HRE-AUSSCHUSS
Banken-Chefs wie auch Bafin und Bundesbank sehen die Rettung der HRE als alternativlos an. Opposition bleibt bei ihrer Kritik an der Finanzaufsicht
Um halb eins am Montagmorgen hat mich dann die Bundeskanzlerin auf dem Handy angerufen." Es ist mucksmäuschchenstill im Saal 4.900 des Paul Löbe Hauses. Abgeordnete wie auch Medienvertreter lauschen gebannt den Worten des Deutsche Bank-Chefs Josef Ackermann. Zehn Minuten lang sei über Zahlen verhandelt worden, fährt er fort. "Dann hat Frau Merkel gesagt: ,Wir haben einen Deal'". Es war geschafft: Die bevorstehende Pleite der Hypo Real Estate Bank (HRE) war in letzter Minute abgewendet. Ackermanns minutiöse Darstellung der Geschehnisse am sogenannten Bankenrettungswochenende im September 2008 gehörte sicher zu den Höhepunkten der dreitägigen Zeugenbefragung vor dem HRE-Untersuchungsausschuss in der vergangenen Woche. Ebenso wie weitere Banken-Chefs und Vertreter der Bankenaufsicht machte auch Ackermann deutlich: Die HRE musste gerettet werden. Ansonsten wäre es zu "dramatischen Verwerfungen an den internationalen Finanzmärkten" gekommen. Wolfgang Sprißler, damaliger Vorstandvorsitzender der Hypo-Vereinsbank (HVB), versuchte einen noch drastischeren Vergleich: Wenn die Pleite der US-Investmentbank Lehman Brothers einen Tsunami ausgelöst hat, wäre die HRE-Pleite ein Armageddon gewesen. Ähnlich beschrieb es Jochen Sanio, Präsident der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (Bafin): "Wir wären am Morgen in dem Film ,Apocalypse now' aufgewacht."
Aufgabe des Ausschusses ist es, zu untersuchen, wie es zur Fastpleite der mit einer Bilanzsumme von 400 Milliarden Euro damals zu den größten Banken Deutschlands gehörenden HRE, die als "systemrelevante Bank" galt, kam. Ferner prüfen die Abgeordneten ob durch ein anderes Verhalten des Bundesfinanzministeriums (BMF) zu verhindern gewesen wäre, dass die Bank mit Staatshilfen in Höhe von 102 Milliarden Euro gestützt werden muss. Dazu saßen erstmals die Chefs deutscher Privatbanken und der Bankenaufsicht auf der Zeugenbank. Vor den Vernehmungen hatte die Opposition das "passive Verhalten" der Aufsichtsbehörden kritisiert. Zudem habe das BMF zu spät reagiert und sich bei den Rettungsverhandlungen von den privaten Banken "über den Tisch ziehen lassen".
Dass die Bafin den Niedergang der HRE nur beobachtet habe, aber nicht aktiv eingeschritten sei, begründete deren Präsident Jochen Sanio mit fehlenden gesetzlichen Regelungen. "Wir konnten die Bank nicht schließen und ihr auch keine Liquidität in die Tasche stopfen." Die Probleme der HRE, so Sanio, hätten mit der Übernahme der mit einem hochriskanten Geschäftsmodell arbeitenden irischen Bank Depfa plc Mitte 2007 begonnen. "Nach der Übernahme saß die HRE in der Falle", lautete seine Einschätzung. Der Konzern "krebste vor sich hin, war aber überlebensfähig". Eingriffsmöglichkeiten der Bafin hätten nicht bestanden. Einzig die Liquiditätslage wurde "auf Tagesbasis" beobachtet. Erst als nach der Pleite der US-Investmentbank Lehman Brothers am 15. September 2008 "die Märkte zugingen", reichte die Liquidität bei der HRE nicht mehr aus. Was denn eine Aufsicht wert sei, die nur begleite, wollte der Linken-Obmann Axel Troost von Sanio wissen. "Schreiben Sie mir einen neue gesetzliche Grundlage", antwortete der. Nur aus dem Eindruck heraus, "bei der Bank läuft es nicht", könne die Aufsichtsbehörde nichts tun, wenn die Liquidität noch da ist.
Hätte nicht die Depfa losgelöst in die Insolvenz geführt und so die deutschen Anteile der HRE gerettet werden können, fragten die Abgeordneten. Aus "insolvenzrechtlichen Gründen" sei dies nicht möglich gewesen, bedauerte Sanio. "Die Depfa hätte man eigentlich in der irischen See versenken sollen." Ob es "Alarmsignale" an das BMF gegeben habe, wollte die SPD-Obfrau Nina Hauer wissen. Über die "latente Gefährdungssituation" der Bank sei regelmäßig auf "Fachebene" berichtet worden, antwortete Sanio. Seiner Ansicht nach hätte aber auch das BMF die Lage nicht verbessern können.
Das sieht die Opposition anders: Laut FDP-Obmann Volker Wissing haben die Aussagen Sanios gezeigt, dass die HRE schon seit dem Frühjahr in bedrohliche Schieflage geraten sei. Währenddessen habe die Bundesregierung durch Abwesenheit geglänzt.
Die HRE selbst musste wenige Tage nach der Lehman-Pleite eine Liquiditätslücke in Höhe von 15 Milliarden Euro einräumen. Der ehemalige HRE-Vorstandschef Georg Funke hatte daher erst bei der Deutschen Bank und später auch bei der Commerzbank angefragt, ob die Institute entweder an einer Übernahme seines Hauses interessiert oder zur Bereitstellung eines 15 Milliarden Überbrückungskredites gegen "geprüfte Sicherheiten" bereit seien. Daraufhin wurde bei der Überprüfung durch ein Team der Deutschen Bank ein wesentlich höherer Liquiditätsbedarf von mindestens 27 Milliarden Euro ermittelt. Die Gewährung einer Kreditlinie kam daher für beide Institute nicht mehr in Frage. Da damit die HRE kurz vor dem Aus stand, versuchte die Bafin am letzten Septemberwochenende mit Vertretern privater Banken eine "Branchenlösung" zu erreichen. "Wir haben uns um eine tragfähige Lösung durch das private Bankgewerbe bemüht", sagte HVB-Vorstand Sprißler vor dem Ausschuss. Erst als deutlich geworden sei, dass "das für die Banken nicht zu stemmen war, kam der Steuerzahler ins Spiel", ergänzte Sanio.
Gemeinsam mit Bundesbank-Präsident Axel Weber habe er daraufhin das BMF informiert, von dort aber erfahren, der Bund wolle sich finanziell nicht beteiligen. Zudem gab es laut Bafin-Chef lediglich die Bereitschaft "einen niederrangigen Beobachter zu schicken". Auf die Frage des CDU-Obmannes Leo Dautzenberg, ob der von der Deutschen Bank inzwischen mit 35 Milliarden angegebene Liquiditätsbedarf bei der HRE von irgendeiner Seite angezweifelt oder geprüft worden sei, sagte Sanio, er habe keinen Grund gesehen, den von der Deutschen Bank ermittelten Zahlen zu misstrauen. Wie es denn schon nach wenigen Tagen zu einer Erhöhung des Liquiditätsbedarfs um weitere 15 Milliarden Euro auf dann 50 Milliarden kommen konnte, war eine weitere Frage, auf die die Zeugen inhaltlich weitgehend deckungsgleich antworteten. Das habe mit der "schlechten Bonität" der HRE zu tun, sagte Commerzbank-Chef Martin Blessing. Sanio erklärte den Mehrbedarf mit "irrsinnigen Sicherheiten", die gefordert wurden.
Sanio, wie auch Ackermann, Sprißler und Blessing betonten, an diesem Wochenende sämtliche Szenarien geprüft zu haben - auch das einer Insolvenz der Depfa plc. Nach Ansicht der Bankenvertreter sei diese jedoch zu eng mit dem Mutterkonzern verknüpft gewesen, als dass es nicht auch Folgen für den deutschen Finanzsektor mit sich gebracht hätte. Die Frage nach einer Insolvenz der irischen Tochter hatte sich nicht zuletzt deshalb gestellt, weil der nach der Krise neu berufenen HRE-Vorstandsvorsitzende Axel Wieandt vor dem Ausschuss eingeräumt hatte, dass 80 Prozent der staatlichen Garantien für die HRE nach Irland gegangen seien.
Die Bundesregierung nahm in Person des Staatssekretärs im Finanzministerium, Jörg Asmussen, erst ab 17 Uhr am Sonntag an den Verhandlungen teil. Zu spät und zudem unvorbereitet sei der Staatssekretär gekommen, kritisiert die Opposition. Die Banken-Chefs teilten diese Auffassung nicht. Man hätte sich zwar gewünscht, "dass jemand mit Statur früher gekommen wäre", wie Sprißler sagte. "Zwingend notwendig" sei jedoch eine Anwesenheit von Anfang an nicht gewesen. Ackermann betonte: "Wenn die Bundesregierung auf Taktik gespielt hat, dann hat sie es sehr mutig getan." Von einer "mutigen Strategie, von der ich viel gelernt habe", sprach Blessing. Auch er hätte sich ein früheres Erscheinen gewünscht, räumte jedoch ein, dass diese "Strategie" der Bundesregierung für ein aus ihrer Sicht "gutes Ergebnis" gesorgt habe. Am Ende der Verhandlungen hätten die Banken mit 8,5 Milliarden Euro einen Betrag, der "an die Grenze der Belastbarkeit stößt" und deutlich über den ursprünglich geplanten 2 Milliarden liegt, beigesteuert. Zur Rolle Asmussens sagte der Commerzbank-Chef: "Der war voll im Film, als er erschien."
Diese Einschätzungen ändern jedoch nichts an der Haltung der Opposition. Es sei kaum verwunderlich, dass sich die beiden Verhandlungspartner gegenseitig attestieren, wie toll sie verhandelt hätten, sagte Grünen-Obmann Gerhard Schick, der nach wie vor in Frage stellt, ob das späte Erscheinen Asmussens tatsächlich eine Strategie der Bundesregierung war oder nicht vielmehr dem Umstand geschuldet war, dass man das Problem nicht ernst genug genommen habe. Ende August, wenn Asmussen und Bundesfinanzminister Peer Steinbrück (SPD) als Zeugen geladen sind, kann Schick sich die Frage beantworten lassen.