MITTELMEERUNION
Die Herausforderungen im Mittelmeerraum sind größer denn je. Doch die vor knapp einem Jahr vereinbarte Kooperation zwischen der EU und den Anrainerstaaten stockt
Am 14. Juli 2009, gut einen Monat nach der Wahl zum EU-Parlament, jährt sich der Jahrestag der Gründung der Mittelmeerunion zum ersten Mal. Die Bilanz wird nüchtern ausfallen. Der Quantensprung in der regionalen Kooperation, den Frankreichs Staatspräsident Sarkozy forcieren wollte, ist ausgeblieben. Die Mittelmeerunion, die das neu gewählte Europaparlament und die nächste Europäische Kommission in den kommenden Jahren begleiten werden, wird mit Problemen zu tun haben, die von der bisherigen Mittelmeerpolitik der EU, dem 1995 lancierten, sogenannten Barcelonaprozess, wohl bekannt sind.
Die Herausforderungen der Mittelmeerregion sind klar benannt: Sie betreffen die Folgen des Klimawandels für die Region, das Wohlstandgefälle, Migrationsdruck, den Terrorismus und weitere Sicherheitsprobleme, die mit den repressiven Regimen der Region zu tun haben, außerdem wachsende Energieversorgungsnotwendigkeiten und die Verschmutzung des Mittelmeers. Wirksame politische Antworten auf diese Probleme stehen noch aus.
Zwar ist die neu eingerichtete Doppel-Präsidentschaft mit Frankreich und Ägypten im Amt und seit dem Außenministertreffen im November 2008 Barcelona als Sitz des Generalsekretariats beschlossen. Vorbereitungen zur Lancierung erster Projekte in Ergänzung zum laufenden Barcelonaprozess wurden begonnen, etwa zur maritimen Sicherheit oder zur Solarenergie.
Doch gefährden mindestens vier Faktoren den Erfolg der Mittelmeerpolitik. Da ist zunächst der Nahost-Konflikt, der seit Jahrzehnten jede breitere Zusammenarbeit in der Region erschwert. Beim Auftaktgipfel im Juli 2008 retteten sich die 43 Teilnehmerstaaten um das Thema herum, indem sie von einer politischen Erklärung absahen. Das Außenministertreffen im November 2008 brachte Kompromisse zwischen der israelischen und der arabischen Seite hervor: Zum einen wurde auf Drängen einiger arabischer Staaten der Sitz des Generalsekretariats nicht in ein arabisches Land gelegt - was aus Sicht dieser Länder ein Zuviel an Normalisierung der Beziehungen zu Israel bedeutet hätte. Zudem wurde der Status der Arabischen Liga geklärt: Sie kann bei allen Treffen im Rahmen der Mittelmeerunion dabei sein, verfügt aber über keine Abstimmungsrechte. Für dieses Zugeständnis bekam Israel den Posten eines stellvertretenden Generalsekretärs versprochen. In Folge der israelischen Bombardierung des Gazastreifens zerfiel die Kooperationsbereitschaft. "Aufgrund der Nahost-Krise finden derzeit keine Treffen im Rahmen der Mittelmeerunion statt", hieß es in einer Stellungnahme des Auswärtigen Amts auf eine Anfrage aus dem Deutschen Bundestag im Februar 2009. Tatsächlich wurden auf Druck einiger arabischer Länder Treffen auf politischer wie auf Arbeitsebene zunächst bis März 2009 ausgesetzt. So tagt auch der "Ständige Gemeinsame Ausschuss" in Brüssel derzeit nicht, ein Gremium, das der Gründungsgipfel schuf, um ein schnelles Zusammentreten im Krisenfall zu gewährleisten.
Ein weiteres Problem: Noch immer wird die Mittelmeerunion im südlichen Raum oft als Projekt der EU, wenn nicht sogar als Projekt französischer Interessenpolitik wahrgenommen. Eine gleichberechtigte Partnerschaft hat sich bislang nicht etabliert, was auch an mangelnden Initiativen und der derzeitigen Blockadehaltung der Länder am südlichen Mittelmeer liegt. Zudem ist die Türkei zurückhaltend, die verhindern will, dass mit der Mittelmeerunion eine Alternative zu einer EU-Mitgliedschaft aufgebaut wird. Die französische Initiative hat überdies von Anfang an Projektzusammenarbeit vor großen politischen Vorstößen privilegiert, etwa hinsichtlich des Respekts der Menschenrechte und der Umsetzung rechtsstaatlicher Prinzipien. Die Entpolitisierung der Kooperation, gepaart mit einer nur unzureichend entwickelten Einbindung der Zivilgesellschaft in den südlichen Anrainerstaaten, dürfte die Transformationskraft der Mittelmeerpolitik hemmen - und daher den EU-Sicherheitsinteressen entgegenlaufen. Schließlich stellt die aktuelle Wirtschafts- und Finanzkrise eine Herausforderung dar: Ein Großteil der zu lancierenden Projekte basiert darauf, dass Förderkredite, private Gelder und Staatsfonds in der Region mobilisiert werden. Doch die Krise hat die Zahlungsfähigkeit und -bereitschaft massiv reduziert. Das bestehende Budget für die Mittelmeerpolitik der EU - rund 16 Milliarden Euro im Haushalt 2007 bis 2013 - dürfte daher nicht in großem Zuge ergänzt werden.
Die Zukunft der Mittelmeerpolitik hängt mit davon ab, welche Bedeutung die EU welchem Nachbarschaftsraum in Zukunft zumessen wird. Traditionell schwankt die Aufmerksamkeit zwischen Süden und Osten, je nachdem, welches EU-Land den Ratsvorsitz hält. Unter deutscher Ratspräsidentschaft im ersten Halbjahr 2007 galt die Aufmerksamkeit fast ausschließlich dem Osten. 2008 richtete sich der Fokus unter Pariser Regie auf den Süden. Nun wird das Pendel in Richtung Nordosten zurückschwenken, wenn die schwedische Ratspräsidentschaft ab Juli 2009 die von Schweden und Polen vorgeschlagene Östliche Partnerschaft voranbringt. Diese regionale Fokussierung ist aufgrund der jeweiligen geopolitischen Interessen der EU-Staaten nachvollziehbar. Die Herausforderung bleibt jedoch, eine für alle europäischen Partner akzeptable Balance zwischen den geografischen Räumen zu finden.
Daniela Schwarzer leitet die Forschungsgruppe EU-Integration der Stiftung Wissenschaft und Politik in Berlin .