KINDERRECHTE
Der Streit um die Vorbehalte gegen die
UN-Kinderrechtskonvention geht in die nächste Runde
Niemand weiß genau, um wieviele Menschen es geht. Im Jahr 2008 haben offiziell mindestens 324 16- und 17-jährige unbegleitete Flüchtlinge einen Asylantrag gestellt. Wieviele aus dieser Altersgruppe jedes Jahr aber tatsächlich ohne Begleitung Erwachsener nach Deutschland kommen, ist unbekannt. Dabei wäre es durchaus interessant, ihre Zahl zu kennen. Denn um diese Jugendlichen streitet sich die Politik seit Jahren. Am 20. März wird das Thema erneut im Bundestag debattiert.
Gegenstand der Diskussion sind die Vorbehalte zur UN-Kinderrechtskonvention. In Deutschland ist die Konvention 1992 in Kraft getreten, sie gilt als Meilenstein im Ringen um Schutz und Rechte von Kindern weltweit. Doch vor allem auf Betreiben der Bundesländer machte die Regierung Einschränkungen geltend, die sie bei der Ratifikation der Konvention hinterlegte. Die überwiegende Anzahl davon ist heute aufgrund von Rechtsänderungen nicht mehr aktuell. Einzig strittig bleibt der Umgang mit der Gruppe von einigen hundert 16- bis 17-Jährigen, die jedes Jahr nach Deutschland einreisen. Gemäß der Konvention gilt jeder Mensch bis zu seinem 18. Geburtstag als Kind und genießt damit einen besonderen Schutz des Staates. Doch deutschem Recht zufolge sind schon 16-jährige Flüchtlinge fähig, ohne Vormund ein Asylverfahren durchzustehen - also den Behörden selbständig ihren Grund für den Antrag zu erklären. Sie können auch in einem Erstaufnahmelager untergebracht werden, wo sonst nur erwachsene Flüchtlinge wohnen müssen.
Ein Unding, sagen Bündnis 90/Die Grünen und Die Linke. In ihren Anträgen ( 16/1064, 16/8885) fordern sie die Rücknahme der Vorbehalte. "Die UN hat die Rechte der Kinder verteidigt. Das müssen wir ohne Wenn und Aber einhalten", sagt Ekin Deligöz, familienpolitische Sprecherin der Grünen, dieser Zeitung. Junge Flüchtlinge bräuchten einen besonderen Schutz, dazu gehöre eine besondere Unterkunft ebenso wie Schulunterricht. "Die Kinderrechte müssen für alle Kinder, die hier leben gelten - unabhängig von Nationalität, Sozial- oder Aufenthaltsstatus", fordert auch Diana Golze (Die Linke).
Die Anträge beider Fraktionen standen am 4. März zur abschließenden Beratung auf der Tagesordnung des Familienausschusses. Doch die Punkte wurden per Geschäftsordnungsantrag der Koalitionsfraktionen abgesetzt. "Die Koalition drückt sich davor, ihre Meinung zu sagen", moniert Deligöz. Johannes Singhammer (CSU) sieht das anders. Er betont, Grund für die Absetzung sei ein weiterer Antrag der Grünen ( 16/5005) gewesen, der zu diesem Tagesordnungspunkt gehört habe. Darin sei die Forderung enthalten, Kinderrechte ins Grundgesetz aufzunehmen. Hier finde die Koalition keine gemeinsame Position.
Die beiden Oppositionsfraktionen haben ihre Anträge trotzdem auf die Plenartagesordnung setzen lassen. Laut Paragraf 62 der Geschäftsordnung des Bundestages ist das möglich, wenn mindestens zehn Sitzungswochen vergangen sind, nachdem ein Antrag eingebracht wurde.
Die FDP-Fraktion fordert ebenfalls eine Rücknahme der Vorbehalte. Die kinder- und jugendpolitische Sprecherin Miriam Gruß verweist auf einen eigenen Antrag zu diesem Thema ( 16/4735). Die Vorbehalte seien aufgrund rechtlicher Änderungen "obsolet geworden".
Auch die SPD-Abgeordnete Marlene Rupprecht spricht sich dafür aus, die Kinderrechtskonvention vollständig in Kraft treten zu lassen. Es sei peinlich, nach jedem Staatenbericht von der UN für die Einschränkungen gerügt zu werden. Schuld an der Aufrechterhaltung der Vorbehalte seien jedoch die Länder, so Rupprecht.
Und tatsächlich: Zwölf Bundesländer haben sich laut einer Antwort der Bundesregierung ( 16/6076) auf eine Kleine Anfrage der Grünen ( 16/4205) gegen die Rücknahme der Vorbehalte ausgesprochen, darunter auch Bayern. Rainer Hutka, Pressesprecher des bayerischen Innenministeriums, erklärt das Misstrauen mit einer Rechtsunsicherheit. Die Minderjährigen könnten versuchen, sich unter Berufung auf die UN-Kinderrechtskonvention ein Bleiberecht vor Gericht zu erstreiten. An sich sei man sich zwar einig, dass aus der UN-Kinderrechtskonvention keine aufenthaltsrechtlichen Ansprüche abgeleitet werden könnten, aber man will "einem Missverständnis vorbeugen". "Wir sehen die Gefahr, dass minderjährige Flüchtlinge gezielt nach Deutschland einreisen, wenn wir die Vorbehalte zurücknehmen", sagt Hutka.
Dass die Bundesländer sich in dieser Einschätzung nicht einig sind, zeigt ein Blick nach Schleswig-Holstein. "Wir sehen die Gefahr von Klagen nicht", so Dirk Gärtner, Referent für Aufenthaltsrecht im Innenministerium des norddeutschen Bundeslandes. Die Konvention sei ein Vertrag zwischen Staaten - unmittelbare Auswirkungen für Einzelne seien nicht gegeben. "Wir halten die Vorbehalte für nicht vereinbar mit der Idee der Konvention", meint Gärtner. Deswegen sollten sie auch zurückgenommen werden.
Würde man dies tun, müsste man das Aufenthaltsrecht ändern, hält Paul Middelbeck, Referatsleiter für Asyl- und Ausländerrecht im niedersächsischen Innenministerium, dagegen. Im übrigen bedeute die Aufrechterhaltung der Vorbehalte keine generelle Benachteiligung der Jugendlichen. Außerhalb des Asylverfahrens gelten sie nicht als mündig. Wie jedes andere Kind hätten sie deshalb ein Recht auf grundlegende Dinge wie etwa Schulbildung und ärztliche Versorgung.