Angela Merkel
Die Journalistin Margaret Heckel porträtiert den Regierungsstil der Kanzlerin
So regiert die Kanzlerin wahrscheinlich wirklich: volle Terminkalender mit Konferenzen, Besprechungen, telefonieren, Reden halten, unterbrochen durch Hubschrauberflüge oder einen Kurztrip nach Washington, Paris, London oder in die bundesdeutsche Provinz. Dazwischen immer wieder Rückkehr an den Schreibtisch im siebten Stock des Kanzleramts. Vorlagen lesen, Abwägen, Abstimmungen treffen und am Ende Entscheidungen treffen - und das alles von frühmorgens bis spät in die Nacht.
Margaret Heckel hat Angela Merkel besonders in den spannenden Wochen der einsetzenden Finanz- und Bankenkrise aufmerksam beobachtet. Herausgekommen ist dabei eine spannend, ja aufregend zu lesende Reportage. Mehr noch: Die langjährige Politikchefin der "Financial Times" und der "Welt" hat eine Art Krisen-Tagebuch über Angela Merkel und die Banken- und Wirtschaftskrise geschrieben, über das Hin und Her rund um Opel und die Auflegung milliardenschwerer Konjunkturprogramme. Vor allem aber hat Heckel über die Wochen und Monate geschrieben, als die Exekutive, das Kanzleramt, die Politik an sich zog, weil gehandelt werden musste, schnell und durch die Umstände gezwungen und in der Merkel wahrscheinlich erst so richtig in ihre Rolle als Krisenkanzlerin hineinwuchs.
Zu Gute kommen Heckel dabei ausführliche Gespräche mit engen Wegbegleitern von Merkel wie Kanzleramtsminister Thomas de Maizière, Merkels Bürochefin Beate Baumann, ihrem Regierungssprecher Ulrich Wilhelm und den Wirtschafts- und Außenpolitikexperten im Kanzleramt Jens Weidmann und Christoph Heusgen. Und natürlich hat die Autorin die Kanzlerin auf etlichen Auslandsreisen immer wieder auch aus nächster Nähe erlebt.
Dabei gelingen der Autorin etliche sehr treffende Beobachtungen über den Regierungsstil Merkels. Etwa, wenn sie schreibt, dass Merkel vielleicht der einzige Machtmensch des Landes ist, dem vorgeworfen wird, eine Moderatorin zu sein. All diejenigen, die unter Führung "Du-voran-wir-folgen-dir" verstehen, würden mit ihr nicht glücklich werden. Angela Merkel führe anders, nicht weil sie eine Frau sei, sondern weil sie Naturwissenschaftlerin sei. Nahe Beobachter Merkels zitiert Heckel, die meinen, sie denke vielleicht eher zu lang als zu kurz nach. "Doch wenn sie etwas entschieden hat, ist sie darüber auch sehr klar und verfolgt das allen Hindernissen zum Trotz." Das sind Einsichten, die auch auf den Politikstil der nächsten vier Jahre schließen lassen, der sich wohl nicht grundsätzlich von der Zeit der großen Koalition unterscheiden wird.
Die journalistische Nähe führt aber nicht dazu, dass Heckel nicht auch kritische Worte über die Kanzlerin äußert. Zum Beispiel, dass Merkel von ihrer ganzen Persönlichkeitsstruktur kein Typ sei, der sich Gedanken über Begrifflichkeiten mache. Bis heute, so die scharfsichtige Beobachterin, gebe es keinen griffigen Slogan für die Amtszeit Merkels oder ihre Ziele. In einer Zeit, in der Politik derart stark durch Medien bestimmt wird, ist dies eigentlich mehr als erstaunlich. Vielleicht wird Guido Westerwelle als Vizekanzler hier mehr Farbe in die politische Debatte bringen.
Überhaupt schildert Heckel den Politikbetrieb in erster Linie aus der Sicht des Kanzleramts. Wer dies liest, könnte glauben, Deutschland werde von einer Handvoll verschwiegener Merkel-Getreuer, einer Art Küchenkabinett, regiert. Wie groß der Abstimmungsprozess und wie schwierig das Politikgeschäft nicht nur der Kanzlerin, sondern auch der Parteivorsitzenden Merkel ist, geht dabei leicht verloren. Aber gerade das wird Angela Merkel nach dem desaströsen Wahlergebnis für ihre Partei vermutlich in den nächsten vier Jahren vor allem beschäftigen. Nicht "So regiert die Kanzlerin", sondern "Was will die Kanzlerin" wird dabei die Frage sein, auf die in erster Linie Angela Merkel selbst den Menschen eine bessere Antwort geben muss, als sie dies bisher getan hat.
So regiert die Kanzlerin. Eine Reportage.
Piper Verlag, München 2009; 256 S., 14,95 ¤