BIOKRAFTSTOFFE
Die CO2-Bilanz stimmt bisher nicht
Biokraftstoff klingt nach umweltfreundlichem Autofahren, nach gutem Gewissen für Mann oder Frau am Steuer. Wenn Autos weniger aus Mineralöl hergestelltes Benzin oder Diesel durch den Auspuff jagen, werden auch weniger schädliche Klimagase wie Kohlendioxid in die Luft geblasen. Außerdem muss dann weniger Erdöl eingeführt werden, was bei einer Importquote von 80 Prozent in Deutschland die Abhängigkeit von ausländischen Lieferanten verringert. Doch sind Biokraftstoffe tatsächlich die Antwort auf die Frage, wie machen wir uns unabhängiger vom Erdöl?
Für Umweltverbände und Ernährungsexperten steht die Antwort fest. Sie wettern unisono gegen jede Förderpolitik und stellen positive Wirkungen mit Blick auf größere Unabhängigkeit von ausländischen Öllieferanten wie auch auf den Klimaschutz in Abrede. Sie sprechen gar von einer "Klimalüge". Die Umweltorganisation Greenpeace meidet deswegen konsequent den Begriff Biokraftstoff und spricht lieber von "Agrosprit". Die CO2-Bilanz der reinen Energiepflanze gilt als ausgeglichen. Für die Kraftstofferzeugung aus den Pflanzen wird dann aber viel Energie benötigt und viel Wasser - angesichts der Knappheit in vielen Regionen der Welt das viel größere Dilemma. Der Anbau von Pflanzen für einen einzigen Liter reinen Biokraftstoff verschlinge bis zu 3.500 Liter Wasser, hat das Internationale Institut für Wasserwirtschaft in Sri Lanka errechnet. Hinzu kommt eine verheerende CO2-Bilanz durch den massiven Einsatz von Stickstoff-Dünger.
Als wäre das nicht genug, ist da noch das große Umweltproblem der Brandrodung, mit der sich Länder in Asien und Südamerika Anbauflächen für Ölpflanzen schaffen. Die Welthungerhilfe erklärt, dass durch solche Brandrodungen und andere Maßnahmen zur Ackergewinnung zum Beispiel in Brasilien viele hundert Mal so viel Kohlendioxid emittiert wird, wie sich andererseits durch die Nutzung des Palm- oder Sojaöls derselben Fläche jährlich vermeiden lässt. In Indonesien, das ebenfalls durch Brandrodung von sich reden macht, hat die Regierung gerade ein Moratorium aufgehoben, das die Erweiterung der Anbauflächen für die Palmölproduktion auf Torfgebiete untersagt. Die Entwässerung dieser Gebiete ist Voraussetzung für die Anlage von Palmölplantagen. Über den damit verbundenen Humusabbau wird nach Expertenmeinung die Atmosphäre mit CO2 angereichert.
Gestritten wird aber längst nicht nur über Klimanutzen und Klimaschaden von Biokraftstoffen. Für die Welternährungsorganisation FAO ist der Anbau von Energiepflanzen für die Biosprit-Produktion ein Grund für den wachsenden Hunger in der Welt. Von den pflanzlichen Rohstoffen, die für zwei Tankfüllungen von jeweils 60 Litern aufgewendet werden müssen, könnte ein Mensch ein ganzes Jahr leben. Drei Viertel des Preisanstieges bei Lebensmitteln, der in der Zeit von 2002 bis Anfang 2008 immerhin 140 Prozent betrug, geht nach einer Studie der Weltbank auf das Konto der intensivierten Biospritherstellung.
Die Bundesregierung lässt Berechnungen der Weltbank aber nicht unkommentiert stehen. In der Studie würden Agrarrohstoffe und nicht Lebensmittelpreise analysiert. Zwar hätten sich die Rohstoffe im Betrachtungszeitraum im angegebenen Umfang verteuert. Am Ende falle der Preisanstieg für die Lebensmittel wegen des immer höheren Verarbeitungsanteils aber längst nicht mehr so stark ins Gewicht. Weiter lasse die Weltbank andere wichtige Faktoren für die Teuerung von Nahrungsmittel außer acht, wie Miss- oder Minderernten 2006 und 2007, das Wachstum der Weltbevölkerung sowie eine höhere Lebensmittelnachfrage aufgrund gestiegener Einkommen in den Schwellenländern.
"Bei uns verträgt sich die Lebensmittelproduktion mühelos mit der Herstellung von Biokraftstoff", wiegelt Brasiliens Landwirtschaftsminister Reinhold Stephanes ab. Zuckerrohr, der wichtigste Rohstoff für den Biosprit Ethanol, werde nur auf etwa ein Prozent der zur Verfügung stehenden Anbaufläche angebaut; und das sei bisher vor allem nicht voll genutztes Weideland. Durch immer modernere Produktionsmethoden sei es außerdem nicht notwendig, "auch nur einen einzigen Baum zu fällen", um die Kapazität in der landwirtschaftlichen Produktion in den nächsten 15 bis 20 Jahren zu verdoppeln.
Nicht nachvollziehbar findet auch Philip New, der Chef der Sparte Biokraftstoffe des britischen Mineralölmulti BP, die Diskussion "Teller gegen Tank". Aus seiner Sicht hat der Hunger in vielen Regionen der Erde nichts mit der höheren Produktion von Biokraftstoffen zu tun. New wirft der Politik vielmehr Versagen vor. Weltweit gebe es genügend Lebensmittel, um alle Menschen zu versorgen. Diese kämen jedoch nicht bei den Bedürftigen an. Zuletzt seien die Nahrungsmittelpreise wieder deutlich gefallen, die Biokraftstoffproduktion aber habe sich nicht verändert. Für ihn ist das der Beweis, dass die Verteuerung bei den Lebensmitteln nicht so einfach den Biokraftstoffen angelastet werden kann.
BP-Manager New hält in den kommenden Jahren einen regelrechten Siegeszug der Biokraftstoffe für möglich. 2030 sei durchaus ein Anteil von 11 bis 19 Prozent am gesamten Energiebedarf des Verkehrs möglich. Der Anteil könne sogar noch höher liegen, wenn es schnell gelinge, Kraftstoffe der zweiten Generation aus pflanzlichen Reststoffen oder auch Algen zur Marktreife zu bringen und einzusetzen.
Der Euphorie mancher Befürworter zum Trotz ist die Politik vorsichtiger geworden. Das Europäische Parlament hat bei der Verabschiedung des Klimapakets der EU Ende vergangenen Jahres zwar die Vorgabe bekräftigt, bis zum Jahr 2020 mindestens zehn Prozent aller Kraftstoffe im EU-Verkehrssektor aus erneuerbaren Energien zu gewinnen. Dafür sollen aber nicht mehr nur Biokraftstoffe der ersten und zweiten Generation herhalten. Auch Wasserstoff und Elektromobilität sollen ihre Beiträge bringen - vorausgesetzt, der Strom für die Elektro-Autos kommt aus regenerativer Erzeugung wie zum Beispiel Wind oder Sonne. Außerdem wurden verschiedene Nachhaltigkeitskriterien festgelegt, um eine "umweltfreundliche Produktion" von Biokraftstoffen in der Europäischen Union und in Drittländern zu gewährleisten.
In Deutschland hat der Bundestag am 27. März eine Entscheidung über die Beimischung von Biokraftstoffen zu Benzin und Diesel verschoben. Die Pläne sehen vor, die früher festgelegten "Zwangsquoten" für die Beimischungen zu verringern, weil ältere Benzinmotoren den Biosprit angeblich nicht vertragen. Eine Quotenerhöhung führe in jedem Fall zu höheren Kosten an der Tankstelle, heißt es in der Mineralölbranche. "Biokraftstoffe sind mehr als doppelt so teuer wie fossile Treibstoffe", wettert Ulrich Winkler, der Sprecher des Marktführers Aral.
Rainer Wiek ist Chefredakteur des "Energie-Informationsdienstes".