Bundestag erörterte Entwürfe zur Patientenverfügung
Es ist die Angst vor einem entwürdigenden Sterben, die immer
mehr Menschen veranlasst, eine Patientenverfügung zu
verfassen. Oft formulieren sie dabei den Wunsch, dass unter
bestimmten Umständen lebenserhaltende Maßnahmen wie
Wiederbelebung oder künstliche Ernährung abgebrochen
werden sollen – etwa wenn sie im Koma liegen oder an schwerer
Demenz erkrankt sind.
Ärzte bislang in der rechtlichen Grauzone
Umstritten ist aber, unter welchen Umständen Ärzte und Betreuer an diesen vorab formulierten Patientenwillen gebunden sind. Problematisch könnte beispielsweise sein, ob die aktuell eingetretene Situation mit der übereinstimmt, die der Betroffene bei seiner (eventuell sogar vor Jahren oder gar Jahrzehnten) geschriebenen Erklärung vor Augen hatte.
Bis heute gilt die Richtschnur: Der Patientenwille ist zu beachten,
aber nicht in jedem Fall verbindlich. Der Bundesgerichtshof hat
hier in der Vergangenheit zwar Maßstäbe entwickelt, wann
die Patientenverfügung gilt, doch die Rechtsprechung selbst
war nicht immer deutlich. So agieren Ärzte streng genommen bis
heute in einer rechtlichen Grauzone.
Parlament berät drei alternative
Gesetzentwürfe
Doch künftig soll es mehr Rechtssicherheit für Patienten, Ärzte und Betreuer geben: Dem Bundestag liegen derzeit drei verschiedene, fraktionsübergreifende Gesetzentwürfe vor. Am Mittwoch, dem 21. Januar, debattierte das Parlament in erster Lesung einen Entwurf, der von einer Gruppe von Abgeordneten um Wolfgang Bosbach (CDU) und Karin Göring-Eckhardt (Bündnis 90/Die Grünen) eingbracht worden war.
Ebenfalls zur Debatte steht ein zweiter Antrag, den der
CSU-Abgeordnete Wolfgang Zöller vorgelegt hatte. Einen dritten
Gesetzentwurf des SPD-Abgeordneten Joachim Stünker hatte der
Bundesrat bereits am 26. Juni 2008 in erster Lesung beraten.
„Stünker-Entwurf“: Vorrang des schriftlich
verfügten Patientenwillens
Wichtigste Voraussetzung für die Verbindlichkeit der Patientenverfügung ist nach dem von Stünker und anderen Parlamentariern vorgelegten Gesetzentwurf ( 16/8442) ihre schriftliche Form. Liegt sie vor, ist der Patientenwille verbindlich – und zwar völlig unabhängig von Art und Stadium der Erkrankung.
Bewusst verzichte der Antrag auf eine Reichweitenbestimmung der
Verbindlichkeit, sagte Michael Kauch (FDP). Selbst erfahrene
Mediziner bezeugten, dass es „unmöglich sei,
unzweifelbar zwischen tödlichen und nicht tödlich
verlaufenden Krankheiten zu trennen“.
Fehlt die Verfügung, muss wie bislang der mutmaßliche Wille des Patienten ermittelt werden. Willigt der Betreuer in lebenserhaltende Maßnahmen nicht ein und können Arzt und Betreuer in dieser Entscheidung nicht einig werden, entscheidet ein Vormundschaftsgericht. „Aber nur dann“, betonte Kauch und warf dem von Bosbach und anderen eingebrachten Entwurf vor, ein „Beschäftigungsprogramm für Vormundschaftsgerichte“ einzurichten.
Christoph Strässer (SPD), ebenfalls Befürworter des
Stünker-Entwurfs, kritisierte zudem, der Bosbach-Entwurf
spalte das „Selbstbestimmungsrecht in
Patientenverfügungen erster und zweiter Klasse“.
„Bosbach-Entwurf“: Vorrang des
Lebensschutzes
Damit spielte der SPD-Abgeordnete auf die in dem von Bosbach (CDU) eingereichten Entwurf ( 16/11360) enthaltene Differenzierung nach Art und Stadium der Erkrankung an. Von dieser Frage hängt demnach ab, ob die Patientenverfügung voll verbindlich ist. Eine lebenserhaltenden Maßnahme soll dann abgebrochen werden können, wenn bei dem Patienten eine „unheilbare, tödlich verlaufende Krankheit“ diagnostiziert wurde – oder der Patient auf Dauer bewusstlos ist.
Bei nicht tödlichen Erkrankungen ist der Abbruch
lebenserhaltender Maßnahmen aber nur dann möglich, wenn
sich der Patient medizinisch beraten ließ, die
Patientenverfügung notariell beglaubigt und nicht älter
als fünf Jahre ist. Außerdem ist in jedem Fall zu einem
Behandlungsabbruch die Genehmigung eines Vormundschaftsgerichts
notwendig.
"Selbstbestimmt entscheiden"
Damit möchten die Initiatoren des Antrags sichergehen, dass wirklich dem aktuellen Patientenwillen entsprochen wird. Die Einstellung eines Menschen in der akuten Krankheitssituation könne eine andere sein als vorher, gab Katrin Göring-Eckardt (Bündnis 90/ Die Grünen) zu bedenken: „Man kann die genauen Umstände nicht vorausfühlen.“
Die Abgeordnete verteidigte den Entwurf gegen die Kritik, er
würde „das Sterben bürokratisieren“, wie es
Michael Kauch (FDP) zuvor genannt hatte. Die Beratung durch einen
Arzt bezeichnete sie als elementare Voraussetzung, damit der
Einzelne überhaupt selbstbestimmt entscheiden könne.
„Wir gehen ja auch wegen einer Grippe zum Arzt. Warum nicht,
wenn es um so eine Beratung geht?“
„Zöller-Entwurf“: Vorrang des mutmaßlichen
Willens
Die Initiative rund um den CSU-Abgeordneten Wolfgang Zöller hingegen will Betreuer und Ärzte verpflichten, Patientenverfügungen voll anzuerkennen. Beschränkungen auf Erkrankung oder Behandlungssituation macht dieser Gesetzentwurf ( 16/11493) nicht. Patientenverfügungen sollen sogar in mündlicher Form anerkannt werden.
„Viele Menschen haben eben keine schriftliche Verfügung,
weil sie plötzlich erkrankt sind“, sagte Zöller in
der Debatte. In der jeweils konkreten Situation soll nach seinem
Enzwurf jedoch zudem der aktuelle mutmaßliche Wille durch
Ärzte, Betreuer oder Angehörige ermittelt werden. Sterben
sei nicht „normierbar“, sagte der Abgeordnete.
"Dialogischer Prozess der Bewertung"
Er und die Unterstützer des Antrags wünschten sich einen „dialogischen Prozess der Bewertung“, in den Ärzte, Betreuer und Angehörige mit einbezogen werden sollen. Ein Vormundschaftsgericht wird nur dann eingeschaltet, wenn Uneinigkeit zwischen Arzt und Betreuer über den mutmaßlichen Patientenwillen besteht. „Letztlich ist das Wohl und der Wille des Patienten das Ausschlaggebende“, betonte Monika Knoche (Die Linke).
Die Gesetzentwürfe werden nun in den Ausschüssen
weiterberaten.