RUMÄNIEN
Der Machtkampf zwischen Präsident und Parlament nimmt an Schärfe zu
In Bukarest ist man Chaos gewöhnt. Nachmittags in den Straßen zum Beispiel. Selbst bei Grün steht der letzte Schwung Autos noch mitten in der Kreuzung, man fährt bis an die Türen der Verstopfer, um alsbald selbst einer zu sein. Auf drei Spuren drängeln sich sechs Fahrzeuge neben einander. Und man tut, was man kann: Hupen.
Das, was derzeit in der Politik Rumäniens vor sich geht, hat durchaus Ähnlichkeiten mit jenem allgegenwärtigen Blechinfarkt: Alle wollen ans eigene Ziel kommen, doch abwechselnd stellen sich Parlamentsmehrheit und Präsident quer: sodass gar nichts geht, begleitet von einem rhetorischen Hupkonzert.
Rumänien hat derzeit keine demokratisch legitimierte Regierung. Der noch amtierende Ministerpräsident Emil Boc und sein Kabinett sind über ein Misstrauensvotum am 13. Oktober gestürzt. Der von Präsident Traian Basescu nominierte Kandidat für das Amt, Lucian Croitoru, kann nicht damit rechnen, vom Parlament gewählt zu werden. Und der von der Parlamentsmehrheit vorgeschlagene Klaus Johannis hat bei Basescu keine Chance.
Hintergrund der politischen Krise ist die schon am 22. November anstehende Präsidentschaftswahl, in der die beiden Führer der größten Oppositionsparteien - Mircea Geona von den Demokratischen Sozialisten (PSD) und Crin Antonescu von den Nationalliberalen (PNL) - gegen Amtsinhaber Basescu antreten werden. Bisher war die PSD Juniorpartner in Bocs Regierung und stellte mit Dan Nica etwa den Innenminister. Boc, der als enger Vertrauter des Präsidenten gilt, entließ Nica am 1. Oktober. Anlass dafür waren dessen indirekte Vorwürfe an das Basescu-Lager, generalstabsmäßig Wahlbetrug zu planen.
Politische Analysten sahen in der Entlassung des Innenministers vor allem den Versuch des Präsidenten, seinen politischen Gegnern jegliche Kontrolle über den Wahlapparat zu entziehen. Die Folge war der Rücktritt aller PSD-Minister, das Misstrauensvotum am 13. Oktober und damit das Ende der Mitte-Rechts-Koalition.
Als Übergangs-Premier schlugen PSD, PNL und die Vertreter der ungarischen Minderheit Klaus Johannis vor. Er gehört der deutschen Minderheit an, ist mit überwältigender Mehrheit wiedergewählter Bürgermeister des siebenbürgischen Sibiu/Hermannstadt und gilt als unabhängiger, integrer, pragmatischer Macher. Basescu jedoch nominierte den ehemaligen Repräsentanten Rumäniens im Internationalen Währungsfonds, Lucian Croitoru. Dieser hatte bis zum Sonntag (nach Redaktionsschluss) Zeit, ein Kabinett zu bilden. Die Opposition, durch den PSD-Austritt aus der Regierung jetzt mit klarer Mehrheit ausgestattet, kündigte jedoch mehrfach an, eine solche Regierung im Parlament abzulehnen. Präsident Basescu könnte in diesem Falle erneut einen Kandidaten nominieren.
Die Opposition erwägt, das Verfassungsgericht anzurufen, um die Krise zu lösen. Der lautstarke Stillstand in der Politik wirkt sich nicht nur auf die Vorbereitungen der Präsidentschaftswahlen aus.
Er bedeutet auch Handlungsunfähigkeit in einer wirtschaftlich prekären Lage. Eine für den 21. Oktober geplante Mission des Internationalen Währungsfonds wurde von der Regierung abgesagt. Es sollte um die Zuteilung weiterer Gelder aus dem 20-Milliarden-Euro-Rettungskredit gehen, der Rumänien im Jahr 2008 vor dem Bankrott bewahrte. Ein neuer Termin soll erst festgelegt werden, wenn es eine neue handlungsfähige Regierung gibt.