EUROPA
Die Vorstellung von einem geeinten Kontinent ist keine Erfindung der Neuzeit
Angela Merkel hat sie 2007 genauso gefordert wie Frank-Walter Steinmeier im vergangenen Jahr: eine europäische Armee. Mit ihrem Wunsch sind die deutsche Bundeskanzlerin und ihr Außenminister keineswegs allein. Regelmäßig mahnen neben Politikern auch Journalisten oder Wissenschaftler Reformen in der Europäischen Union an. Schlagkraft solle bewiesen werden, gegen die Herausforderungen die mit dem internationalen Terrorismus, der Piraterie oder den sogenannten "Failing States" einhergehen müsse man sich wappnen, so einige Verlautbarungen.
Doch derartige Pläne gibt es nicht erst seit Gründung der Europäischen Gemeinschaft. Bereits Jahrhunderte, sogar Jahrtausende früher machte man sich darüber Gedanken. Manchmal vage, bisweilen ziemlich konkret hören sich diese Vorschläge an. Das beweist Wolfgang Geiers "Europabilder. Begriffe, Ideen, Projekte aus 2500 Jahren". Er spannt einen weiten Bogen - angefangen im 7. Jahrhundert vor Christus über das Mittelalter bis heute. Dabei berichtet der Kulturhistoriker nicht nur von den Mythen, die sich um die Gründung Europas ranken, sondern er gewährt darüber hinaus aufschlussreiche Einblicke in die europäische Geschichte. Schwerpunktmäßig beschäftigt sich Geier mit den geographisch-ethnischen, kulturell-religiösen und politisch-staatlichen Ideen über diesen Kontinent.
So erzählt der 1937 geborene Professor einmal von Pierre Dubois, "eine Art Hofideologen" des französischen Königs Philipp IV.. Im Jahr 1291 entwarf dieser eine europäische Föderation, genauer gesagt einen europäischen Fürstenbund unter dem Vorsitz des französischen Königs. Das Ziel: "Die Herstellung und dauerhafte Sicherung eines allgemeinen Friedens". Die Mittel: Ein gemeinsamer Gerichtshof, ein vereintes Oberkommando samt Streitmacht, weitere Institutionen und Regularien.
1462 formulierte dann der böhmische König Georg von Kunstadt und Podiebrad einen für damalige Verhältnisse geradezu revolutionären Förderations-Plan mit 21 Artikeln. Der überzeugte Europäer forderte darin nichts weniger als ein europäisches Rechtssystem mit Gerichtshof, Haushalt, Verwaltung und Volksvertretung sowie eine gemeinsame Armee - sogar ein alle fünf Jahre wechselnder Vorsitz unter den Mitgliedstaaten war vorgesehen. Das klingt überraschend aktuell. Andere Denker wie ein Marquis de Saint-Simon oder dem Gründer der Paneuropa-Bewegung, Graf Richard Coudenhove-Kalergi folgen.
Geiger erläutert jedoch nicht nur Entwürfe für ein geeintes Europa in deren Grundzügen, sondern schneidet Wegmarken der Geschichte wie Kriege, Kreuzzüge oder Friedensschlüsse ebenso an. Er schildert des weiteren, wie es zur Teilung in Orient und Okzident, in katholisches und byzantinisches Einflussgebiet kam. Außerdem beschreibt er etliche Werke in der Kunstgeschichte, die sich mit dem europäischen Gründungsmythos auseinandersetzen. Illustrationen dazu finden sich jedoch kaum im Buch. Und so wird einem die Entführung der Europa, unter anderem phantastisch auf Leinwand gebannt von einem Giordano, Beckmann oder Picasso, zwar in Worten ausgemalt, im Bild hingegen vorenthalten.
Wolfgang Geiers Vorhaben ist ambitioniert. Allerdings zeigt sich, dass dies zu viel Stoff für ein schmales Büchlein von nur 182 Seiten ist. Denn Geiger, der seit 2000 an der Alpen-Adria-Universität in Klagenfurt tätig ist, gelingt es nicht immer, alle Fragen, die sich einem bei der Lektüre unweigerlich stellen, zu beantworten. Über die Resonanz der Zeitgenossen auf die Pläne der europäischen Vordenker erfährt man nur am Rande etwas. Manchmal wünscht man sich auch mehr Details zu den einzelnen Projekten. Es bleibt deshalb festzuhalten: "Europabilder" stellt die Konzepte und Ideen während der vergangenen Jahrhunderte zu Europa überblickshaft dar. Zwar ist das Buch im Aufbau und Stil fachwissenschaftlich geprägt, also nicht unbedingt leichte Kost, trotzdem aber lesenswert.
Europabilder. Begriffe, Ideen, Projekte aus 2500 Jahren.
Promedia Verlag, Wien 2009; 182 S., 15,90 ¤