EUROPA
Erleichtert reagiert Brüssel auf das Lissabon-Urteil. Dänemark zeigt, wie mächtig ein Parlament in Brüssel sein kann
Das Karlsruher Urteil zum Lissabon-Vertrag stellt in Brüssel einhellig alle zufrieden - jedenfalls auf den ersten Blick. Die Erleichterung darüber, dass zumindest an deutschen Justizvorbehalten die Reform nicht scheitern wird, mag den Blick aufs Kleingedruckte bei manchem zunächst verstellt haben. Kommissionspräsident José Manuel Barroso kämpft zwar gerade verzweifelt darum, nach den Regeln des noch geltenden Nizza-Vertrags für eine zweite Amtszeit bestätigt zu werden. Dennoch schwärmte er: "Das Urteil spiegelt die wichtigen Innovationen im Vertrag von Lissabon wider, insbesondere die Stärkung der demokratischen Legitimität der Europäischen Union."
Der sozialdemokratische EU-Abgeordnete Klaus Hänsch, der im Verfassungskonvent die Vorform des Vertrags mit ausgearbeitet hatte, lobte die strenge Prüfung durch die Richter. "Der Vertrag hat diese Prüfung glänzend bestanden." Positiv sei auch, dass das Gericht für die Zukunft Grenzen der Machtübertragung auf die europäische Ebene aufgezeigt habe: "Das Urteil lässt sowohl der deutschen als auch der europäischen Politik Spielraum und gibt ihr damit zugleich die Sicherheit, dass die Staatlichkeit der Bundesrepublik Deutschland im Kern nicht angetastet wird."
Auch die Linke, die den Parlamentsvorbehalt bei Militäreinsätzen durch den Lissabon-Vertrag ausgehebelt sieht und deshalb in Karlsruhe geklagt hatte, sieht sich bestätigt: "Die bisher im Lissabonner Vertrag und mit dem deutschen Begleitgesetz vorgesehene Aushebelung der Beteiligung des Bundestages bei Militäreinsätzen der EU ist nach diesem Urteil des Bundesverfassungsgerichts verfassungswidrig." Doch diese Schlussfolgerung gibt das Urteil nicht her. Es stellt vielmehr das Gegenteil klar: "Auch bei Inkrafttreten des Vertrags von Lissabon besteht der kons-titutive Parlamentvorbehalt für den Auslandseinsatz der Streitkräfte fort", heißt es in einer Pressemitteilung des Gerichts. "Er überträgt der Europäischen Union keine Zuständigkeit, auf die Streitkräfte der Mitgliedsstaaten ohne Zustimmung des jeweils betroffenen Mitgliedsstaats oder seines Parlaments zurückzugreifen."
Konservative, Sozialisten, Liberale und Grüne im Europaparlament, die den Lissabonvertrag sowohl für die innere Handlungsfähigkeit der EU als auch für mögliche neue Erweiterungsrunden für unabdingbar halten, sehen das Karlsruher Urteil als eine weitere genommene Hürde auf dem Weg zur überfälligen Reform. Die befürchtete harsche Kritik des Gerichts, die in Irland kurz vor dem Referendum einen neuerlichen Stimmungsumschwung hätte bewirken können, ist ausgeblieben. Nun können, so die Hoffnung, auch die reformunwilligen Präsidenten Polens und Tschechiens ihre Unterschrift nicht länger hinauszögern.
Auf den zweiten Blick allerdings enthält das Urteil für die Mitglieder des Europäischen Parlaments eine ernüchternde Botschaft. Ihr Haus sei "gemessen an staatlichen Demokratieanforderungen nicht gleichheitsgerecht gewählt und innerhalb des supranationalen Interessenausgleichs zwischen den Staaten nicht zu maßgeblichen politischen Leitentscheidungen berufen", urteilt das Gericht. "Das Europäische Parlament ist kein Repräsentationsorgan eines souveränen europäischen Volkes, sondern ein supranationales Vertretungsorgan der Völker der Mitgliedstaaten." Andere Elemente des Vertrags wie das Bürgerbegehren, die stärkere Beteiligung nationaler Parlamente und die Stimmengewichtung im Rat nach teilweise demografischen Kriterien könnten dieses Defizit nicht ausgleichen.
Die Karlsruher Richter wollen deshalb, dass der Bundestag künftig enger in die Brüsseler Entscheidungsprozeduren eingebunden wird. Das muss den reibungslosen Ablauf der EU-Gesetzgebung keineswegs behindern, wie das dänische Beispiel zeigt. In Dänemark wurde bereits beim EU-Beitritt 1973 ein Begleitgesetz verabschiedet, das dem Folketing weitgehende und frühzeitige Mitsprache beim Verhandlungsmandat seiner Fachminister und der Regierung im europäischen Gesetzgebungsprozess einräumt. Der EU-Ausschuss des Folketing, dessen Sitze nach dem Wahlergebnis verteilt werden, fungiert dabei als "Miniplenum", dem die Fachminister jeden Freitag berichten müssen - rechtzeitig vor der Sitzung der EU-Botschafter in Brüssel am Montag. Das heißt allerdings nicht, dass die Dänen europafreundlicher wären als andere Länder. Im Gegenteil. Sie traten der Gemeinschaft 1973 vor allem aus wirtschaftlichen Überlegungen bei. 1992 stimmten sie in einem Referendum gegen den Vertrag von Masstricht.
Anfangs habe es gelegentlich Probleme damit gegeben, dass der dänische Verhandlungsspielraum im Rat durch ein zu enges Mandat des Folketing eingeschränkt gewesen sei, räumt Peter Juul Larsen im Gespräch mit dieser Zeitung ein. Der Brüsseler Sprecher des Folketing betont aber, dass die Zusammenarbeit inzwischen reibungslos laufe, weil sein Haus früher in den Gesetzgebungsprozess eingreife und seiner Regierung ein breiteres Mandat erteile. "Das liegt in unserem Interesse, denn mit einem breiteren Mandat kann die Regierung die dänischen Interessen besser vertreten", erklärt Larsen. Die Abgeordneten des Bundestags beneidet er darum, dass sie schon jetzt, ganz ohne neues Begleitgesetz, sämtliche Arbeitspapiere aus den Botschaftersitzungen einsehen können. Darüber gebe es seit 15 Jahren eine Vereinbarung zwischen Bundesregierung und Bundestag. Doch die Abgeordneten nützten ihre Möglichkeiten noch zu wenig. "Mit den Papieren, die sie da bekommen, könnten sie deutlich mehr Einfluss nehmen", glaubt der dänische Parlamentssprecher. r