Biografie
Stephan Schlak über den temperamentvollen Politikwissenschaftler Wilhelm Hennis
Die Ideengeschichte der alten Bundesrepublik wäre ohne das jahrzehntelange Wirken von Wilhelm Hennis deutlich ärmer. Das macht Stephan Schlaks mitreißende Biografie dieses großen temperamentvollen Wissenschaftlers deutlich. Schlaks elegant geschriebene und einfühlsam komponierte Studie ruft uns wieder ins Gedächtnis, wie nachhaltig Hennis die Politikwissenschaft nach dem Zweiten Weltkrieg mitprägte, indem er gegen theoretisierenden Absolutheitsanspruch revoltierte und zugleich Ideengeschichte und Regierungslehre zu modernisieren suchte.
Schlaks kenntnisreiche und souveräne Biografie schließt zwar die wichtigsten Lebensstationen von Hennis mit ein, konzentriert sich aber ganz und gar auf die wissenschaftlichen Entwicklungslinien von der Promotion 1950 über das Problem der Souveränität bis zu seinen temperamentvollen Beiträgen im Zeichen einer praxisorientierten Politikwissenschaft.
In unmittelbarer Nähe zum Institut für Sozialforschung der "Frankfurter Schule" begann Hennis seinen fast lebenslangen intellektuellen Zwei-Fronten-Krieg: In den Debatten über Öffentlichkeit und Legitimität kämpfte Hennis vor allem in den 1960er- und 70er-Jahren gegen seinen intellektuellen Erzrivalen Jürgen Habermas. Andererseits war und blieb Hennis ein Gegner des autoritären Staatsverständnisses der Schule von Carl Schmitt.
Im Gegensatz zu Habermas hat Hennis als Realist nie das Absolute gesucht, sondern sich am praktischen Handeln orientiert. Als bescheidener "Spatzenjäger" erklärte Hennis gern: "Ich weiss, was ich in der Hand habe und sehe ohne den leisesten Anflug von Schadenfreude, dass die großartigsten Taubenjäger von Descartes bis Habermas bislang immer nur Fahrkarten geschossen haben."
"Erkenne die Lage" - diese Erkenntnis von Gottfried Benn hatte sich auch Wilhelm Hennis zu eigen gemacht. Für ihn war das Verhältnis zwischen politischer Ordnung und Mensch zentral. Daraus ergab sich für ihn ganz im Sinne von Weber die Frage nach der Lebensführung: wie wirkt eine ethisch vorbildliche oder verderbliche Ordnung auf den Menschen und wie kann umgekehrt durch Führung Ordnung geschaffen werden?
Schlak versteht Hennis mit Blick auf die zentralen Problemlagen der Bundesrepublik als den großen Unzeitgemäßen: Bis Mitte der 60er-Jahre forderte Hennis in Zeiten von Stagnation nachdrücklich Reformen, also graduelle Verbesserungen im politischen Leben. Richtlinienkompetenz, Information, Öffentliche Meinung und Verfassung waren seine reformorientierten Themen. Als die Studentenrevolte den Themenkatalog ausweitete und vor allem radikalisierte fand Hennis sich plötzlich in der Rolle des Konser- vativen wieder.
Schlak schildert nicht ohne Sympathie wie Hennis die Argumente der 68er als vordergründiges Spiel berauschender Idee demaskierte, die gegen eine vermeintlich faschistische Wirklichkeit ausgespielt wurden.
Als Repräsentant bundesrepublikanischer Bürgerlichkeit ging ihm die Studentenrevolte ästhetisch gegen den Strich. Auch deshalb nahm er die studentischen Anmaßungen nicht einfach hin wie viele seiner Kollegen. Doch erinnert Schlak auch taktvoll aber deutlich an Hennis Unberechenbarkeit. Wenige waren vor seiner Kritik sicher, wenn er zur Attacke blies. Auch das machte ihn im Kollegenkreis schwer integrierbar. Unruhe war für Hennis oberste Bürgerpflicht, aber verbunden mit Wirklichkeitssinn und gebunden an das Bewusstsein, dass die bundesrepublikanische Ordnung verteidigungswürdig ist. Dies wiederum bedeutet nicht, dass Hennis deren politisches Personal unkritisch gesehen hätte. Im Gegenteil, nur wenige Politiker hielten seinem strengen Urteil stand. Spätestens mit der Abwahl von Helmut Schmidt war für Hennis die Zeit der Staatsmänner in der Bundesrepublik abgelaufen. Schlak erinnert aber auch daran, dass Hennis sich zunächst um Einfluss bei Helmut Kohl bemühte, dann aber abblitzte und in den folgenden Jahren vielleicht auch aus gekränkter Eitelkeit zum erbitterten Gegner von Kohl mutierte.
Doch dies ist nicht der ganze, späte Hennis, denn am Ende seines Lebens trieben ihn zwei andere Dinge wirklich um, die, wenn man genau hinschaut, ihn eigentlich sein ganzes Leben begleitet haben. So wie ein Hausarzt alter Art von Zeit zu Zeit seinen Patienten untersucht, so fühlte der Politikwissenschaftler Hennis dem politischen Gemeinwesen den Puls. Seine Sorge galt vor allem der Übermacht des Parteienstaats, in dem der Politiker immer weniger für sondern von der Politik lebt. Sein zweites leidenschaftliches Interesse galt in den letzten 25 Jahren der Wiederentdeckung Max Webers.
In den heutigen Zeiten der politischen Korrektheit, Anpassung und politikwissenschaftlicher Langeweile sollte das Fach nicht auf die charismatische Leitfigur Wilhelm Hennis verzichten. Es ist das Verdienst von Stephan Schlak, mit seiner herausragenden und wegweisenden Studie diesen großen alten Mann wieder gebührend in Szene zu setzen.
Wilhelm Hennis. Szenen einer Ideengeschichte der Bundesrepublik.
Verlag C.H. Beck, München 2008; 280 S., 19,90 ¤