Pressemeldung -
02.01.2006Neujahrsansprache von Bundestagspräsident Dr.
Norbert Lammert im Deutschlandfunk
Es gilt das gesprochene Wort
Der Jahreswechsel ist eine willkommene Gelegenheit, Erfahrungen der
vergangenen Monate zu verbinden mit guten Vorsätzen für
die Zukunft.
2005 war im Ganzen betrachtet ein gutes Jahr für die
Demokratie in Deutschland: Dieses Jahr hat gezeigt, dass Demokratie
für friedlichen Wechsel steht, für Kontinuität und
Veränderung. Deutlich wurde, wer der eigentliche Souverän
in unserem Lande ist: Es sind nicht die Parteien, sondern die
Bürgerinnen und Bürger; sie haben eine andere
Wahlentscheidung getroffen, als viele erhofft und manche
gefürchtet haben. Es war eine Entscheidung jenseits aller
Prognosen und erklärten Absichten.
Der nüchterne, unaufgeregte Start der neuen Legislaturperiode
zeigt, dass sich die politischen Akteure in Regierung und
Opposition ihrer Verantwortung für unser Land sehr wohl
bewusst sind. Es ist beeindruckend, dass die oft beschworene
Solidarität der Demokraten im Ernstfall tatsächlich
aktiviert werden kann. Das demokratische System ist intakt und
funktioniert, trotz mancher Ärgernisse und Besorgnisse.
Die Herausforderungen, die wir im neuen Jahr und in der gerade
begonnenen Legislaturperiode zu meistern haben, sind beachtlich:
Dies gilt nicht nur für die Fußball-Weltmeisterschaft,
die wir ausrichten dürfen und bei der die ganze Welt auf
Deutschland schaut. Wir wünschen der eigenen Mannschaft
Glück und Erfolg und wollen für alle Teilnehmer und
Gäste gute Gastgeber sein.
Aber unser Ehrgeiz ist auch auf anderen Feldern gefordert: Wir
brauchen mehr wirtschaftliche Dynamik, die neue Arbeitsplätze
schafft, wir müssen die sozialen Sicherungssysteme
zukunftsfest machen und gleichzeitig die Staatsverschuldung stoppen
und zurückführen, wir müssen Bildung, Wissenschaft,
Forschung stärken und Familien und Kinder besser
fördern.
Weder Gier noch Geiz dürfen der Maßstab sein, nach dem
wir das Gemeinwohl definieren. Vor dem Hintergrund der
demographischen Entwicklung und im Umfeld weltweiter
Veränderungen müssen wir auch künftig solidarischen
Ausgleich ermöglichen.
Trotz der Größe der Aufgaben haben wir doch auch Anlass
zu Zuversicht und Optimismus. Die Herausforderungen sind zu
meistern, wenn sich alle daran beteiligen, wie das im letzten Jahr
einmal mehr in der bewundernswerten Spendenbereitschaft bei Flut-
und Naturkatastrophen zum Ausdruck kam. Auch der Einsatz von haupt-
und ehrenamtlichen Helfern und der Bundeswehr in Krisenregionen
verdient Respekt und hat zum Ansehen Deutschlands weltweit
beigetragen. Wir können unser Land voranbringen, wenn wir die
notwendigen Veränderungsprozesse als Aufgabe aller Demokraten,
aller gesellschaftlichen Kräfte begreifen.
Nicht alles, was veränderungswürdig ist, kann und darf an
die Politik delegiert werden. Einstellungen und Verhalten lassen
sich nicht auf Weisung "von oben" ändern. Dies ist nur als
individuelle Anstrengung möglich: Veränderungen beginnen
im Kopf.
Wir sind Deutschland. Jeder an seinem Platz. Jeder nach seinen
Möglichkeiten. Und wir können gemeinsam mehr aus unseren
Möglichkeiten machen. Was die Zukunft bringt, liegt in unserer
Hand. In diesem Sinne wünsche ich allen Hörerinnen und
Hörern ein gesundes, friedliches und erfolgreiches Jahr
2006.
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