BUNDESRAT
Parlamentarisch ist der Weg für die Ratifizierung des EU-Vertrags frei. Doch eine neue Verfassungsbeschwerde droht
Die Ratifikation des EU-Reformvertrages hat in Deutschland die letzte parlamentarische Hürde genommen. Am 18. September stimmte der Bundesrat den vier Begleitgesetzen ( 16/13923, 16/13924, 16/13925, 16/13926) zum Lissabonner Vertrag einhellig zu - zehn Tage nachdem bereits der Bundestag grünes Licht gegeben hatte. Jetzt muss nur noch Bundespräsident Horst Köhler die Gesetze und anschließend die Ratifizierungsurkunde unterschreiben. Schon in dieser Woche sollen die Begleitgesetze im Bundesgesetzblatt veröffentlicht werden.
Die uneingeschränkte Zustimmung des Bundesrates galt nicht als vollkommen sicher - die Länder hatten zunächst erwogen, gegen das nicht zustimmungspflichtige Gesetz zur Zusammenarbeit von Regierung und Bundestag in EU-Angelegenheiten Einspruch einzulegen und den Vermittlungsausschuss anzurufen. Sie hatten in einigen Punkten gleichlautende Mitspracherechte gefordert, insbesondere im Bereich der kommunalen Daseinsvorsorge.
Wolfgang Reinhart (CDU), der Vorsitzende des Bundesrats-EU-Ausschusses sowie Europaminister von Baden-Württemberg, bedauerte schon im Vorfeld der Bundesratssitzung, dass in diesem Punkt kein Einvernehmen mit dem Bundestag erzielt worden sei. Es sei ein "Wermutstropfen in der sonst erfreulichen Zusammenarbeit". Reinhart, der als Verhandlungsführer der Länder in der Bund-Länder-Arbeitsgruppe an der Ausarbeitung der Gesetzentwürfe mitgewirkt hatte, bedauerte insgesamt, dass der Katalog der EU-Vorhaben, bei denen eine Mitwirkung des Bundesrates vorgesehen ist, zwischen Bundesrat und Bundestag "differiere".
Dennoch konnte die Länderkammer in den Verhandlungen insgesamt mehr Mitwirkungsrechte durchsetzen, vor allem im Bereich der Subsidiarität und in Verfahrensfragen. So ist künftig auch die Zustimmung des Bundesrates bei der Anwendung von Brückenklauseln erforderlich. Sie ermöglicht es der EU, mehrheitlich statt einstimmig zu entscheiden. Auch hinsichtlich der Flexibilitätsklausel ist jetzt ein Zustimmungsgesetz Voraussetzung dafür, dass die Bundesregierung im Rat die Ausweitung von Kompetenzen für die Europäische Union billigen darf. Der Bundesrat kann in Zukunft außerdem - und zwar unabhängig vom Bundestag - die "Notbremse" ziehen, wenn er meint, dass ein europäisches Vorhaben die ländereigene Rechtsordnung beeinflusst. Im Bundesrat machte Wolfgang Reinhart denn auch deutlich, dass er mit dem Gesetzespaket insgesamt zufrieden ist: Es erfülle die Vorgaben, die das Bundesverfassungsgericht in seinem Urteil vom 30. Juni gemacht habe und enthalte klare und verbindliche Bestimmungen über die zukünftige Mitwirkung von Bundestag und Bundesrat in EU-Angelegenheiten. In Zukunft müssten sich beide Kammern "vertieft" mit europäischen Themen befassen. Die bayerische Europaministerin Emilia Müller (CSU) bezeichnete die Begleitgesetze ebenfalls als "wichtigen Schritt, um das Demokratiedefizit der EU zu beheben", betonte aber auch, dass es noch offene Punkte gebe. Sie forderte unter anderem "mehr kommunale Gestaltungmacht" Der hessische Europaminister Jörg-Uwe Hahn (FDP) kündigte an, sich dafür einsetzen zu wollen, dass "Regelungsdickicht" der vier Begleitgesetze in einem einheitlichen Europa-Gesetz zusammenzuführen.
Überraschend deutliche Worte richtete der nordrhein-westfälische Ministerpräsident Jürgen Rüttgers (CDU) an die Karlsruher Richter: Er warf dem Bundesverfassungsgericht "überholtes Denken" vor. Das hinter dem Urteil stehende Staatsverständnis sei "zu traditionell, zu sehr auf eine angebliche Einheit von Volk, Nation und Staat fixiert". Dabei vereine die EU nicht Staaten, sondern Völker. Seine Vision machte Rüttgers klar: "Das große Ziel auf dem weiteren Weg ist für mich die Bundesrepublik Deutschland als Teil der Vereinigten Staaten von Europa."
Unterdessen kündigt sich neuer Ärger an: Der frühere Thyssen-Chef Dieter Spethmann hat ein zweites Mal Verfassungsbeschwerde gegen die Begleitgesetze angekündigt. Seiner Ansicht nach sei die Integrationsverantwortung des Bundestages unzureichend ausgestaltet. Spethmann will die Ratifizierung des Vertrages jetzt per Eilantrag vorerst stoppen lassen.