Der Architekt Paul Wallot hatte es nicht leicht beim Bau des
Berliner Reichstages. Als das Parlamentsgebäude mit der Kuppel
1894 fertig gestellt wird, liegen zehn Jahre Kampf mit
missgünstigen Kollegen und vor allem mit Kaiser Wilhelm II.
hinter dem durchsetzungsstarken Baumeister. Für den letzten
deutschen Kaiser werden Gebäude und Kuppel Symbole für
das ungeliebte Parlament. Doch es zeigt sich: Der Kuppelbau erweist
sich als Zeichen zukunftsweisender Ingenieurbaukunst.
Paul Wallot wird 1841 in Oppenheim am Rhein geboren. Er studiert
zunächst Maschinenbau in Hannover, wechselt dann an die
Königliche Bauakademie in Berlin. Von 1864 bis 1867 ist er bei
den Berliner Architekten Strack, Lucae, Hitzig und in der Firma
Gropius und Schmieden tätig. Danach unternimmt Wallot
ausgedehnte Studienreisen durch Italien und Großbritannien.
Anschließend lässt er sich in Frankfurt am Main als
selbstständiger Architekt nieder.
Seinen Durchbruch schafft Wallot, als er sich 1882 an dem
Architektenwettbewerb für das geplante Parlamentsgebäude
beteiligt. Aus 190 Einsendungen geht er, zusammen mit dem
Münchner Friedrich Thiersch, als Sieger hervor. Da Wallots
Entwurf jedoch die meisten Stimmen erhält, wird er mit den
Bauausführungen beauftragt, die insgesamt zehn Jahre
dauern.
Für Wallot beginnt mit dem Bau des Reichstages ein langwieriger Arbeitsprozess und eine ständige Auseinandersetzung mit verschiedenen Instanzen. Nach einem Beschluss von 1880 soll die Akademie des Bauwesens beim Neubau des Reichstagsgebäudes als Berater fungieren - eine unglückliche Regelung, weil viele Akademiemitglieder am vorhergehenden Wettbewerb mit eigenen Entwürfen beteiligt waren. Unkorrektes Verhalten lässt sich der Akademie nicht nachweisen, aber ihre pedantische Kritik an Wallots Arbeit rufen Zweifel an ihrer Objektivität hervor. Die Bauabteilung im preußischen Ministerium der öffentlichen Arbeiten als zweite Gutachterinstanz verlangt ebenso umfangreiche Änderungen. Wallot selbst bleibt nach außen hin geduldig. Er muss in Abständen von wenigen Monaten immer neue Entwürfe für die Anordnung der Innenräume und die Gestaltung der Fassaden liefern. Schließlich kann am 9. Juni 1884 der Grundstein gelegt werden. Beim Hammerschlag Wilhelms I. zerspringt das symbolische Werkzeug.
Während der Bauarbeiten entwickelt sich die Kuppel zum
Problem. Wallot wird gezwungen, sie von ihrer zentralen Position
über dem Plenarsaal zur westlichen Eingangshalle zu verlegen.
Je weiter der Bau vorankommt, desto mehr ist Wallot davon
überzeugt, dass die erzwungene Änderung
rückgängig gemacht werden müsse. In zähen
Verhandlungen erreicht er die Zustimmung dafür. Inzwischen
sind die tragenden Wände um das Plenum jedoch schon errichtet
- zu schwach für die geplante steinerne Kuppel, wie alle
Berechnungen ergeben. Erst der Bauingenieur Hermann Zimmermann
findet eine Lösung. Er reduziert die Kuppelhöhe von 85 m
auf knapp 75 m und schlägt eine relativ leichte, technisch
anspruchsvolle Konstruktion aus Stahl und Glas vor. Die so auf
Umwegen entstandene Kuppel versorgt den Plenarsaal mit viel
natürlichem Licht und gibt dem Parlamentsgebäude den
gewünschten würdigen Abschluss.
Wilhelm II., seit 1888 als Kaiser im Amt, ist Wallot anfangs noch wohl gesonnen. Er unterstützt ihn auch in der Frage, wo die Kuppel zu platzieren sei, obwohl er sie prinzipiell als Ärgernis empfindet. Denn er sieht darin ein Symbol für die Ansprüche des ungeliebten Parlaments. Außerdem ist sie höher, als die Kuppel des Berliner Stadtschlosses mit ihren 67 Metern. Ab 1892 wird eine zunehmende Abneigung des Kaisers gegenüber dem Gebäude deutlich, er bezeichnet es als "Gipfel der Geschmacklosigkeit" und "völlig verunglückte Schöpfung" und schmäht es inoffiziell als "Reichsaffenhaus".
Trotz aller Seitenhiebe bleibt Wallot ausdauernd. Er will einen neuen nationalen Baustil entwickeln, eine architektonische Parallele zur Vereinigung der deutschen Kleinstaaten und Kulturkreise im Deutschen Kaiserreich. Für die Außenform verwendet er hauptsächlich Formen der italienischen Hochrenaissance und verbindet sie mit einigen Elementen der deutschen Renaissance, mit etwas Neobarock und der damals hochmodernen Stahl- und Glaskonstruktion der Kuppel. Das Ergebnis wird von vielen Kritikern nicht als gelungene Synthese erlebt, sondern als Neben- und Durcheinander. Traditionalisten lehnen die technische Modernität der Kuppel ab, jüngere Kritiker können sich nicht mit dem massiven Quaderbau im Stil der Renaissance anfreunden.
Am 5. Dezember 1894 kann schließlich der Schlussstein gelegt werden. Wallot führt den Kaiser und die Kaiserin durch das Gebäude, Wilhelm II. lässt öffentlich nur anerkennende Worte hören. Die Baukosten betragen 24 Millionen Mark. Sie werden aus den Reparationen beglichen, die Frankreich nach dem verlorenen Krieg von 1870/71 zahlen muss.
Peter Wallot übernimmt Lehraufträge an der Kunstakademie und an der Technischen Hochschule in Dresden, die er bis 1911 inne hat. Dort tut er sich auch mit dem Bau des Ständehauses an der Brühlschen Terrasse hervor. Von Dresden aus leitet er auch die Errichtung des Reichstagspräsidentenpalais, dem heutigen Sitz der Parlamentarischen Gesellschaft.
Paul Wallot stirbt 1912 in Langenschwalbach/Taunus.