Deutsche kanzler
Gerd Langguth über den Regierungsstil von Kohl, Schröder und Merkel - und ihren Willen zur Macht
Was ist das Geheimnis politischer Macht und politischen Aufstiegs? Der Bonner Politikwissenschaftler Gerd Langguth, früherer Staatssekretär, Vorstandsmitglied und Bundestagsabgeordneter der CDU, versucht in einer Annäherungen an die letzten drei Kanzler der Bundesrepublik - Helmut Kohl, Gerhard Schröder und Angela Merkel - dem Geheimnis politischer Macht auf die Spur zu kommen. Was haben diese Drei gemeinsam? In erster Linie, so Langguth, ist es der "Wille zur Macht", der die drei so unterschiedlichen Persönlichkeiten eint. Sozialer Aufstieg und gesellschaftliche Akzeptanz spielen dabei eine wesentliche Rolle. Helmut Kohl kam aus kleinbürgerlichen Verhältnissen und Gerhard Schröder hat sich den Aufstieg ins Kanzleramt aus dem vaterlosen Arbeitermilieu vielleicht am härtesten erarbeiten müssen. Bei Angela Merkel war dieser "lange Weg zu sich selbst" am kürzesten: Als Pfarrerstochter in der ehemaligen DDR kommt sie bereits aus einem bürgerlich-akademischen Umfeld.
Langguths Porträts lesen sich wie ein Schnelldurchlauf durch drei höchst unterschiedliche Politikerleben. Aber der Autor belässt es nicht dabei. Er befragt seine Protagonisten immer wieder, warum sie wie handelten. Worauf gründete sich ihre Macht? Auf wen stützten sie sich? Was waren ihre Beweggründe? Kurz: Wie "tickten" Kohl, Schröder und Merkel?
Langguth zeichnet das Bild des "bauchgesteuerten Geschichtsdeuters" Helmut Kohl, der sich auf beinahe barocke Art mit seiner Partei identifizierte und sie sich mit ihm. Was aber heute längst nicht mehr jedem Politikinteressierten geläufig ist: Helmut Kohl war auch der skrupellose Machtmensch, der sich in Rheinland-Pfalz auf den Stuhl des Ministerpräsidenten "putschte", im Bundestag gegen Rainer Barzel agitierte und ihn stürzte und am Ende auch seinen härtesten Widersacher, Franz-Josef Strauß, ins machtpolitisch Leere laufen ließ. Sein größtes Geheimnis sei gewesen, dass er zu den unterschätztesten deutschen Politikern gehörte. Viele einstige Weggenossen blieben bei diesen Kämpfen auf der Strecke. Den "Kanzler der Einheit" und "Vordenker Europas" wiesen Kohl dabei als jemand aus, der immer mehr in historischen Dimensionen dachte und handelte. Detailliert schildert der Autor Kohls Machtbasis in Partei, Fraktion und Kanzleramt. Dabei zeichnet Langguth Kohl als Machtmenschen, der immer weniger Rücksicht auf politische Institutionen nahm. Das galt für das Kabinett, in dessen Runde keine Entscheidungen mehr stattfanden genauso wie für Parteigremien, die er nicht mehr ernst nahm und reichte bis zu den anonymen Geldspenden, die Kohl am Ende aus der Politik warfen.
Ihm gegenüber stellt Langguth den "pragmatischen Zocker" Gerhard Schröder, dessen Verhältnis zur SPD immer zwiespältig war, ja, der seine Partei und die Auseinandersetzung mit ihren führenden Leuten und Meinungen in erster Linie für seinen ganz persönlichen politischen Aufstieg vom wilden Juso-Vorsitzenden bis zum "Genosse der Bosse" benutzte. Detailliert zeichnet der Bonner Politikwissenschaftler das gespannte Verhältnis Schröders zu Willy Brandt nach, den Kampf des Trios Scharping-Lafontaine-Schröder um die Macht und als Kanzler der ersten rot-grünen Koalition auf Bundesebene gegen das "Alphatier" Joschka Fischer. Auch hier dringt Langguth tief in die Machtstrukturen Schröderscher Ausprägung ein und schildert das enge Personalgeflecht. Wo Kohl eine Politik des "Aussitzens" betrieb, beschreibt Langguth Schröder als typischen "Situationisten", dem langfristige Überlegungen nie sehr wichtig waren. Schröder sei ein Beispiel für "Führung ohne Richtung" gewesen, begleitet durch eine ganze "Räterepublik" an unterschiedlichsten Kommissionen, der am Ende mit seiner Entscheidung für Neuwahlen noch einmal versuchte, den Kurs der Politik selbst zu bestimmen und nicht als Getriebener dazustehen.
Ausgerechnet da, wo man sich vom Merkel-Biografen sehr viel Neues erhofft, bleibt Langguth merkwürdig unentschlossen. Zwar schildert er Merkel in ihrem Verhältnis zur CDU als "kopfgesteuert" und nicht emotional, beschränkt sich aber in den Kernaussagen darauf, sie als "rätselhafte und selbstbewusste Sphinx" zu porträtieren, die Probleme gründlich analysiert bevor sie handelt. Aber auch bei ihr erfährt der Leser von der Härte des täglichen Politikbetriebs, erlebt eine weinende Umweltministerin Merkel und eine Politikerin, die Machtpolitik auch als Personalpolitik betreibt. Insgesamt ist aber, das merkt man, der Abstand des Zeithistorikers zu seinem Objekt der Betrachtung im Fall Merkel noch zu gering, um ein abschließendes Urteil zu erlauben.
Ob die abschließende, vom Verlag als "neue Theorie der Macht" bezeichnete Gleichung Langguths, Macht sei öffentliche Wahrnehmung mal Personalbeeinflussung im Quadrat, wirklich so neu ist, mag man denn doch bezweifeln. Zu bekannt kommt einem das Mächtedreieck in der Politikgeschichte vor.
Kohl, Schröder, Merkel. Machtmenschen.
Deutscher Taschenbuch Verlag, München 2009; 580 S., 18,90 ¤