KULTUR UND BILDUNG
Fraktionen warnen vor finanziellen Kürzungen in Krisenzeiten
Popstar der deutschen Kultur" nannte Horst Köhler Friedrich Schiller am 10. November, dem 250. Geburtstag des Dichters. Zu seinem Vermächtnis gehöre, sagte der Bundespräsident anlässlich der Wiedereröffnung des Schiller Nationalmuseums in Marbach am Neckar, die kulturelle Bildung. "Kulturelle Bildung: das meint vor allen Dingen, Menschen die Chance zur Teilhabe zu geben, zur Teilhabe an der Welt der Kultur." Gerade im außerschulischen Bereich bedürfe es Projekten, die junge Menschen erreichen, die in ihren Elternhäusern die Chance nicht bekommen. Wer daran mitwirke, erfülle ein Vermächtnis des Dichters.
Auch für den alten und neuen Staatsminister für Kultur, Bernd Neumann (CDU), steht die Bedeutung der kulturellen Bildung von Kindern und Jugendlichen, "die die Gesellschaft von morgen gestalten werden", ganz oben auf der kulturpolitischen Agenda. Das erklärte er am 10. November im Bundestag - beinahe zeitgleich mit Köhler. Auch im Koalitionsvertrag der schwarz-gelben Regierung wird die kulturelle Bildung als Mittel zur Integration verstanden.
Die Kultur insgesamt bezeichnete Neumann als das Fundament der Gesellschaft. "Aus diesem Grunde wäre es fahrlässig, gerade in Krisenzeiten dieses Fundament, das unsere Gesellschaft zusammenhält, durch finanzielle Kürzungen anzukratzen oder sogar zu beschädigen", sagte Neumann. Die Ausgaben für Kultur beliefen sich in den Etats der Länder und Kommunen auf einen Mittelwert von 1,9 Prozent. "Die geringen Einsparungen, die überhaupt möglich wären, stehen in keinem Verhältnis zu dem kulturellen Flurschaden, den man anrichten würde", warnte der Staatsminister und appellierte deshalb, gerade in Krisenzeiten die Kultur vor Einsparungen zu schonen.
Mit einem solchen Appell hatte auch Agnes Krumwiede (Bündnis 90/Die Grünen) die Debatte eröffnet: "Gerade in Krisenzeiten brauchen die Menschen Werte und eine positive Lebenseinstellung, eine andere Form von Reichtum als das Bruttoinlandsprodukt messen kann." Die Gesellschaft bräuchte ein "neues Denken, neue Denkansätze, die von Fantasie und Individualität geprägt sind. Dabei kann uns die Kultur helfen", sagte Krumwiede. Beim Blick in den Koalitionsvertrag habe sie jedoch festgestellt, dass die neue Regierung nur in "Prestigekultur" investieren wolle. Kulturpolitik müsse aber mehr sein als die Unterstützung repräsentativer Leuchtturmprojekte. Kultur müsse für alle Menschen da sein. "Wir verstehen Kulturpolitik als Bildungsauftrag. Kulturelle Bildung kann ein Schlüssel zu gesellschaftlicher Teilhabe sein", erklärte Krumwiede die Position ihrer Fraktion.
Konkret fordert die 30-Jährige, dass Künstler besser abgesichert werden. Obwohl die Wertschöpfung der Kreativwirtschaft mittlerweile die der Automobilindustrie, der Chemieindustrie und der Landwirtschaft übersteige, sehe es hinter den schillernden Kulissen der Kreativwirtschaft düster aus. "Als Pianistin weiß ich, wovon ich spreche", sagte Krumwiede. Es hake an allen Ecken und Enden. "Viele Menschen sind überrascht, wenn sie hören, dass die meisten Musiker, Schauspieler und Tänzer regelmäßig auf finanzielle Unterstützung angewiesen sind. Hochqualifizierte Talente werden ausgebeutet und arbeiten für einen Hungerlohn." Wenn der Staat an der sozialen Absicherung der Kulturschaffenden spare, bedrohe das die Freiheit der Kunst, sagte die Musikerin. "Eine Gesellschaft, die ihre Kulturschaffenden nicht wertschätzt, riskiert, auf eine Weise zu verarmen, die mit Geld nicht wieder gutzumachen ist." Nach der Rede Krumwiedes, ihrer ersten im Bundestag, erklärte Neumann, er hoffe, dass sie in den Kulturausschuss komme: "Eine Belebung dieses Ausschusses ist immer gut." Er stimmte der Grünen-Politiker zu, dass die Verbesserung der sozialen Lage der Künstler für ihn an vorderer Stelle stehe. "Wenn man bedenkt, dass die jährlichen Durchschnittseinkommen zwischen 10.000 und 12.000 Euro liegen", sagte Neumann, "dann kann uns das nicht gleichgültig sein." Deshalb sei es unter anderem notwendig, Künstlern einen Versicherungsschutz gegen Verarmung im Alter sowie den Zugang zur gesetzlichen Kranken- und Rentenversicherung zu ermöglichen.
Mit Blick auf den 20. Jahrestag des Mauerfalls betonte Neumann, wie wichtig es sei, die Erinnerung an das Unrecht in der DDR wachzuhalten. Bei allen "positiven Gefühlen" dürfe nicht übersehen werden, dass es noch immer Tendenzen gebe, das Unrecht in der DDR zu beschönigen und zu verharmlosen. "Darum wollen wir die geschichtliche Aufarbeitung der SED-Diktatur verstärken", versprach Neumann. Nachzulesen ist das auch im Koalitionsvertrag. Der sieht beispielsweise vor, ein Zeitzeugenbüro zu schaffen und bei der Bundeszentrale für politische Bildung (BPP) einen Arbeitsschwerpunkt zur "Aufarbeitung der SED-Diktatur" einzurichten. Dass die Etablierung eines solchen Arbeitsschwerpunktes bei der BPP wichtig sei, betonte auch Patrick Meinhardt (FDP) in der Debatte über Bildung und Forschung am 11. November. Es sei nicht hinzunehmen, "dass ein Hauptschüler aus Bayern mehr über das Unrechtsregime in der DDR weiß als ein Gymnasiast aus Brandenburg". Nur jeder zweite ostdeutsche Jugendliche halte die DDR für eine Diktatur, erklärte Meinhardt und warnte vor einer Verklärung der SED-Diktatur.
Bundesbildungsministerin Annette Schavan (CDU) erklärte - ganz im Sinne der kulturellen Bildung, dass jedes Kind vor dem Schulbeginn eine Sprachförderung erhalten soll, wenn seine Sprachentwicklung dies erfordere. "Das ist ein Schritt zur Integration; darin liegt für Kinder und ihre Eltern der Schlüssel für gute Bildung: früh beginnen, Sprache lernen." Gute Bildung und die Teilhabe aller Kinder an einem leistungsfähigen Bildungssystem beginne mit der frühkindlichen Bildung. Die Regierung wolle deshalb die Weiterbildung der Erzieherinnen voranbringen und Kindergärten zu "Häusern der kleinen Forscher" machen. Dagmar Ziegler von der SPD-Fraktion warf der Regierung vor, dass Chancengleichheit für alle Kinder gerade durch das geplante Betreuungsgeld für Eltern, die ihre Kinder zu Hause betreuen, verhindert werde. Es würde eben nicht dazu führen, "dass insbesondere Kinder aus sozial schwächeren Familien systematisch an die frühkindlichen Bildungs- und Betreuungseinrichtungen herangeführt werden". Vielmehr werde die Bildungsarmut zementiert. Auch Krista Sager (Bündnis 90/Die Grünen) kritisierte die Pläne. Wenn die Regierung das Geld für die Prämie in die Frühförderung stecken würde, seien später keine "Reparaturmaßnahmen" nötig.
Auf die im Koalitionsvertrag vereinbarte Anhebung der Stipendien von zwei auf zehn Prozent ging Petra Sitte von der Linksfraktion ein. Sie kritisierte, dass es nur für "die Besten der Besten" gedacht sei. Studierende aus einkommensschwächeren Familien, die eine finanzielle Unterstützung zum Studieren bräuchten, würden davon nicht unbedingt profitieren. Patrick Meinhardt hatte den Plan der Koalition, die Begabtenförderung auszubauen, zuvor verteidigt. "Leistungswille ist ein Wertbegriff, den wir im deutschen Bildungssystem wieder neu etablieren, neu denken und neu mit Leben füllen müssen", betonte der Liberale. Am Ende der Debatte forderte Albrecht Rupprecht (CDU), Deutschland zur Bildungsrepublik zu machen. "Wir brauchen eines der besten Bildungssysteme der Welt, wenn wir gesellschaftlichen Zusammenhalt, Wohlstand und soziale Sicherheit in Deutschland bewahren wollen."
Was ist der langen Rede kurzer Sinn, kann man mit Friedrich Schiller fragen? Zu Beginn der neuen Legislaturperiode könnte die Losung aus seinem Drama "Die Räuber"gelten: Frisch also! Mutig ans Werk, heißt es da.