G8-GIPFEL
Merkel will eine schärfere Kontrolle der Finanzmärkte. Der Opposition ist sie zu zögerlich
Es war eine überraschende Entscheidung, die Italiens Ministerpräsident Silvio Berlusconi im April traf: Der Weltwirtschaftsgipfel der führenden acht Industrienationen solle nun doch nicht auf der abgelegenen Insel La Maddalena stattfinden, sondern in der Stadt L'Aquila in den Abruzzen. Sie war gerade von einem schweren Erdbeben zerstört worden, bei dem fast 300 Menschen starben. Bis heute sind Zehntausende obdachlos.
Nun sollen in diesem Katastrophengebiet vom 8. bis 10. Juli die G8-Staats- und Regierungschefs ihre Zelte aufschlagen, genauer gesagt, in einer Unteroffiziersschule am Rande der Trümmerstadt. Ein "Krisengipfel" gleich in doppelter Hinsicht: Denn nicht nur L'Aquila, auch die Staatengemeinschaft steht vor gewaltigen Trümmern. Der Klimawandel und die weltweite Wirtschafts- und Finanzkrise haben auch die globale Ordnung heftig ins Wanken gebracht.
Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) nahm das Bild in ihrer Regeirungserklärung zum G8-Gipfel am 2. Juli im Bundestag auf - und schmückte es gleich mit einem hoffnungsvollen Ausblick: "L'Aquila ist inzwischen ein Ort des Wiederaufbaus und der Zuversicht. Wir wollen deshalb gerade an diesem Ort gute Ergebnisse erzielen." Einen Wiederaufbau kann zweifellos auch die Weltwirtschaft gut gebrauchen. Merkel versprach, in Italien für eine internationale Finanzmarktverfassung und eine Verankerung der Prinzipien der sozialen Marktwirtschaft in der globalen Wirtschaft zu werben. "Dies muss international geschehen, und dem darf sich keiner entziehen", sagte sie und betonte, es werde keine "Rückkehr zum business as usual geben".
Die Opposition quittierte diese Absicht mit einem klaren Urteil: Merkel agiere in der nationalen Finanz- und Wirtschaftspolitik selbst viel zu zögerlich, um Forderungen an andere Staaten stellen zu können, hieß es. Der FDP-Fraktionsvorsitzende Guido Westerwelle sagte: "Wer international eine bessere Finanz- und Bankenaufsicht fordert, muss sie national erst einmal hinbekommen." Außerdem hielt er Merkel vor, das Thema der "unvergleichlich hohen Belastung in Form von Steuern und Abgaben" hierzulande auszusparen.
Der frühere Finanzminister Hans Eichel (SPD) bezeichnete die Vorwürfe der FDP als "unglaubwürdig". Es dürfe nicht vergessen werden, dass es der Wirtschaftsliberalismus gewesen sei, der "zur schlimmsten Finanz- und Wirtschaftskrise der letzten 80 Jahre geführt hat".
Linksfraktionschef Oskar Lafontaine forderte Merkel auf, sich in L'Aquila für einen stabilen Wechselkurs, eine Regulierung des Kapitalverkehrs und die Schaffung einer neuen Leitwährung anstelle des US-Dollars einzusetzen. "Das Casino ist bereits wieder eröffnet. Es läuft weiter ohne jede Einschränkung", sagte er in Bezug auf Banken, die wieder "krumme Geschäfte" machten und Geld in Streueroasen verschieben würden. "Sie sind die Hehlerin dieser Geschäfte", warf er Merkel vor.
Ebenso viel Gegenwind schlug der Kanzlerin beim Thema Klimaschutz entgegen. Im Dezember soll auf der Klimakonferenz in Kopenhagen ein Nachfolgeabkommen zum Kyoto-Protokoll vereinbart werden. Merkel betonte, es sei entscheidend, dass sich die Staatengemeinschaft bereits in L'Aquila dazu bekennt, den weltweiten Temperaturanstieg bis 2050 auf zwei Grad Celsius zu begrenzen. Auch Laurenz Meyer (CDU) sagte, Voraussetzung für das Erreichen der Klimaziele sei gemeinsames Handeln. Grünen-Fraktionschefin Renate Künast warf Merkel jedoch vor, "die europäische Klimapolitik" bereits auf dem EU-Gipfel im April verwässert zu haben. "Sie waren diejenige, die Arbeitsplätze gegen Klimaschutz gestellt hat", sagte Künast. Und Guido Westerwelle fragte die Kanzlerin: "Alle anderen Staaten in der G8 setzen im Interesse des Klimaschutzes auch auf die sichere Kerntechnik. Was sagen Sie dazu?" Ein Energiemix, meinte er, sei schließlich die beste Antwort auf den Klimawandel.
Zustimmung bekam Merkel vor allem für eine Forderung: "Nicht die G8, sondern die G20 müssen in Zukunft das Forum für wichtige Beschlüsse sein", machte die einstige G8-Verfechterin klar. Schon der G20-Gipfel am 2. April in London hatte international einen Sinneswandel zugunsten einer stärkeren Beteiligung der wichtigsten Schwellenländer bewirkt. Hans Eichel, der an diesem Tag seine letzte Rede vor dem Bundestag hielt, stimmte der Kanzlerin zu: "Die G8 hat für die Zukunft nur insofern noch eine Berechtigung, wie die reichsten Industrieländer der Erde dort ihre besondere Verantwortung wahrnehmen."
Für die Gruppe der Acht steht vom 8. bis 10. Juli also auch ihre eigene Rolle auf dem Spiel. Alles deutet auf eine tektonische Verschiebung innerhalb der Staatengemeinschaft hin. Und all das, während der Boden unter L'Aquila weiter rumort: Erst vor zwei Wochen hat ein Nachbeben der Stärke 4,6 die Region erschüttert.