LISSABON-VERTRAG
Bundesverfassungsgericht mahnt mehr Mitspracherechte für Bundestag an
Alle zwei Jahre muss ein Auto zum TÜV. Der entscheidet dann, ob Mängel beseitigt werden müssen oder ob das Auto aus dem Verkehr gezogen wird. Darauf kann sich der Bürger verlassen. Bei Gesetzen gibt es dafür das Bundesverfassungsgericht. Das hatte den Vertrag von Lissabon darauhin zu prüfen, ob er mit der deutschen Verfassung vereinbar sei. "Die Bürger können sich fortan darauf verlassen, dass die Verfassungstauglichkeit und die Verfassungsgemäßheit dieses Vertrages - gleichsam wie durch den TÜV - bestätigt wurden", konnte Gunther Krichbaum (CDU), Vorsitzender des Europaauschusses, in der Debatte am 1. Juli über die Konsequenzen des Urteils daher erleichtert feststellen.
Einen Tag zuvor hatte das Bundesverfassungsgericht in einem 147 Seiten starken Urteil entschieden, dass der Vertrag von Lissabon mit dem deutschen Grundgesetz vereinbar sei. Gleichzeitig mahnten die Karlsruher Richter jedoch Verbesserungen beim sogenannten Begleitgesetz an. Es regelt, wie der Bundestag beim Erlass europäischer Vorschriften, also der konkreten Umsetzung des EU-Refomvertrages, mitwirkt. Denn das Lissabonner Vertragswerk gibt den nationalen Parlamenten weitaus größere Rechte als bisher. Wie diese ausgestaltet werden, bleibt jedoch den einzelnen Ländern überlassen und wird durchaus verschieden gehandhabt.
Unterschiedlich fiel auch die Bewertung darüber aus, wer sich nun als Sieger des Verfahrens fühlen durfte. Axel Schäfer (SPD) nannte das Urteil einen "großen Erfolg für die große Mehrheit des Hauses". Gunther Krichbaum sagte, "die Parlamente sind die Gewinner des gesamten Verfahrens" und Markus Löning (FDP) konstatierte, dass Karlsruhe damit "ein ganz wichtiges Signal auch über Deutschland hinaus" gesendet habe.
Zurückhaltender gab sich Peter Gauweiler. Er fühle sich "zur Hälfte als Sieger", sagte der CSU-Abgeordnete, der gemeinsam mit der Fraktion Die Linke und einer Gruppe um Franz Ludwig Graf von Stauffenberg (CSU) im vergangenen Jahr Verfassungsbeschwerde in Karlsruhe eingereicht hatte. Ihr Vorwurf lautete damals, dass der Vertrag von Lissabon gegen die Verfassung verstoße, weil er unter anderem eine Entstaatlichung bedeute und der Wille des Wählers in dem Vertrag nicht mehr genügend berücksichtigt werde. Seinen 50-Prozent-Sieg begründete Gauweiler mit der Tatsache, dass ihm Bundesregierung und Bundestag jetzt die Hälfte der Prozeßkosten erstatten müssten. Die andere Hälfte als Verlierer nehme er aber gerne in Kauf, "weil es sich um ein sehr gutes Urteil handelt, das da erstritten worden ist." Es bedeute für das Parlament einen Kompetenzschub, sagte Gauweiler.
Gleichzeitig aber sparte er nicht an Kritik: "Es dient uns nicht zum Ruhme, dass es dazu eines Urteils des Bundesverfassungsgerichts bedurfte", betonte Gauweiler. Nach Meinung von Gregor Gyis (Die Linke) hat der Vertrag nach der Entscheidung aus Karlruhe einen anderen Inhalt: "Entscheidend ist, dass die Richter des Bundesverfassungsgerichts den Lissabon-Vertrag völlig neu interpretiert haben", sagte Gysi. Das Verfassungsgericht habe "Europa in den Bundestag geholt" und das Verhältnis von Legislative und Exekutive geklärt. Durch Peter Gauweiler, Graf Stauffenberg und Die Linke seien die Rechte des Bundestages und des Bundesrates gestärkt worden. Dafür wünschte sich Gysi Dank. Den bekam er aber nicht. "Sie sind jahrelang durch dieses Land gezogen und haben den Vertrag von Lissabon schlechtgeredet", warf ihm Rainder Steenblock (Bündnis 90/Die Grünen) vor. Das sei der Kernpunkt der Klage gewesen, auf die Die Linke hingesteuert sei. "Alle ihre Kritik ist hochgradig gescheitert", sagte Steenblock in Richtung der Linksfraktion, "aber sie haben uns die Chance gegeben, die Demokratie weiterzuentwickeln."
An alle Abgeordneten gewandt, hob er jedoch hervor: Der Bundestag habe durch das Urteil neue Kompetenzen erhalten. Wie schon vor ihm Markus Löning mahnte Steenblock an, diese neue Rolle auszufüllen: "Wir alle, die Parlamentarier, werden mehr Verantwortung bekommen. Diese Verantwortung müssen wir annehmen", sagte er. Löning betonte, dass der Bundestag nicht mehr nur ein Recht, sondern eine Pflicht zur Mitwirkung habe. "Wir brauchen hier ein anderes Rollenverständnis des Bundestages im Vergleich zum Verfassungsorgan Bundesregierung", sagte er.
Dafür plädierte auch Michael Roth (SPD). Denn das Urteil, sagte Roth, sei auch "ein Stoppsignal für die Exekutiven in Berlin oder Brüssel, die der Auffassung sind, dass der Parlamentarismus beziehungsweise seine Stärkung Sand im Getriebe des europäischen Räderwerks sind." Roth äußerte die Befürchtung, dass das Urteil viele neue Fragen aufwerfe, die nicht mehr in dieser Wahlperiode zu klären seien. Es müsse auch darüber nachgedacht werden, was das Urteil für die Zusammenarbeit in den Ausschüssen und Fraktionen bedeutet. Und Roth zog daraus den Schluss: "Ich meine hier sind keine Schnellschüsse gefragt."