RUNDER TISCH
Ungewöhnliche Konsenssuche zum Schicksal früherer Heimkinder
Für den Bundestag war es ein höchst ungewöhnlicher Beschluss, den die Abgeordneten im Dezember auf Empfehlung des Petitionsausschusses fassten: die Einberufung eines Runden Tisches zur Aufarbeitung des in den 50er und 60er Jahren an damaligen Heimkindern begangenen Unrechts. Ein Runder Tisch per Bundestagsbeschluss - "das gab's noch nie", weiß die SPD-Abgeordnete Marlene Rupprecht, Mitglied im Petitionsausschuss, der sich drei Jahre lang mit dem Thema befasste.
"Am Ende waren wir wieder so schlau wie am Anfang: Wir hatten ein Problem auf dem Tisch und keine Lösung", weil die Gesetzeslage dafür keine Handhabe biete, sagte Rupprecht dieser Zeitung. So sei die Idee des Runden Tisches entstanden, an dem sich Betroffene und Träger der zumeist kirchlichen Kinderheime zusammen mit anderen einem traurigen Kapitel deutscher Nachkriegsgeschichte widmen sollen.
Am 17. Februar nahm der Runde Tisch seine Arbeit unter Moderation der früheren Bundestagsvizepräsidentin Antje Vollmer (Grüne) auf, und gleich zu Beginn wurde nochmals das Martyrium deutlich, das viele Kinder und Jugendliche in Heimen der frühen Bundesrepublik erleiden mussten. Von "moderner Sklaverei" sprach etwa Sonja Djurovic, als sie von ihrer mehrjährigen Heimzeit in den 60er Jahren berichtete: "Wir wurden unserer Freiheit beraubt, unsere Menschenrechte wurden uns genommen." Als Schneiderin habe sie gearbeitet und 10 bis 15 Mark im Monat bekommen, von denen dann Seife und ähnliches vom Heim zu kaufen war: "Gute Arbeit ohne Lohn". Verschlossene Türen, keine Zeitung, kein Radio, keine Musik: "Wir wurden dem Leben immer mehr entfremdet, ... gedemütigt, gequält", erinnerte sich die 59-Jährige und schilderte Missbrauchs- und Misshandlungsfälle. Zu den Folgen der Heimzeit zählten für sie Suizidversuche, Depressionen, gescheiterte Ehen. Und da "so gut wie nie" Sozialversicherungsbeiträge abgeführt worden seien, bekämen die Betroffenen nun weniger Rente, klagte Djurovic und forderte eine "Wiedergutmachung finanzieller Natur".
Vertreter der evangelischen und katholischen Kirche äußerten in der Sitzung tiefes Bedauern über die Vorfälle. "Es tut uns unendlich leid", sagte etwa Hans Ulrich Anke vom Kirchenamt der Evangelischen Kirche in Deutschland und sprach von der Notwendigkeit, Kriterien zur Bewertung der Entschädigungsforderungen zu entwickeln.
Vollmer betonte, es gehe "um Entschuldigungen", aber auch darum, "ob Entschädigung möglich ist". Man werde "alles prüfen", könne nichts garantieren und schließe nichts aus, sagte sie und hoffte, am Ende zu einem Konsens zu kommen. Das hofft auch Rupprecht, die für den Petitionsausschuss am Runden Tisch sitzt. "Wir erwarten Vorschläge für Lösungen", sagte sie. Bis Ende 2010 wolle der Bundestag dazu vom Runden Tisch einen Abschlussbericht.