FINANZKLEMME
Andreas Möhlenkamp, Geschäftsführer des Verbandes der Stahlverarbeitung, klagt: Das Geld aus den Konjunkturpaketen kommt nicht im Mittelstand an. Ein Standpunkt
Wie die Zeiten sich ändern. Noch vor kurzem hieß es: "Die internationale Rohstoffkrise verheizt den Mittelstand". Im Jahr 2005 explodierten die Preise für Eisenerz, Koks und Stahl zum ersten Mal. Mehr als 150 Prozent Preisanstieg, im vergangenen Jahr weitere 100 Prozent. Rekord. Viele Hersteller taten sich schwer, ihre Kunden von diesen Kostensteigerungen zu überzeugen. Mehr noch. Plötzlich stellte sich die Frage, ob Roh- und Werkstoffe überhaupt in ausreichendem Maße verfügbar sind.
Die Bundesregierung setzte 2007 eine interministerielle Arbeitsgruppe Rohstoffe ein. Alle Politikbereiche sollten sich des Querschnittsthemas annehmen. Die EU-Kommission legte im vergangenen Jahr nach mit einer Strategie für nichtenergetische Rohstoffe. Aber wer redet heute noch über Rohstoffe? Hat sich mit dem Konjunktureinbruch das Problem erledigt?
Nein, die Herausforderungen haben sich - kurzfristig und heftig - verschoben. Zwar purzelten mit dem abrupten Ende der Konjunktur im Herbst 2008 und mit dem dramatischen Rückgang der Aufträge seit Oktober auch die Preise für Rohstoffe und Stahl. Inzwischen ist fast überall das Niveau von 2004 erreicht. Die Lager im Stahlhandel sind voll, die Verfügbarkeit kein Problem.
Zugleich mussten die mittelständischen Stahlverarbeiter aber auch ihr eigenes Warenlager abwerten. Wer im September noch Material eingekauft hatte, um seine Kunden beliefern zu können, der wurde das Material zwei Wochen später nicht mehr los - und wenn doch, dann nur zur Hälfte des Einkaufspreises.
Zwar haben die meisten Unternehmen spätestens im Dezember reagiert: alle Kosten gesenkt, mit Vormateriallieferanten gesprochen, Leiharbeitskräfte freigesetzt, Zeitarbeitskonten abgebaut, Kurzarbeit angemeldet, Materialdurchlaufzeiten reduziert und das Warenlager heruntergefahren. Die Stammbelegschaft ist zunächst geblieben, in der Hoffnung auf ein schnelles Ende der Talfahrt. Die Verluste wachsen weiter - trotz aller Anstrengungen der Unternehmer im Mittelstand. Darum ist schon heute die Liquidität - und nicht mehr das Material - der entscheidende Rohstoff in den Unternehmen. Auch, weil viele Warenkreditversicherer, die das Ausfallrisiko für Warenlieferungen absichern, die Versicherungsgrenzen für Warenlieferungen gekürzt oder ganz gestrichen haben. Das Risiko, dass der Kunde am Ende des vereinbarten Zahlungsziels die Ware nicht bezahlen kann, verbleibt dann voll beim Zulieferer. Dieser muss Vorkasse verlangen, wenn er nicht selbst Zahlungsausfälle riskieren will. Aber Vorkasse können sich die meisten Kunden, gerade aus der Automobilindustrie, nicht leisten.
Der Rohstoff Liquidität wird - nur scheinbar paradox - noch wichtiger, wenn die Aufträge bald wieder anziehen sollten. Denn dann muss das Vormaterial zur Erfüllung der Aufträge vorfinanziert werden. Das Eigenkapital der Unternehmen wird aufgebraucht sein, ebenso die Sicherheiten. Banken müssen Betriebsmittelkredite dann allein auf die Ertragschancen der Unternehmen hin gewähren.
Die Politik hat bisher insgesamt richtig reagiert. Mit Pragmatismus und einem besonnenen Blick für das Wesentliche. Nach der Stabilisierung des Bankensektors sollen die Konjunkturpakete I und II Unternehmen mit guten Marktchancen die Liquidität sichern. 100 Milliarden Euro sind ein Wort.
Aber an der Umsetzung hapert es noch. Das Geld kommt beim Mittelstand nicht an. Zu zögerlich ist die KfW, über die das Programm abgewickelt wird. Auch die Hausbanken wagen es kaum, die Krise beim Schopf zu packen. Die Bonitätsprüfungen sind zu streng, treiben die Zinsen in die Höhe und bringen selbst gute Unternehmen an die Grenze der Kreditfähigkeit. Hilfreicher sind viele Landesbürgschaftsprogramme. Die Prüfung von Krisensituationen ist dort Routine, der Blick für Risiko und Chance geschulter. Darum muss nun noch das KfW-Programm mit den Landesbürgschaftsprogrammen verzahnt werden, um in schwieriger Zeit Unternehmen mit überzeugenden Geschäftsmodellen und guter Struktur durch die Krise zu helfen.
Zum Schluss: Nach der Schwächephase wird das nächste Hoch kommen. Bis dahin muss es gelingen, die Strukturen in den Märkten zu stärken. Auch mit Zusammenschlüssen im Mittelstand. Dann wird bald der Rohstoff Liquidität wieder leichter fließen. Und die metallischen Rohstoffe sowie Stahl und Energie werden wieder knapp und teuer. Dann haben auch die guten rohstoffpolitischen Maßnahmen der vergangenen Jahre wieder Konjunktur. Alles hat seine Zeit.
Dr. Andreas Möhlenkamp ist Hauptgeschäftsführer des WSM Wirtschaftsverbands Stahl- und Metallverarbeitung