In die Wirtschaft oder doch in die Politik? Bevor sie mit dem Internationalen Parlaments-Stipendium nach Berlin kam, schwankte Natalya Klauzer noch bei der Entscheidung über ihre berufliche Zukunft. Nun ist die Antwort für die junge Kasachin klarer: "Mein Interesse an Politik ist auf jeden Fall stärker geworden", sagt die 24-Jährige, die seit Anfang März im Abgeordnetenbüro von Anette Hübinger (CDU) den deutschen Parlamentarismus aus der Innenperspektive erlebt. Der Einblick in die deutsche Politik hat auch die Sicht auf ihr eigenes Land geschärft. "Wir haben in Kasachstan seit 1991 schon viel erreicht. Aber wir können uns sicher noch weiter entwickeln." Das Motiv für ihr preisgekröntes Foto hat sie übrigens in Rostock an einer Häuserwand entdeckt. "Verteilt die Macht, damit sie keinen mächtig macht." Das hat ihr gefallen, sagt die junge Kasachin. "Er drückt aus, was eine Demokratie ausmacht." Natalya Klauzer ist eine von 300.000 deutschstämmigen Kasachen; insgesamt leben in Kasachstan 16 Millionen Menschen und 120 verschiedene Volksgruppen. Natalyas Großeltern kamen in den 1950er Jahren als Angehörige der deutschen Minderheit aus Russland nach Kasachstan, das damals Teil der Sowjetunion war. Folglich war Russisch die beherrschende Sprache, mit der auch Natalyas Vater aufwuchs und die zuhause in ihrer Familie gesprochen wird. Seit dem Zusammenbruch der Sowjetunion und der Gründung der Republik Kasachstan im Jahr 1991 wird zwar versucht, die offizielle Staatssprache Kasachisch zu fördern. Doch gerade im Norden des Landes, in dem Kasachstan eine lange Grenze mit Russland teilt, hat sich Kasachisch noch nicht durchgesetzt.
"Ich habe es zwar ein wenig in der Schule gelernt, kann es aber nicht sprechen", räumt Natalya Klauzer, die im Norden des Landes aufgewachsen ist, ein. Dafür ist ihr Deutsch perfekt, obwohl sie es erst als Teenagerin in der "Gesellschaft der Deutschen" in ihrer Heimatstadt Kostanai lernte. "Ich war plötzlich neugierig auf mein deutsches Erbe", sagt sie. Seither fühlt sie sich Deutschland und der deutschen Kultur eng verbunden. Mit dem Deutsch ihrer Großmutter haben ihre Sprachkenntnisse jedoch wenig gemeinsam, räumt sie lachend ein. "Meine Großmutter spricht Deutsch wie vor 200 Jahren, und dann auch noch in einem Dialekt."
Seit 2008 arbeitet Natalya Klauzer in der Vertretung der Gesellschaft für Technische Zusammenarbeit und Entwicklung (GTZ) in der früheren Hauptstadt Almaty ganz im Süden Kasachstans. Der Job gefällt ihr besser als die Dolmetscherarbeit bei einem Straßenbauunternehmen, das mit deutschen Projektpartnern arbeitet. "Zu dolmetschen war mir auf die Dauer zu wenig", sagt die junge Frau. Der Ehrgeiz trieb sie weiter. Bei der GTZ ist sie nun näher an der Politik, beschäftigt sich mit Programmen zur Wirtschafts- und Bildungsförderung. In Berlin lernt sie auch, wie GTZ Programme, an deren Umsetzung sie in Kasachstan arbeitet, überhaupt erst entstehen. Nur, dass ihre Familie so weit von Almaty entfernt lebt, trübt die Freude etwas. Wenn sie ihre Eltern im Norden des weiten Landes besuchen will, muss sie 2.000 Kilometer weit, zwei Nächte und einen Tag lang mit dem Zug fahren. Durch Steppe und Wälder bis nahe an die russische Grenze. "Mehr als drei Mal im Jahr schaffe ich das nicht", erzählt Natalya Klauzer.
Im August wird sie auf ihre Stelle bei der GTZ zurückkehren, mit neuen Eindrücken. Dass deutsche Abgeordnete so volksnah sind, hat sie sehr angenehm überrascht. Parlamentarier, die mit Kaffee und Brötchen und außerhalb der Sitzungswoche auch mal in Jeans erscheinen - das gebe es in Kasachstan nicht, ist sie sich sicher.