Auf dem großformatigen Foto ist vor allen Dingen Leere zu sehen: Brachliegendes Land, in der Mitte eine lange, hohe Betonmauer. Ein paar Häuser, Bäume und sogar spielende Kinder sind da, doch mittendrin ein deutlicher Bruch in der Stadtlandschaft. Ein weiteres Bild vermittelt denselben Eindruck: Eine Straße, auf der einen Seite mehrstöckige Wohnhäuser mit regelmäßig angeordneten Balkons, am Gehweg davor stehen im immer gleichen Abstand Straßenlampen. Auf der anderen Seite zieht sich die hohe graue Mauer bis in den Horizont. Einige große Stücke sind herausgebrochen und liegen im Straßenstaub. Darauf steht "frei atmen". Am Bildrand ist eine Brücke zu sehen, unter der man durchfahren kann.
"Die geteilte Stadt - Topografie der Berliner Mauer" heißt die neue Ausstellung im Bundestag mit neun großformatigen Bildern des Berliner Fotografen Karl-Ludwig Lange. Er hat die Stadt kurz nach der Wende fotografiert und wollte die Auswirkungen festhalten, die die jahrzehntelange Teilung durch die Mauer hatte. Entstanden sind Bilder, auf denen deutlich wird, wie stark diese Grenze sich nicht nur auf das Leben der Menschen, sondern auch auf das Stadtbild ausgewirkt hat.
Bundestagspräsident Nobert Lammert wies zur Eröffnung auf den besonderen Ort der Ausstellung und den besonderen Tag ihres Beginns hin. Erstmals gebe es eine Ausstellung am Mauer-Mahnmal des Bundestages. "Es gibt keinen Ort im Parlamentsviertel, der sich besser denken lassen würde", sagte Lammert. Der Architekt Stephan Braunfels hatte Mauerteile im Marie-Elisabeth-Lüders-Haus aufstellen lassen, die genau dem ehemaligen Mauerverlauf folgen. Darauf aufgemalt sind in schwarzer und weißer Farbe die Jahre, während derer die Mauer existierte, und die Zahl der Mauertoten für jedes Jahr. "Hier im Raum werden Brüche augenfällig", sagte Lammert. Die Mauerteile transportierten die "ebenso simple wie deprimierende Botschaft", dass es sich bei dem Werk nicht nur um ein "städtebauliches Monstrum" gehandelt habe, sondern dass dort auch Menschen ihr Leben ließen. Die Ausstellung wurde am 4. November eröffnet, dem 20. Jahrestag der großen Demonstration von DDR-Bürgern auf dem Alexanderplatz in Berlin - "einem der Höhepunkte der Demokratiebewegung", betonte Lammert.
In diesen Wochen fänden hunderte Veranstaltungen zum Mauerfall statt. "Erinnerung braucht Stützen", sagte er. "Ereignisse, die wir jahrzehntelang für ausgeschlossen hielten, halten wir plötzlich für selbstverständlich, wenn sie passieren." Die Veranstaltungen machten deutlich, dass es sich um ein globales Ereignis gehandelt habe.
Für den Kurator der Kunstsammlung des Bundestages, Andreas Kaernbach, zeigen die Fotos "einen Augenblick des Atemholens". Sie ließen einen über Geschichte philosophieren. Die "große Welle" des Mauerfalls sei vorbei gewesen, "das Beengende wird aufgesprengt, man kann wieder frei atmen", sagte er mit Blick auf das Mauerstück mit dem Schriftzug "frei atmen".
Die zentrale Botschaft der Bilder sei die Erinnerung an die negativen Seiten des Falls der Mauer. "Der Mauerfall war nicht nur ein fröhliches Fest, die Mauer war immer mit Wunden und Tod verbunden", sagte Kaernbach. Die Brachflächen zeigten die "Spur des Todes", die sich durch die Stadt gezogen habe.
Der 1949 in Minden, Westfalen, geborene Lange zog 1967 nach West-Berlin, um sich zum Fotografen ausbilden zu lassen. Lange ist auf Serien von Schwarz-Weiß-Fotografien spezialisiert. Seine Themen sind Stadtgeschichte und Industriearchäologie. Dabei interessiert ihn nicht die Architektur als solche. Er sieht die Bauwerke in ihrem Zusammenhang mit sozialen und gesellschaftlichen Phänomenen. Lange gehört zu den wichtigsten Vertretern der Stadtfotografie in Deutschland.
Die Ausstellung ist bis zum 9. Mai 2010 von freitags bis sonntags zu sehen. Der Eintritt ist frei.