STRATEGIEN
Die Parteien werben multimedial um die europamüden Wähler. Das Internet wird dabei immer wichtiger
Inka Bause kennen viele Fernsehzuschauer bisher nur aus der quotenträchtigen Reality-Sendung "Bauer sucht Frau" im RTL-Programm. Bause verkuppelt dort Landwirte auf Brautschau mit alleinstehenden Damen. Die Sendung ist recht publikumswirksam, was man von den Europawahlen nicht gerade sagen kann. Die Wahlbeteiligung ist in ganz Europa seit Jahren erschreckend gering. Seit der ersten Direktwahl 1979 ist sie innerhalb von 25 Jahren allein in Deutschland von fast 66 Prozent auf 43 Prozent gesunken.
Deshalb soll Bause als Aushängeschild einer neuen, überparteilichen TV-Kampagne für die Europawahl 2009 werben. ARD, ZDF, Sat.1 und Pro7 haben sich ebenfalls bereiterklärt, Wahlaufruf-Spots mit Prominenten zu produzieren. Damit sollen vor allem junge Leute zur Teilnahme an der unbeliebten Wahl animiert werden.
Diese Unterstützung können die Parteien mehr als gebrauchen. "Jeder Europawahlkampf muss den Wählerinnen und Wähler erstmal die Wahl an sich und den Termin ins Bewusstsein bringen", sagt Christina Holtz-Bacha, Professorin für Kommunikationswissenschaft an der Universität Erlangen-Nürnberg. "Viele wissen gar nicht, was das Europäische Parlament ist und was es tut." Um das zu vermitteln, brauche man "aufdringliche" Wahlkampfmittel, "also solche, die nicht eine aktive Informationssuche durch die Wähler voraussetzen", erklärt Holtz-Bacha. Das bedeutet: Werbung, Werbung, Werbung.
Doch Werbung kostet Geld, und auf das schauen auch die Parteien. Gut drei Monate nach der Europawahl findet in diesem Jahr die Bundestagswahl statt. Keine Frage, wohin das Geld für Wahlwerbung primär fließen wird, sagt Holtz-Bacha. Außerdem seien die Europawahlen ohnehin eher "low key-Kampagnen" - also tendenziell unterfinanziert und -budgetiert. "Schlechte Aussichten für die Mobilisierungschancen bei der Wählerschaft", meint die Professorin. Die Etats für den Europawahlkampf bewegen sich auf Nachfrage gerade einmal zwischen maximal 10 Millionen Euro (CDU) und unter einer Million Euro (Grüne).
"Bei der Europawahl hat man es mit einem unseligen Teufelskreis wechselseitiger Erwartungen der Parteien, Bürger und Medien zu tun", sagt Oskar Niedermayer, Politikwissenschaftler an der Freien Universität Berlin. Die Parteien bestritten die Wahl nur mit "angezogener Handbremse", weil sie davon ausgingen, dass die Leute mit Europathemen schwer zu erreichen seien. Die Medien blieben darum "quantitativ wie qualitativ" unter dem Niveau, dass sie bei Bundestagswahlen erreichten. Die eher sparsame Berichterstattung verstärke bei den Bürgern schließlich den Eindruck, dass es sich um eine zweitrangige Wahl handele. Zudem werde den Wählern nicht deutlich, was ihre Stimmabgabe überhaupt bewirke. "Ein Schlamassel", befindet Niedermayer.
Doch was folgt daraus? Wie mobilisieren die Parteien die europamüde Wählerschaft? Meist setzen die Parteien auf europäische Themen, die aber auch einen Bezug zur Bundespolitik aufweisen. Das ist wichtig, denn nur die Kopplung mit nationalen Themen verheißt ein ausreichend großes Interesse bei den Wählern. So macht beispielsweise die CDU die neue globale Finanzmarktordnung zu einem Top-Thema, während die bayerische Schwesterpartei CSU europaweite Volksentscheide fordert. "Europapolitik wird immer mehr Innenpolitik", sagt ein CDU-Sprecher.
Allerdings machen Themen noch keinen guten Wahlkampf: Es braucht auch Köpfe, die sie transportieren. Das weiß die ganze Welt erst recht seit dem Wahlsieg von Barack Obama in den USA. Allerdings ist die fehlende Personalisierung bisher ein zentrales Manko bei allen Europawahlen - die Mehrzahl der von den Parteien aufgestellten Kandidaten ist der breiten Bevölkerung so gut wie unbekannt - geworben wird mit Themen, nicht mit Köpfen. Die sind später ohnehin weit weg, in Brüssel oder Straßburg.
Die FDP versuchte 2004 eine Trendwende: Sie spitzte ihren Wahlkampf extrem auf die eloquente und medienwirksame Silvana Koch-Mehrin zu und schaffte mit ihr als Spitzenkandidatin nach 15 Jahren schließlich den Wiedereinzug in die europäische Volksvertretung. Auch Daniel Cohn-Bendit, der 2004 für die deutschen und in diesem Jahr für die französischen Grünen ins Rennen geht, ist einer breiteren Öffentlichkeit bekannt und verschafft seiner Partei dadurch eine Menge Aufmerksamkeit. Von Martin Schulz (SPD), Markus Ferber (CSU) oder selbst Hans-Gert Pöttering (CDU), immerhin seit 2007 Präsident des Europaparlaments, kann man das nicht in gleichem Maße behaupten. Die CDU warb im Europa-Wahlkampf 2004 mit einem Plakat, das Bundeskanzlerin Angela Merkel zeigte, die freilich gar nicht zur Wahl stand. "Europa 2004: Deutschland kann mehr", hieß es darauf.
Mutiger sind da die Grünen. Sie wollen in diesem Jahr sogar europäische Spitzenkandidaten aufstellen und mit ihnen Wahlkampf in ganz Europa machen. Die Grünen sind Mitglied der 2004 in Rom gegründeten "Europäischen Grünen Partei", die schon vor fünf Jahren mit einer einheitlichen Wahlkampagne bei den Europawahlen angetreten waren. Ein Novum: Europa-Wahlkämpfe waren zuvor immer eine rein nationale Angelegenheit gewesen. Für die bundesdeutschen Grünen zahlte sich die Kampagne auch aus - sie erzielten 2004 das Rekordergebnis von 11,9 Prozent.
Die offenbar erfolgreiche Strategie wollen die Grünen jetzt wiederholen. Der Startschuss für die europaweite Kampagne fällt auf einem Kongress der europäischen Grünen am 27. und 28. März in Brüssel.
"Wir sind die Europapartei", betont Wahlkampfmanager Rudi Hoogvliet, und erklärt, dass Ende März auch ein gemeinsamer Online-Auftritt vorgestellt werde mit Informationen zu den Spitzenkandidaten und einigen interaktiven Elementen. Allerdings betont Wahlkämpfer Hoogvliet, genüge es nicht allein, eine europaaffine Klientel zu haben. "Wir müssen in Deutschland eigene Akzente setzen. Eine Kampagne, die in Deutschland funktioniert, funktioniert nicht unbedingt auch in Schweden." So wird es 2009 zwar einen europaweiten Claim - gewissermassen das "Yes, we can" einer jeden Kampagne - auf Englisch geben, doch den werde man in Deutschland nicht übernehmen und hierzulande mit einem eigenen Slogan werben.
Die 74 nationalen Mitgliedsparteien der Europäischen Volkspartei (EVP), der auch CDU und CSU angehören, üben ebenfalls den Schulterschluss. Das gemeinsame EVP-Wahlprogramm wird Ende März auf einem Kongress in Warschau verabschiedet. Dann wird es auch eine gemeinsame Homepage der EVP-Fraktion im Europaparlament geben. Bereits jetzt hat die EVP eine spezielle Website zur Wahl freigeschaltet - einen Bewegtbild-Kanal (http://dialoguetv.epp.eu/).
In Deutschland allerdings gehen CDU und CSU mit unterschiedlichen Programmen an die Öffentlichkeit und stellen sie auch an unterschiedlichen Terminen vor: die CDU am 16. März auf ihrem Europakongress, bei dem Bundeskanzlerin Angela Merkel als Hauptrednerin auftritt, die CSU auf ihrem Parteitag in Deggendorf am 9. Mai.
Noch haben die Parteien fast drei Monate Zeit, Wähler zu gewinnen. Bis zum Wahltermin am 7. Juni werden die Kandidaten auf zahlreichen Wahlveranstaltungen auftreten und die persönliche Begegnung mit den Bürgern suchen. Die Bilder solcher Auftritte sind zunehmend nicht nur in den Fernsehnachrichten zu sehen, sondern auch auf Internet-Plattformen wie YouTube. Alle im Bundestag vertretenden Parteien haben dort inzwischen einen eigenen Kanal. Das Internet als Wahlkampfinstrument rückt immer mehr ins Zentrum der Kampagnen.
"2009 werden wir stärker als in den Jahren zuvor auf das Internet als das Herzstück der Kampagne setzen", sagt etwa Barbara Braun, stellvertretende Pressesprecherin des SPD-Parteivorstandes. "Das Netz ist Massenmedium und es wird das Leitmedium der politischen Kommunikation in den nächsten Jahren sein." Allerdings: Gab man Mitte März in der Suchmaschine Google den Begriff "Europawahl" ein, tauchte erst an siebter Stelle die Web-Adresse einer Partei auf - die der Europa-Website der FPD (www.fdp-europawahl.de). Auf dieser findet der interessierte Besucher neben dem Wahlprogramm und aktuellen Meldungen auch Videos der FDP-Abgeordneten im Europaparlament. Außerdem haben die Liberalen eine interaktive "mit mach arena" gebastelt: Hier gibt es Blogs von FDP-Politikern, Foren, Videos und viele weitere interaktive Elemente. "Einige hundert" Anregungen von Nutzern hätten sogar zu Änderungen im Wahlprogramm geführt, erklärt FDP-Bundesgeschäftsführer Hans-Jürgen Beerfeltz.
Für den Europawahlkampf hat sich die FDP eine weitere technische Spielerei einfallen lassen: das "sprechende Plakat". Wenn die Nutzer mit ihrem Mobiltelefon ein Wahlplakat der Spitzenkandidatin Silvana Koch-Mehrin fotografieren und das Foto an eine bestimmte Mobilfunknummer schicken, bekommen sie einen Link zu einer Videobotschaft im Internet zugeschickt. Beerfeltz ist überzeugt, dass solche Aktionen zum Erfolg führen: "Wer nur auf die alten Wahlkampfmethoden setzt, wird verlieren."
Über das eigene Webangebot hinaus setzen viele Parteien zunehmend auch auf Online-Communities wie StudiVZ, Facebook und Co, auf denen sich vor allem Jugendliche mit eigenen Profilen präsentieren und untereinander als "Freunde" verlinken. "Wir wollen eine hohe Wahlbeteiligung auch durch diese sozialen Netzwerke erreichen", sagt SPD-Sprecherin Barbara Braun. Wie weit dies gelinge, hänge wesentlich von der Bereitschaft der Bürger ab, "sich selber einzumischen und mitzugestalten". Auch Hans-Jürgen Beerfeltz betont: "Wir müssen auf die virtuellen Marktplätze gehen."
Das hat auch das Europaparlament erkannt. Auf seiner Homepage (www.europarl.de) hat es einen Bereich speziell für junge Wähler eingerichtet. Dort werden ihnen zum Beispiel grundsätzliche Fragen zur Europawahl beantwortet. Bei einem Quartett-Spiel können sie aber auch ihr Wissen über die EU testen und dabei ein Handy gewinnen. Wer möchte, kann das gleich einsetzen: Per SMS kann man sich am 7. Juni an den Wahltermin erinnern lassen.
Christian Meier ist Medienexperte und Berlin-Korrespondent des "kressreport".