Es muss Aufmerksamkeit erregen, wenn in einem
Parlamentsgebäude die Büste eines Nicht-Politikers einen
Ehrenplatz erhält. Diese Ehre wird dem jüdischen Arzt Dr.
Benno Hallauer (1880-1943) zuteil. Er besaß eine der
größten Privatkliniken Berlins, die Frauenklinik am
Schiffbauerdamm 31 / 32, an der Spree gegenüber dem
Reichstagsgebäude. Er hatte sich mit seiner Klinik in den 20er
und 30er-Jahren einen weithin anerkannten Ruf in der
Frauenheilkunde erworben. Durch die nationalsozialistischen
Boykottmaßnahmen gegen jüdische Ärzte geriet er
jedoch in wirtschaftliche Schwierigkeiten. Schließlich verlor
er die Klinik im Jahre 1937 durch eine Zwangsversteigerung, als er
- wegen angeblicher "heimtückischer" Verleumdungen - im
Gefängnis Moabit inhaftiert war. Nach der Haftentlassung
arbeitete er am Jüdischen Krankenhaus in Breslau. Im Jahre
1943 wurde er nach Auschwitz deportiert und dort zusammen mit
seiner Ehefrau ermordet. Das Klinikgebäude war bereits 1940
abgerissen worden, da es Albert Speers Plänen für den
Umbau Berlins zur Welthauptstadt "Germania" im Wege
stand.
Das Grundstück, auf dem sich die Frauenklinik befand, ist
Teil des Geländes, auf dem seit 1998 das
Marie-Elisabeth-Lüders-Haus mit der Bibliothek des Deutschen
Bundestages errichtet wurde. Der Kunstbeirat des Deutschen
Bundestages entschied daher bereits vor seinem Umzug nach Berlin
eine Porträtbüste Dr. Hallauers in Auftrag zu geben, um
an die Vorgeschichte des Geländes, an seine Vorbesitzer und an
ihr tragisches Schicksal zu erinnern. Dr. Benno Hallauer sollte auf
diese Weise gewürdigt werden, dies auch stellvertretend
für andere Opfer der nationalsozialistischen
Willkürherrschaft, wie beispielsweise die Familie Wertheim,
die gleichfalls Grundstücke im Bereich des Spreebogens
besaß.
Der Kunstbeirat beauftragte mit der Gestaltung der Büste
den Bildhauer, Graphiker und Schriftsteller Wieland Förster.
Dieser hatte an der Hochschule für Bildende Künste in
Dresden studiert und arbeitete später bei Fritz Cremer als
Meisterschüler an der Akademie der Künste der DDR. Im
Jahre 1986 wurde er zum Professor berufen. Von Wilhelm Lehmbruck,
Henry Moore und Marino Marini
beeinflußt, setzte er in seiner Person die bedeutende
figürliche Bildhauertradition Berlins fort. Sie ist mit so
bekannten Namen wie Käthe Kollwitz, Gustav Seitz, Fritz Cremer
und Werner Stötzer verbunden. Ihre künstlerische Sprache
erweiterte Förster jedoch um eine sehr eigene, manieristische
Spielart. Förster hat, geprägt von schmerzlichen
Kriegserlebnissen wie der Zerstörung Dresdens (davon zeugt die
Bronze-Skulptur "Großer Trauernder Mann" in Dresden vor dem
Albertinum), aber auch von jahrelanger Haft als politischer
Häftling in Bautzen nach 1945, der Darstellung von Schmerz,
Leid und Vergänglichkeit einen bedeutenden Teil seines Werkes
gewidmet. Einen weiteren umfangreichen Werkkomplex bilden seine
ausdruckstarken Porträtbüsten, wie die von Pablo Neruda,
Heinrich Böll oder Erich Arendt. Beide Linien seines Werkes
laufen in der Porträtbüste Hallauers zusammen, da es
Förster ein besonderes Anliegen war, sich in das tragische
Schicksal dieses bedeutenden Arztes einzufühlen.
Bei der Konzeption der Porträtbüste Hallauers
mußte Förster auf wenige zufällig erhaltene Fotos,
die Hallauers Sohn zur Verfügung stellen konnte,
zurückgreifen. Eine solche die Arbeit am Porträt
scheinbar erschwerende Vorgabe entspricht jedoch dem
künstlerischen Arbeitsprozeß Försters: Er gestaltet
bewußt postume Porträts, um Elemente aus verschiedenen
Lebensaltern des Porträtierten einfließen zu lassen,
nutzt zufällig entstandene "Schnappschüsse" als Vorlage,
um sich der Inszenierung von Studiofotografien zu entziehen, und
dringt auf diese Weise zu einer "höheren Konzentration und
Wahrheit" vor: "Das postume Bildnis schafft die Möglichkeit,
die Summe einer Lebenszeit zu ziehen, zur Findung der
Erscheinungsformen vorzudringen, die Wesenhaftes preisgeben."
(Wieland Förster)
Neben seinen Skulpturen kann Förster auch ein bedeutendes zeichnerisches und poetisches Œuvre vorweisen, wie es sich unter anderem in seinen Tagebuchaufzeichnungen findet, die Text und Zeichnung verbinden (unter anderem "Begegnungen", 1974, "Sieben Tage in Kuks", 1983, "Labyrinth", 1988). Eine seiner bekanntesten Skulpturen ist die vor dem Sächsischen Landtag in Dresden aufgestellte "Nike 89, Sieg mit gebrochenen Flügeln", eine Siegesgöttin als weithin sichtbares Zeichen an der Elbe, aufsteigend wie befreit von der Erdenschwere, und doch ein Torso mit gebrochenen Flügeln. Wenige Bildhauer vermögen das "Ursonett vom Elend und der Herrlichkeit des Menschen" (Franz Fühmann) so eindrucksvoll skulptural zu artikulieren wie Wieland Förster. In der Büste des ermordeten Benno Hallauers hat Förster eine solche überzeitliche Metapher für das trotz Leid und Verfolgung Unzerstörbare im Menschen geschaffen.
Wieland Förster
geb. 1930 in Dresden, lebt in Berlin,
Porträtbüste des Arztes Dr. Benno Hallauer, 2001,
Bronze
Text: Andreas Kaernbach
Kurator der Kunstsammlung des Deutschen Bundestages