Einleitung
Die Bedeutung dessen, dass Südafrika im (europäischen)
Sommer 2010 Gastgeber der nächsten
Fußballweltmeisterschaft sein wird, geht weit über die
Tatsache hinaus, dass dieses Großereignis zum ersten Mal auf
dem afrikanischen Kontinent ausgetragen wird. Es ist vielmehr so,
dass die WM aufgrund ihrer Größe und der für die
Austragung notwendigen finanziellen Investitionen zahlreiche
langfristige Auswirkungen auf die wirtschaftliche und soziale
Entwicklung Südafrikas haben wird. Führende Politiker des
Landes haben jahrelang große Hoffnungen geweckt, was die
Folgen für den Arbeitsmarkt und das Wirtschaftswachstum
angeht. Während dies in der südafrikanischen Gesellschaft
zunächst zu hohen Erwartungen geführt hat, ist die
öffentliche Meinung in den vergangenen Jahren vielschichtiger
und zwiespältiger geworden. Die WM ist in erheblichem
Maße zu einem Teil von Südafrikas Politik zur
Überwindung der Klassengegensätze geworden, da immer
häufiger gefordert wird, dass von der Veranstaltung nicht nur
große Unternehmen und die Reichen, sondern auch die Armen
profitieren sollten. Dies stellt die Regierung von Präsident
Jacob Zuma vor etliche Herausforderungen. Sie muss nicht nur ein
gut organisiertes und sicheres Turnier garantieren, das
internationalen Ansprüchen genügt, sondern außerdem
auf eine immer unruhiger werdende Wählerschaft reagieren. In
Hinblick auf vergangene in Südafrika ausgerichtete
Sportveranstaltungen besteht die Chance, dass die WM 2010
Rassenversöhnung und Nationenbildung (nation building)
fördert, selbst wenn dies nur von kurzer Dauer sein sollte.
Dies hängt jedoch davon ab, ob die internationale Gemeinschaft
das Ereignis rückblickend als gelungen bewerten wird und ob
die Menschen in Südafrika das Gefühl haben werden, dass
das Turnier ihnen echte materielle Vorteile gebracht hat.
Politik der Sport-Mega-Events in
Postapartheid-Südafrika
Die Fußball-WM in Südafrika muss vor dem Hintergrund der
wachsenden internationalen politischen und ökomischen Relevanz
von Sportgroßveranstaltungen und der Beziehung zwischen Sport
und Politik in Postapartheid-Südafrika gesehen werden. Das
Eliteturnier des Weltfußballverbandes Fifa ist ein
erstrangiges Mega-Event, wie es im Buche steht: Das heißt, es
ist ein groß angelegter und prestigeträchtiger
Sportwettbewerb mit Spitzensportlern, der regelmäßig und
abwechselnd an unterschiedlichen Orten der Welt veranstaltet wird.
Sportliche Großereignisse kennzeichnet, dass sie
international ein hohes Maß an Interesse hervorrufen,
große Publikumsmengen anziehen und über hohe
Unternehmensinvestitionen und -erträge verfügen
können. Hinsichtlich der Zuschauerzahlen und Einnahmen ist die
Fußball-WM das größte Ereignis seiner Art, dicht
gefolgt von den Olympischen Spielen. Sie unterscheiden sich darin,
dass die WM in mehreren Städten ausgetragen wird. Beide sind
jedoch globale Medienereignisse mit enormer wirtschaftlicher
Bedeutung für Interessengruppen innerhalb und außerhalb
des Sportsektors.
1 Allgemein ist es für viele
Regierungen auf der ganzen Welt immer attraktiver geworden,
Gastgeber von Sportgroßveranstaltungen zu werden. Mehrere
Faktoren spielen hier - im Zusammenhang mit der wachsenden
Bedeutung von Sport im Allgemeinen und Sportgroßereignissen
im Besonderen - eine Rolle. Zu nennen sind hier etwa die Suche
staatlicher Einrichtungen nach alternativen
Entwicklungsmöglichkeiten in der zunehmend verflochtenen und
konkurrenzbetonten Welt sowie neue symbolische und politische
Werte, die Freizeit und Konsum zugeschrieben werden.
2 All dies resultiert in
der extremen Kommerzialisierung groß angelegter
Sportveranstaltungen, was wiederum dazu beiträgt, dass die
Gastgeberschaft derartiger Veranstaltungen mit wirtschaftlichem
Nutzen verbunden wird. Vor diesem Hintergrund liegt es nahe, die
Fußball-WM als Höhepunkt einer erweiterten Strategie der
südafrikanischen Regierung zu betrachten, Sportveranstaltungen
zu nutzen, um das Land auf internationaler Bühne prominenter
zu positionieren. Auf diese Weise sollen ausländische
Direktinvestitionen angezogen und die Attraktivität des Landes
als Urlaubsziel gesteigert werden. Tatsächlich hat sich
Südafrika seit dem Ende der Apartheid um eine ganze Reihe von
bedeutenden Sportveranstaltungen bemüht. So richtete es 1995
die Rugby-WM aus, und 1996 war das Land Austragungsort der alle
zwei Jahre stattfindenden kontinentalen Fußballmeisterschaft,
des Africa Cup of Nations. 1999 fanden die Panafrikanischen Spiele
sowie 2003 zwei weitere Weltmeisterschaften in Südafrika statt
- die des Cricket-Weltverbandes und die Golf-WM der Damen. Die
Bewerbung Kapstadts um die Austragung der Olympischen Spiele 2004
blieb zwar erfolglos, aber es wird spekuliert, dass sich mit Durban
eine weitere südafrikanische Stadt für die Spiele im Jahr
2020 bewerben könnte. Der Zuschlag für die Austragung der
Fußball-WM 2010 stellt jedoch einen besonderen Triumph dar
und eine einzigartige Gelegenheit, das Land der
Weltöffentlichkeit zu präsentieren.
3 Das Bestreben
südafrikanischer Politiker, große internationale
Sportveranstaltungen ins Land zu holen, hängt zudem mit einer
historisch bedingten engen Beziehung zwischen Sport und Politik
zusammen. Schon vor geraumer Zeit haben Historiker und Soziologen
darauf hingewiesen, dass Sport eine wichtige Rolle bei der
Entstehung gesellschaftlicher Identitäten und der
Aufrechterhaltung der Rassentrennung gespielt hat.
4 Zum Beispiel wurde
Rugby während der Apartheid von einigen Angehörigen der
Afrikaner community mit Werten wie Männlichkeit, Kulturstolz
und Überlegenheit verbunden und von ihnen als symbolisches
Schlüsselattribut des "Afrikanertums" betrachtet.
5 Im
Gegensatz dazu entwickelte sich Fußball (bzw. soccer in
Südafrika) zum Sport vornehmlich der schwarzen
Bevölkerung. Ab den 1950er Jahren und mit zunehmender
Beliebtheit wurde Fußball zu einem Teil der sozialen
Protestbewegung gegen die weiße Minderheitsregierung.
6 Insgesamt
gesehen, ist Sport ein Bereich, in dessen Rahmen viele Fragen zu
Südafrikas Rassenpolitik debattiert worden sind - und das oft
mit großer Tragweite. Da Sport einen derart wichtigen Teil
der soziokulturellen Vorstellungswelt ausmacht, bedeuteten die
internationalen Boykotts, durch die Südafrika während der
Apartheid von der Teilnahme an großen Wettkämpfen
ausgeschlossen war, sehr konkrete Konsequenzen für die
Gesellschaft als Ganzes. In der Zeit nach der Apartheid gewann
Sport neue Bedeutung als ein Mittel zur Überwindung von
Rassenunterschieden und zur Schaffung einer gemeinsamen nationalen
Identität. Der ehemalige Sportminister Makhenkesi Stofile zum
Beispiel stellte fest, Sport sei "ein sehr wichtiger Teil der
Gesellschaft (...). Auch unser Land trägt eine Verantwortung,
Sport als Hilfsmittel zu nutzen, um das Land und unser Volk in eine
bestimmte Richtung zu lenken - die Richtung eines vom Rassismus
befreiten Südafrikas (...). Also müssen wir den Sport
für das nation building nutzen. Wir müssen ihn nutzen, um
Selbstwertgefühl und Nationalstolz zu stärken. Wir
dürfen nicht an Paradigmen festhalten, die Apartheidstereotype
aufrechterhalten."
7 Bei der Rugby-WM 1995, kurz nach
den ersten demokratischen Wahlen, wurde erstmals im Rahmen einer
Großveranstaltung die Verbindung von Sport und nation
building geknüpft. Der Turniersieg der größtenteils
weißen südafrikanischen Rugbymannschaft wurde nach dem
letzten Spiel vom damaligen Präsidenten Nelson Mandela
gefeiert, der bei seiner Ankunft am Stadion ein springboks-Trikot
trug - und somit die Farben der Rugby-Nationalmannschaft, die in
der Zeit des Befreiungskampfes als ein Symbol des
Apartheidrassismus galten. Mandelas offene Übernahme dieses
Symbols signalisierte eine neue Ära der Versöhnung, an
der alle Bevölkerungsgruppen teilhaben sollten, um ein
vereintes und blühendes Südafrikas zu zeigen, das bereit
ist, seinen Platz in der internationalen Gemeinschaft einzunehmen.
8 Dieselbe
Symbolik war auch während der 1996 in Südafrika
ausgetragenen Fußball-Afrikameisterschaft offenkundig. Die
erstmalige Teilnahme an diesem Turnier sollte die Integration des
Landes in den afrikanischen Kontinent verdeutlichen.
Südafrikas Bewerbungskampagnen für die Austragung
großer Sportereignisse werden seither von diesen Aspekten
beflügelt. Durchaus bemerkenswert sind dabei zwei Elemente,
welche die Bewerbung um die WM 2010 charakterisierten: erstens der
Versuch, die Veranstaltung als Katalysator für die Einheit des
Landes zu nutzen, und zweitens die Betonung darauf, wie das
Ereignis dem Land innerhalb von Afrika und darüber hinaus zu
einer einflussreicheren Rolle verhelfen könnte. Im Rahmen der
letzten Bewerbungsrunde im Mai 2004 erklärte der damalige
Präsident Thabo Mbeki gegenüber der Fifa-Führung
beispielsweise, dies sei "eine afrikanische Hoffnungsfahrt -
Hoffnung, dass wir in einer Zukunft ankommen werden, in der unser
Kontinent frei ist von Krieg, Flüchtlingen und Vertriebenen,
frei von Gewaltherrschaft, von rassischen, ethnischen und
religiösen Konflikten, von Hunger und dem Gewicht unserer
jahrhundertelangen Leugnung der Menschenwürde. (...) Nichts
könnte unserem Volk jemals mehr Antrieb geben, sich für
den eigenen und Afrikas Aufschwung einzusetzen, als (...) die
erfolgreiche Austragung der Fußball-WM 2010."
9 Der Präsentation
wohnten auch Erzbischof Desmond Tutu und die ehemaligen
Präsidenten Mandela und Frederik Willem de Klerk bei, die
hohes moralisches und diplomatisches Ansehen in der internationalen
Gemeinschaft genießen. Ihre Anwesenheit sollte zum Ausdruck
bringen, dass Südafrika eine versöhnte Nation ist, die es
verdient hat, die WM auszurichten, um den Wandel nach dem Ende der
Apartheid zu stärken.
Wirtschaftliche Auswirkungen
Trotz alledem ist unbestritten, dass bei den Bemühungen, im
eigenen Land Rückhalt für die WM-Bewerbung zu gewinnen,
wirtschaftliche Argumente eine wichtige Rolle gespielt haben. Seit
dem anfänglichen Bewerbungsverfahren sind grobe
Schätzungen über die volkswirtschaftlichen Effekte der WM
2010 nach oben korrigiert worden: War 2004 noch von 30 Milliarden
Rand die Rede, die durch die WM in das Land fließen
würden, gehen heutige Schätzungen von 56 Milliarden Rand
(etwa 5,1 Milliarden Euro) aus. Laut Grant Thornton, einer von der
südafrikanischen Regierung beauftragten Beraterfirma, werden
sich davon knapp 60 Prozent aus den Direktinvestitionen in Stadien
und Infrastruktur herleiten, während sich der Rest aus
Einnahmen aus dem Kartenverkauf, Zuschauerumsätzen, Tourismus
und Sponsorenschaften zusammensetzt. Ferner wird prognostiziert,
dass die Veranstaltung der Regierung 1,7 Milliarden Euro an
Steuereinnahmen einbringen und insgesamt bis zu 415 000 neue
Arbeitsplätze schaffen wird.
10 In Erwartung dieser positiven
Effekte versprach die Regierung, zwischen 2006 und 2010 mehr als
400 Milliarden Rand (etwa 36 Milliarden Euro) als Teil eines viel
größeren Investitionsprogramms zur Entwicklung der
Infrastruktur aufzuwenden, insbesondere zur Sanierung von
Einfuhrhäfen, Straßen, Eisenbahnlinien und der
Energieversorgung.
11 Ein positiver Aspekt daran ist,
dass staatliche Investitionen zur Vorbereitung auf die WM in
ohnehin dringend notwendige Infrastrukturprogramme fließen.
Ein beträchtlicher Anteil der 36 Milliarden Euro ist
beispielsweise für die Instandsetzung des desolaten
Straßennetzes und die Erneuerung des öffentlichen
Verkehrswesens vorgesehen. Diese Investitionen machen ungefähr
ein Zehntel des südafrikanischen Bruttoinlandsprodukts aus -
langfristig gesehen sind die Turnierkosten also erheblich
höher als etwa bei der WM 2006 in Deutschland. Um ein weiteres
Beispiel zu nennen: Die teuersten Olympischen Sommerspiele waren
die Spiele 2008 in Peking - mit etwa 28 Milliarden Euro. Zwar
beabsichtigen Südafrikas Behörden, die Weltmeisterschaft
2010 zur Ankurbelung neuer umfangreicher Entwicklungen im Land zu
nutzen; allerdings ist dies sehr kostspielig. Außerdem ist
offen, ob das Turnier die prognostizierten wirtschaftlichen
Vorteile tatsächlich erbringt. Die meisten Untersuchungen
vergangener Sportgroßereignisse zeigen, dass die
Veranstaltungen bestenfalls einen unwesentlichen Einfluss auf die
Makroökonomie der Gastgeberländer hatten.
Schlimmstenfalls können sie sogar Verluste und
öffentliche Verschuldungen nach sich ziehen, von denen sich
die ausrichtenden Städte unter Umständen erst etliche
Jahre später erholen.
12 Das bekannteste Beispiel
für einen solchen Fall ist Montreal, dessen Behörden sich
infolge der Olympischen Spiele 1976 erst 30 Jahre später
endgültig von den Schulden befreien konnten. Für die
Fußball-WM 2010 steht die zügige Entwicklung von drei
Infrastruktur-Arten im Vordergrund: die Stadien, das Verkehrswesen
sowie die Unterbringung der Touristen. Von den zehn WM-Stadien
werden sechs neu gebaut oder umgebaut (Kapstadt, Durban, "Soccer
City" Johannesburg, Port Elizabeth, Nelspruit und Polokwane),
während vier bereits vorhandene Stadien, die bislang vor allem
für Rugby genutzt wurden, erweitert bzw. modernisiert werden
(Bloemfontein, Ellis-Park-Stadion Johannesburg, Pretoria und
Rustenburg). Die Aussicht auf die Austragung besonders wichtiger
Spiele des Turniers hat viele Großstädte dazu
angetrieben, viel Geld in Vorzeigestadien zu investieren. Bei
einigen bedeutenderen ist der Bau jedoch von einer
explosionsartigen Kostenentwicklung gekennzeichnet. "Soccer City"
in Johannesburg zum Beispiel, das umgebaut wird, um die
Sitzplatzkapazität auf 94 700 zu steigern und während des
Turniers der Fifa und dem südafrikanischen
Fußballverband als Hauptgeschäftsstelle zu dienen, hatte
schon bis 2008 Mehrkosten in Höhe von 42 Millionen Euro
verursacht. Schätzungen zufolge wird auch der Bau des Stadions
in Kapstadt 220 Millionen Euro kosten - und somit erheblich mehr
als die ursprünglich veranschlagten 160 Millionen.
13 Die
Budgetüberschreitungen für den Stadionbau - verursacht
durch diverse Faktoren wie das hohe internationale Preisniveau
für Baumaterialien wie Zement - betrugen bis Ende 2008
geschätzte 212 Millionen Euro. Einige der wichtigsten
Verkehrsentwicklungen wie das Gautrain-Schnellzugsystem in der
Provinz Gauteng sind zudem von Terminverschiebungen und enormen
Kostensteigerungen betroffen. In der international düsteren
Wirtschaftssituation und angesichts der Tatsache, dass die
nationalen Wachstumsaussichten unter den
Energieversorgungsproblemen des Landes leiden, ist zu erwarten,
dass die südafrikanische Regierung letztlich weitaus mehr
für die WM 2010 ausgeben wird als ursprünglich geplant.
14
Andererseits argumentieren einige Ökonomen, dass die
Weltmeisterschaft konjunkturfördernde Effekte haben
könnte, die sich ausgleichend auf die Deflation auswirken
könnten, die für die nächsten Jahre erwartet wird.
15 Was
den Tourismus betrifft, betrachten die südafrikanischen
Behörden die WM als die Gelegenheit für die
internationale Vermarktung und ein (re)branding Südafrikas.
Tatsächlich war die frühzeitige Bewerbung für die WM
teilweise von der Aussicht motiviert, die Sportveranstaltung mit
einer internationalen Erneuerung des Images verbinden und den
Tourismussektor ankurbeln zu können. Seit der Apartheid hat
sich der Fremdenverkehr zu einem der wichtigsten
Wirtschaftssektoren in Südafrika entwickelt. Derzeit
verzeichnet die Branche jährlich knapp acht Millionen
Einreisende. Zur WM 2010 werden etwa 450 000 ausländische
Besucher erwartet, und Prognosen zufolge könnte der
WM-Tourismus dem Land 761 Millionen Euro einbringen.
16 Schon
frühzeitig haben Südafrikas Tourismusbehörden
festgestellt, dass im Land ein gravierender Mangel an
Unterkünften besteht, vor allem in Städten wie
Johannesburg und Durban.
17 Die Gastgeberstädte
bemühen sich, dieses Problem zu lösen, aber auch weniger
als ein Jahr vor Beginn der WM äußern hochrangige
Fifa-Funktionäre noch Bedenken. So erklärte zum Beispiel
Jérôme Valcke, der Generalsekretär des
Weltfußballverbandes, im September 2009 in einem Interview
mit einem deutschen Sportmagazin, er sei "nicht besorgt wegen der
Kartenverkäufe, sondern um die Unterbringung der Fans. Es ist
unser Anliegen, dass jeder Fan, der eine Eintrittskarte gekauft
hat, auch einen Flug und ein Zimmer bekommt. (...) Wir brauchen
genügend Unterkünfte für die Gäste sowie hohe
und sichere Transportkapazitäten."
18 Es überrascht somit nicht,
dass Fragen der Infrastrukturentwicklung und -kapazität in der
aktuellen Debatte um Südafrikas Stand der Vorbereitungen auf
die WM 2010 am heißesten diskutiert werden. Berichte der
internationalen Medien spiegeln eine tiefe Skepsis gegenüber
der Fähigkeit des Landes wider, eine Veranstaltung dieser
Größenordnung auszutragen. Südafrikas Organisatoren
und Behörden sehen sich zusätzlichem Druck ausgesetzt,
ihre Versprechen, denen zufolge die WM Arbeit schaffen und zu
wirtschaftlicher Entwicklung führen wird, erfüllen zu
müssen - nicht zuletzt wegen der äußerst
erwartungsvollen heimischen Wählerschaft. Somit ist gutes
Gelingen hinsichtlich der WM-bedingten infrastrukturellen
Entwicklungen von enormer Wichtigkeit - sowohl für eventuelle
langfristige sozioökonomische Auswirkungen, als auch für
ein gelungenes Turnier an sich und dessen positive Beurteilung.
Politische Herausforderungen
Die Umsetzung eines angemessenen Sicherheitsplans für die WM
stellt eine weitere Herausforderung dar. Das liegt daran, dass die
Behörden neben den Vorkehrungen, die bei einem Turnier dieser
Größenordnung zum Standard gehören - etwa gegen
Hooligans oder mögliche Terroranschläge - zusätzlich
Maßnahmen zur Kriminalitätsbekämpfung ergreifen
müssen. Südafrika hat international traurige
Berühmtheit für das Ausmaß an Kriminalität und
sozialer Gewalt erlangt, was abschreckend auf potenzielle
Turnierbesucher aus dem Ausland wirkt. Der Sicherheitsplan muss
also auch eine gute Kommunikationsstrategie enthalten, um negativen
Darstellungen entgegenzuwirken. Ein Entwurf, bei dem unter anderem
Deutschland und Interpol beratend zur Seite standen, ist von der
Fifa grundsätzlich gebilligt worden. Im Juni und Juli 2009
richtete Südafrika den Confederations Cup der Fifa aus, der
als Probelauf für die anstehende WM betrachtet wird.
Während des Turniers stellte sich heraus, dass die
Sicherheitspläne verbesserungsbedürftig waren. So hatte
das Organisationskomitee (Local Organising Committee, LOC)
versäumt, ein Sicherheitsunternehmen zu engagieren, was den
kurzfristigen Einsatz zusätzlicher Polizeibeamter erforderlich
machte. Nach vereinzelten kriminellen Zwischenfällen (zumeist
Raubüberfällen) gegen Turnierbesucher wurde in
internationalen Medien ausführlich darüber berichtet.
Daraufhin gab das LOC bekannt, dass es für die WM den Einsatz
von 41 000 zusätzlichen Sicherheitskräften plane und dass
die Polizei 700 Polizisten für Streifen an den
Austragungsorten bereitstellen werde.
19 Ein durchdachter und
effizienter Sicherheitsplan war auch für die gute
Atmosphäre bei der WM 2006 in Deutschland eine wichtige
Grundlage. Will Südafrika ähnliches erreichen, wird es
eine Menge leisten müssen, um den weitverbreiteten Zynismus zu
überwinden, der hinsichtlich seiner überdehnten
Sicherheits- und Polizeiinfrastruktur besteht. Eine weitere
Herausforderung bildet der im Vorfeld der WM 2010 politisierte
Vertrieb und Verkauf von Eintrittskarten im Inland. Damit
verknüpft sind weiterreichende Fragen nach der
möglicherweise elitären Art der Veranstaltung und der
Ausschlusswirkung auf die im Allgemeinen arme inländische
fußballbegeisterte Öffentlichkeit. Dies ist teilweise
auf den weiterhin rassistisch aufgeladenen Charakter von
Sportbeteiligung, -verbandswesen und -anhängerschaft in
Südafrika zurückzuführen, wobei Fußball noch
immer hauptsächlich von der schwarzen Bevölkerung
getragen wird. Die starke Betonung der WM als afrikanisches
Ereignis - und die Tatsache, dass als ein Hauptgrund für die
WM-Bewerbung angeführt wurde, dass das Turnier die Afrikaner
zusammenwachsen lassen würde - verpflichtet das LOC in
besonderem Maße. Dieser Schwerpunkt steht aber auch in
Zusammenhang mit dem Bestreben der Organisatoren, dafür zu
sorgen, dass die WM in ihrem Windschatten eine loyale Fangemeinde
hinterlässt und die Austragungsorte nach dem Ereignis nicht
brachliegen. Um die Verfügbarkeit von Tickets im Inland zu
verbessern, hatte das LOC mit der Fifa und der Match AG
ausgehandelt, dass "billigere" Karten ausschließlich
südafrikanischen Fans vorbehalten sind. Diese als "Kategorie
4" bezeichneten Tickets sind zu einem Festpreis von 20 US-Dollar
(etwa 13 Euro) für Spiele der Gruppenphase zu haben -
ungefähr ein Zehntel von Karten in der höchsten
Preiskategorie ("Kategorie 1"). Das LOC hat sich außerdem
verpflichtet, durch Kursschwankungen ausgelöste
Preiserhöhungen aufzufangen; durch "Einfrieren" des
Wechselkurses von 7 Rand zu einem US-Dollar bei Tickets der
Kategorie 4 wurden deren Preise schon frühzeitig auf 140 Rand
festgelegt. Allerdings gehören nur etwa vier Prozent aller zum
Verkauf durch die Match AG stehenden WM-Tickets zur Kategorie 4
(120 000 einer vorläufigen Gesamtkartenmenge von 3 037 468).
20 Das
heißt, dass nur ein kleiner Teil des einheimischen
WM-Publikums Zugang zu den erschwinglicheren Karten haben wird. Aus
Sorge, im internationalen Kartenverkauf könnten andere
afrikanische Länder zu kurz kommen, deutete das LOC
außerdem an, dass es gewährleisten wolle, dass auch im
Rest des Kontinents genügend Tickets erhältlich seien.
Trotz dieser Zugeständnisse befürchten die
WM-Organisatoren noch immer, dass nur wenige Südafrikaner
Karten für die Spiele kaufen werden. Beim Confederations Cup
2009 zum Beispiel blieben viele Sitze in den Stadien leer. Um mehr
Begeisterung und Rückhalt für die WM in der eigenen
Bevölkerung zu wecken, richteten die Fifa und das LOC im
August 2009 einen Kartenfonds ein, der 120 000 Freikarten an
bestimmte Zielgruppen wie Jugendliche aus den Townships und am
Stadionbau beteiligte Bauarbeiter verteilt. Angesichts der
Ungewissheit über die wirtschaftlichen Folgen der WM 2010 darf
man vermuten, dass die wichtigste Langzeitwirkung für
Südafrika in der Steigerung des Bürgerstolzes und in der
Imageförderung des Landes liegt. Wie bereits erwähnt,
gehören in der Postapartheid-Ära sportliche Leistungen zu
den Hauptbestandteilen des jungen südafrikanischen nation
building-Prozesses. Die neue Erfahrung, sportliche
Großveranstaltungen auszutragen und an ihnen teilzunehmen,
ist jedoch getrübt durch die im Allgemeinen hinter den
Erwartungen weit zurückbleibenden Leistungen der
Nationalmannschaften, was sich nicht nur negativ auf den
Rückhalt der Teams im eigenen Land auswirkt, sondern in vielen
Fällen auch auf die öffentliche Beachtung von
Sportereignissen. So schnitt beispielsweise die Cricket-Mannschaft
bei der WM 2003 in Südafrika unterdurchschnittlich ab, und ihr
vorzeitiges Ausscheiden dämpfte die Begeisterung für die
Veranstaltung als Ganzes. Auch die nach Peking zu den Olympischen
Spielen 2008 entsandte Mannschaft vermochte es nicht, eine einzige
Medaille zu gewinnen; in den Medien und in der öffentlichen
Diskussion wurde die glanzlose Leistung der Olympioniken auf
Faktoren wie mangelhafte Verbandsarbeit und die ständige
Einmischung der Politik in Sportangelegenheiten
zurückgeführt. Hierbei handelt es sich um allgemeine
Kritikpunkte gegenüber allen größeren Sportarten in
Südafrika. Während die Elite des Landes
Sportveranstaltungen also immer noch für wichtige Instrumente
hält, um politische Dividenden zu erzielen, haben die
allgemeine Leistungsschwäche in internationalen Vergleichen
und die offensichtlichen Defizite der südafrikanischen
Sportverwaltung in der breiteren Bevölkerung zu viel Zynismus
hinsichtlich fast aller Hauptsportarten geführt. In Bezug auf
den Fußball hat sich dies in den vergangenen Jahren noch
verschärft, weil die südafrikanische Nationalmannschaft,
gemeinhin bekannt als Bafana Bafana, konstant versagt hat: Bei
nahezu allen größeren internationalen Turnieren spielte
sie schwach und schaffte es nie, über die erste Runde
hinauszukommen. Seit den anfänglichen, von leidenschaftlicher
Unterstützung durch die Fans begleiteten Erfolgen (z.B. Gewinn
der Afrikameisterschaft 1996) hat es einen deutlichen
Leistungseinbruch gegeben. Da den Funktionären des
südafrikanischen Fußballverbandes nur zu bewusst ist,
welche Bedeutung eine gute Leistung der Nationalmannschaft bei der
WM im eigenen Land hat, investierten sie beträchtliche Mittel
in die Ernennung eines renommierten Trainers und verpflichteten
Carlos Alberto Parreira, der mit der brasilianischen
Nationalmannschaft 1994 die WM gewonnen hatte. Nach seinem
plötzlichen Rücktritt im April 2008 wurde der weniger
bekannte, aber ebenso teure Brasilianer Joel Santana engagiert, der
aber im Oktober 2009 nach einer Niederlagenserie wieder entlassen
und erneut durch Parreira ersetzt wurde. Diese Entwicklungen trugen
nicht gerade dazu bei, die tief verankerte Skepsis in Bezug auf die
Erfolgsaussichten der Bafana Bafana bei der WM 2010 zu verringern.
Eher haben die hohen Trainergehälter und die Tatsache, dass
die Vorstellungen der Nationalmannschaft nicht besser wurden, die
landesweite Geringschätzung des eigenen Teams noch
verstärkt. Für die Fifa könnte sich eine schwache
Leistung von Bafana Bafana als schädlich für die WM als
Ganzes erweisen. Die Verbesserung des Gastgeberteams ist deshalb
auch in ihren Augen eine der wichtigsten Aufgaben bei der
Vorbereitung der WM. In der Zwischenzeit hat die unlängst
konstituierte Regierung von Jacob Zuma mit wachsenden sozialen
Unruhen, Streiks städtischer Angestellter sowie Forderungen
nach einer Verbesserung des Dienstleistungssektors zu kämpfen.
Ausmaß und Gewalttätigkeit sozialer Proteste haben im
Laufe des Jahres 2009 kontinuierlich zugenommen. Wenngleich nicht
in direktem Zusammenhang mit der WM stehend, soll dennoch darauf
hingewiesen werden, dass eine wachsende Bürgerbewegung
entstanden ist, die fragt, worin der wahre Nutzen der gesamten
Veranstaltung liegen wird. Ein deutliches Beispiel dafür war
eine gewalttätige Demonstration Ende Oktober 2009 in einem
Township, das direkt an das Johannesburger Stadion "Soccer City"
angrenzt. Dabei schworen die Demonstranten, dass es "keine WM geben
wird, weil wir keine Häuser und keine Arbeit haben",
bemängelten, dass die Regierung "Geld in die WM steckt", und
fragten "warum steckt sie kein Geld in Wohnungsbau?"
21 Dies verdeutlicht
einmal mehr: Südafrikas politische Führer haben
zahlreiche Aufgaben zu bewältigen, die weit über die WM
hinaus gehen. Ob sie dazu in der Lage sind, ist ungewiss.
1 Übersetzung
aus dem Englischen: Jaiken Struck, South Petherton, England/UK.
Vgl. Maurice Roche, Mega-Events and Modernity. Olympics and Expos
in the Growth of Global Culture, London 2000; John Horne/Wolfram
Manzenreiter (eds.), Sport Mega-Events. Social Scientific Analyses
of a Global Phenomenon, Oxford 2006.
2 Vgl. Chris Gratton/Ian Henry (eds.),
Sport in the City. The Role of Sport in Economic and Social
Regeneration, London 2001; Alan Tomlinson/Christopher Young (eds.),
National Identity and Global Sports Events. Culture, Politics and
Spectacle in the Olympics and Football World Cup, Albany
2006.
3 Dies kommt in zahlreichen Dokumenten
staatlicher Stellen über das Potenzial der Weltmeisterschaft
zum Ausdruck. Vgl. z.B. Department of Environmental Affairs and
Tourism/South African Tourism, 2010 Soccer World Cup Tourism
Organising Plan, Pretoria 2005.
4 Vgl. Robert Archer/Antoine Bouillon,
The South African Game. Sport and Racism, London 1982; Albert
Grundlingh/Andre Odendaal/Burridge Spies, Beyond the Tryline. Rugby
and South African Society, Johannesburg 1995.
5 Vgl. David Black/John Nauright, Rugby
and the South African Nation. Sport, Cultures, Politics and Power
in the Old and New South Africas, Manchester 1998.
6 Vgl. Ben Couzens, An Introduction to
the History of Football in South Africa, in: Belinda Bozzoli (ed.),
Town and Countryside in the Transvaal, Johannesburg 1983, S. 198 -
214.
7 Makhenkesi Stofile, Budget Vote
speech, National Assembly, Cape Town, 22 May 2007.
8 Vgl. z.B. Albert Grundlingh, From
Redemption to Recidivism? Rugby and Change in South Africa During
the 1995 Rugby World Cup and its Aftermath, in: Sporting
Traditions, 14 (1998), S. 67 - 86; D. Black/J. Nauright (Anm.
5).
9 Thabo Mbeki, Presentation to the FIFA
Executive Committee on South Africa's Bid for the 2010 Soccer World
Cup, Zurich, 14 May 2004, online: www.anc.
org.za/ancdocs/history/mbeki/2004/tm0514.html (17. 6. 2004).
10 Vgl. 2010 tourism to grow despite
financial crisis, in: Business Report vom 24. 11. 2008.
11 Vgl. Trevor Manuel (Finanzminister
Südafrikas), Budget speech 2007, 21 February 2007, online:
www.info.gov.za/speeches/2007/07022115261001.htm 1 (23. 2.
2007).
12 Vgl. z.B. Victor Matheson,
Mega-Events. The Effect of the World's Biggest Sporting Events on
Local, Regional and National Economies, in: Dennis Howard/Brad
Humphreys (eds.), The Business of Sports, Westport, Connecticut
2008, S. 81 - 99; John Horne, The Four "Knowns" of Sport
Mega-Events, in: Leisure Studies, 26 (2007), S. 81 - 96.
13 Vgl. 2010 stadiums R 3.2 bn over
budget, in: Business Day vom 2. 12. 2008.
14 Vgl. What crisis means for SA's
mini-budget, in: The Witness vom 16. 10. 2008.
15 Vgl. Soccer will save SA -
economist, in: Financial Times vom 8. 10. 2008.
16 Vgl. Business Report (Anm.
10).
17 Vgl. Department of Environmental
Affairs/South African Tourism (Anm. 3).
18 South African Press
Association/Deutsche Presse Agentur, World Cup accommodation a
"challenge", in: www.ioltravel.co.za/article/view/5164469 (22. 10.
2009).
19 Vgl. Crime fears grow as South
Africa readies for football World Cup, in: The Guardian vom 22. 9.
2009.
20 Diese Zahlen wurden Ende 2007 beim
offiziellen Start des 2010 Tour Operator and Hospitality Programme
der Match AG genannt.
21 Riverlea residents demand 2010
employment, in: The Times vom 22. 10. 2009.