Bundestag erweiterte Kompetenzen der parlamentarischen Aufseher
Mit einer breiten Mehrheit von Union, SPD und FDP beschloss der Bundestag am Freitag, 29. Mai 2009, eine Stärkung der parlamentarischen Aufsicht über die Geheimdienste. Die erstmalige Verankerung des für diese Aufgabe zuständigen Parlamentarischen Kontrollgremiums (PKGr) im Grundgesetz fand mit 445 gegen 54 Stimmen bei 29 Enthaltungen die notwendige Zwei-Drittel-Mehrheit.
Ergebnis der namentlichen Abstimmung
Für die Union bezeichnete Hans-Peter Uhl eine Ausweitung der
Kompetenzen des PKGr als notwendig, da auch die Befugnisse der
Nachrichtendienste inzwischen erheblich ausgedehnt worden seien.
Aus Sicht von Thomas Oppermann (SPD) schafft die Neuregelung eine
„angemessene Balance zwischen Sicherheit und Freiheit“,
künftig würden Parlament und Regierung „auf
gleicher Augenhöhe agieren".
Die Kontrolle der Dienste werde „ein gutes Stück vorangebracht“, erklärte der FDP-Abgeordnete Max Stadler. Linksfraktioni und Grüne stimmten gegen die Vorlagen der drei anderen Fraktionen, weil die Reform unzulänglich sei. Für Wolfgang Neskovic von der Linkspartei bleibt das PKGr ein „blinder Wächter ohne Schwert“. Das Parlament erhalte „Steine statt Brot“, kritisierte der Grünen-Politiker Hans-Christian Ströbele.
Die Machtbefugnisse des wie bislang auch künftig geheim
tagenden PKGr werden durch eine Reihe von Maßnahmen
ausgedehnt. Erweitert werden die Auskunfspflichten der
Geheimdienste und der Regierung. Über die einfache
Akteneinsicht hinaus wird die Runde auf der Herausgabe von
Dokumenten bestehen können. Das PKGr soll einen ungehinderten
Zugang zu allen Einrichtungen der Geheimdienste erhalten, die es
überprüfen will.
Wenn Angehörige der Dienste den Abgeordneten Missstände melden wollen, dürfen sie dies fortan ohne Durchlaufen des behördeninternen Wegs tun – allerdings müssen die Betreffenden zeitgleich die Spitze ihres Hauses unterrichten. In Einzelfällen wird sich das Gremium öfter als bisher öffentlich äußern können, die Opposition erhält dann ein Recht auf Sondervoten.
PKGr-Mitglieder dürfen Mitarbeiter ihrer Fraktionen benennen,
die ihnen bei der Arbeit zur Hand gehen und die auch an Sitzungen
des Gremiums teilnehmen können, wenn dies eine
Zwei-Drittel-Mehrheit billigt. Bei Differenzen mit der Regierung
über Rechte und Pflichten nach dem neuen Gesetz soll das
Bundesverfassungsgericht urteilen, das von einer
Zwei-Drittel-Mehrheit des PKGr angerufen werden kann.
Entgegen den ursprünglichen Plänen wird die Runde doch nicht für das Bundeskriminalamt und das Zollkriminalamt zuständig sein: Bei einer Anhörung des Innenausschusses am Montag war eine solche Regelung als Schwächung der Bundestagsfachausschüsse kritisiert worden.
Für die Union sagte Uhl, es dürfe keine exekutive
Tätigkeit ohne parlamentarische Kontrolle geben. Die Aufsicht
durch das PKGr bilde die „legitimatorische Verknüpfung
zwischen den Diensten und der Bevölkerung“. Uhl wandte
sich gegen die These, die ausgeweiteten Befugnisse des PKGr
könnten zulasten der Nachrichtendienste gehen. So werde etwa
der Informationsaustausch mit befreundeten ausländischen
Einrichtungen nicht beeinträchtigt.
Max Stadler sagte, die Defizite bei der Geheimdienstkontrolle würden durch die Neuregelung „reduziert“. Bislang habe das PKGr vieles nur aus den Medien erfahren, etwa die Bespitzelung von Journalisten durch den BND oder den Einsatz von BND-Agenten während des Irak-Kriegs. Für die Liberalen sei es nicht in Frage gekommen, dem Widerstand aus den Reihen der Regierung gegen die „moderate Reform“ zu weichen. Die Rechte anderer Bundestagsausschüsse und des Parlaments als Ganzes würden durch die Neuregelung für das PKGr nicht beschnitten.
Thomas Oppermann lobte die Verankerung der Geheimdienstkontrolle im
Grundgesetz als „gutes Ende eines langen
verfassungspolitischen Prozesses“. Zu der Sorge heutiger und
ehemaliger Minister vor einer Schwächung der Geheimdienste
erklärte der SPD-Politiker, es gebe „Grenzen der
Kontrolle“. So habe das PKGr kein Recht, sich in laufende
Operationen der Geheimdienste einzumischen. Eine effektive
Kontrolle sei etwas anderes als eine
„Dauerskandalisierung“ der Dienste.
Wolfgang Neskovic kritisierte, dass der Opposition als der treibenden Kraft bei der Kontrolle der Regierung keine Minderheitenrechte im PKGr zugestanden würden. Die Opposition sei, etwa bei Anträgen auf Herausgabe von Akten oder bei einer Einschaltung des Verfassungsgerichts, stets von den Entscheidungen der Mehrheit abhängig, monierte der Linkspolitiker. Im Falle einer Kooperation mit ausländischen Diensten könne die Regierung Auskünfte an das Gremium verweigern.
Im Namen der Grünen äußerte Ströbele die
Befürchtung, dass die Verankerung des PKGr im Grundgesetz die
Kontrollrechte anderer Ausschüsse und einzelner Abgeordneter
beschränken werde, weil die Regierung auf geheime
Auskünfte an das PKGr verweisen könne. Ströbele
bemängelte, dass PKGr-Mitglieder ihre Fraktionsspitzen nicht
über Skandale unterrichten dürften, auf die sie bei ihrer
Arbeit gestoßen sind. Auch künftig würden die
Bundestagskontrolleure über Missstände bei den
Geheimdiensten viel aus den Medien erfahren.
Auf Empfehlung des Innenausschuss ( 16/13220) nahm das Parlament den Gesetzentwürfe von CDU/CSU, SPD und FDP zur Verankung des PKGr in einem neuen Artikel 45d des Grundgesetzes ( 16/12412) und zur Fortentwicklung der parlamentarischen Kontrolle der Nachrichtendienste des Bundes ( 16/12411) jeweils in geänderter Fassung an. Die Grünen stimmten in beiden Fällen dagegen, Die Linke enthielt sich beim ersten Gesetzentwurf und votiert gegen den zweiten.
Ein älterer Entwurf der FDP zur Änderung des
Kontrollgremiumgesetzes (
16/1163) wurde einvernehmlich für erledigt
erklärt. Gesetzentwürfe von Bündnis 90/Die
Grünen (
16/12189) und der Linksfraktion (
16/12374) sowie ein Antrag der Linken (
16/5455), die Überwachung von Abgeordneten
durch den Verfassungsschutz zu beenden, wurden abgelehnt.