Eisgrau und elegant erinnern Sir
Norman Fosters Erscheinung und Habitus in nichts an den viel
gerühmten Handwerker, der dem Vernehmen nach noch in jedem
Architekten stecken soll. Mit Planrolle unterm Arm und
Breitcordhose über kräftigem Schuhwerk, das gar noch von
Kalkspuren einer Baustelle gezeichnet ist, vermag man sich ihn
nicht vorzustellen. Im Gegenteil, viel leichter ist er mit dem Chef
einer multinationalen Autofirma, eines Flugzeugherstellers oder
einer Bank zu verwechseln. Allenthalben kann er als prototypische
Inkarnation des Sir, des
Gentleman gelten, zu dem die
Queen of the British Empire
ihn 1990 geschlagen hat, eine souveräne Mischung aus Distanz
und Aufmerksamkeit, Disziplin und Umgänglichkeit. Ungestraft
darf man Sir Norman
Foster als den derzeit führenden Architekten der Welt
bezeichnen, und das nicht nur, weil er eine Architekturfirma von
rund 450 Mitarbeitern führt - der Londoner Stammsitz
"Riverside three" hat unter
jungen Architekten magischen Klang. Man braucht lange, um ihm einen
in Dimension und Bedeutung ähnlichen Architekten an die Seite
zu stellen. Sein alter Kollege und enger Freund Sir Richard Rogers, mit dem er in den frühen
sechziger Jahren den Karrierebeginn teilte? Oder Renzo Piano aus
Genua und Paris? Frank O.
Gehry aus Kalifornien oder die Hamburger Meinhard von Gerkan
und Volkwin Marg von gmp? Gewiß gehören sie mit einer
kleinen Handvoll weiterer zur globalen architektonischen Elite,
doch ebenso sicher nimmt Sir Norman
Foster auch unter ihnen die Position des Klassenprimus ein -
in einer Splendid Isolation,
deren Aura auf Methodik, technischem Faible und kühler
Perfektion beruht.
Norman Foster wurde 1935 in Manchester in sehr einfachen Verhältnissen
geboren. Bereitwillig berichtet er, daß in seiner Familie
weder Studium noch gar der Architektenberuf irgend zur Diskussion
standen, wenn es um die berufliche Ausbildung ging. Nicht gerade
Tellerwäscher, aber Behördenbote, Lastwagenfahrer,
Eisverkäufer und Türwächter vor Diskotheken
gehörten zu den Jobs, mit denen er sich das Studium verdiente.
Es begann an der Universität von Manchester und wurde mittels eines Begabtenstipendiums
in Yale, USA
abgeschlossen. Dort lernte er als Ko-Stipendiaten auch
Richard Rogers kennen, mit dem
zusammen er 1964-1966 seinen ersten Auftrag, das Creek Vean House in Cornwall,
ausführte; gleich ein in der Fachzunft mit Staunen
registrierter Erfolg. Die Villa nutzte und verpflichtete sich einer
ökologischen Architektur, lange bevor der Begriff zum
Parameter öffentlicher Debatten wurde. 1968 gründete er
sein eigenes Büro Foster
Associates, und fortan purzelten die Erfolge wie die Zahl
seiner Aufträge, vom IBM-Gebäude in Ipswich über das
Fährterminal der Fred
Olson-Line zum Sainsbury
Centre for Visual Arts, vom mittlerweile schon legendär
gewordenen Hochhaus der Hongkong und Shanghai Bank über das Carré d'Art in Nîmes zum British
Museum in London und dem Commerzbank Tower in Frankfurt -
schick und trendy, aber nicht ganz wahrheitsgemäß wird
es als "ökologisches Hochhaus" angepriesen -, dazu die
Flughäfen Stanstead in
London und Chek Lap Kok in Hongkong, für den eigens
eine Insel im Meer gegründet werden mußte.
Sicher könnte allein die Zahl und Größenordnung
der Aufträge schon ehrfürchtiges Staunen hervorrufen.
Verblüffender jedoch ist, daß die Vielzahl der Arbeiten
eigentlich nichts erkennen läßt, was als
persönlicher "Stil Norman
Foster" bezeichnet werden könnte. Foster wird als
High-Tech-Architekt
bezeichnet, doch ist das Etikett zu schnell und oberflächlich.
Er bedient sich zwar aller neuen Technologien und Materialien,
derer er habhaft werden kann, aber nur soweit, wie sie brauchbar
sind. Und keinesfalls gereichen sie ihm zur Dogmatik. Weder ist
eine Form festgelegt, die überall wieder auftauchte, noch das
Material. Glas, Stein, Stahl oder Aluminium sind überall
zuhanden, ohne ideologische Dimension. Alle Arbeiten Fosters
unterscheiden sich so gründlich voneinander wie etwa der
Torre de Collserola in
Santiago de Compostela von
1994 vom Commerzbank-Turm in Frankfurt oder vom berühmten
Entwurf der vertikalen Stadt, dem Millenium Tower, der in der Tokyo-Bucht 840 m hoch in
die Wolken schießen soll.
Wenn auch kein Stil, so ist doch eine Handschrift offensichtlich, nämlich daß Sir Norman Foster äußerst methodisch mit großer Rationalität und Präzision auf die gestellte Aufgabe eingeht. Das setzt neben einer enormen Abstraktions- und Organisationsfähigkeit auch Lernbereitschaft voraus. Und eben diese mußte er bei seiner bisher politischsten Aufgabe, beim Umbau des Reichstags in Berlin zum Parlament des wiedervereinigten Deutschland beweisen. Hatte er das Gebäude 1993 beim ersten Wettbewerb noch als Institut gesehen, das "die Kräfte nährte, die die Demokratie zerstörten", und es deswegen als Geschichtsruine und Invalidendom unter ein Tankstellendach gesetzt, so lernte er in der Arbeit seine wirkliche, Demokratie und Parlamentarismus gerade stiftende Bedeutung kennen - wie übrigens viele deutsche Parlamentarier auch, die den Reichstag lange für den Spielplatz von Hitlers Marionetten hielten, anstatt in ihm das Symbol einer zeitweilig verschütteten parlamentarischen Tradition zu achten. Dieser Lernprozeß begleitete und lag den Umplanungen zugrunde, durch die Foster den Reichstag nun mit einer Kuppel überwölbte. Dadurch machte er ihn zum Zeugnis zweier Architekturepochen, des Historismus seiner Bauzeit und der Technologie-Moderne seiner heutigen Überformung. Sir Norman Foster gebührt dabei die Ehre, offensichtlich über die von Nietzsche gerühmte "plastische Kraft" zu verfügen, aus dem Vergangenen eine "kräftige Nahrung" für die Gegenwart und Zukunft zu gewinnen.
Text von Gerwin Zohlen