlich ist aber ein ausgewogener Energie-Mix ratsam. Zudem sollten sich die Europäer zusammentun, ein gemeinsames Energienetz aufbauen und gegenüber Exportländern mit einer Stimme sprechen.
Wie sollte die EU gegenüber Iran auftreten?
Wir würden es begrüßen, wenn sich das Verhältnis des Westens zu Iran entspannt und Investitionen dort möglich werden. Auch hier geht es um den effizienten Einsatz von Energie. Iran verschwendet derzeit sein Gas und könnte es stattdessen verkaufen.
Kann der neue US-Präsident Barack Obama mit seinen Initiativen da den Wandel bringen?
Das hoffe ich. Aufeinander zu bewegen, müssen sich aber beide Seiten.
Hilft die Wahl Obamas auf dem Weg, den Klimawandel zu bremsen?
Obamas Green New Deal ist ein erster Schritt, dem weitere folgen müssen.
Das Interview führte Michael Kläsgen.
Er ist Wirtschaftskorrespondent der "Süddeutschen Zeitung" in Paris.