EUROPA-PARTEIEN
Ihre Unterschiede sind oft größer als ihre Gemeinsamkeiten. Jetzt sorgen paneuropäische Neugründungen wie »Libertas« und die »Newropeans« für Furore
Glaubt man ihren bunten Webauftritten, dann sind die großen Parteien längst in Europa angekommen. So rühmt sich die "Europäische Volkspartei" (EVP) neben einem Konterfei ihres Präsidenten Wilfried Martens, "die größte auf Europaebene vertretene Partei auf dem Kontinent" zu sein. EPP nennt sie sich im Eurosprech, European People's Party - und der Name dürfte den meisten europäischen Wählern ebenso wenig vertraut sein wie ihr aus Belgien stammender Vorsitzender.
Wer zwischen dem 4. und 7. Juni in einem Mitgliedsland der EU zur Wahl gehen will, muss den Namen EPP oder den des großen Konkurrenten PES (Party of European Socialists) nicht parat haben, um sein Kreuzchen machen zu können. Auf den meisten nationalen Wahlzetteln finden sich wie bei jeder anderen Wahl auch die vertrauten Namen der jeweiligen nationalen Parteien. Das deutsche Bundeswahlgesetz lässt es allerdings zu, dass auch europäische Parteiverbände Kandidatenlisten einreichen. Doch die europäischen Parteien bilden bislang nur lose Zusammenschlüsse und haben eher symbolischen Charakter. In Brüssel werden sie meist als "politische Familien" bezeichnet. Denn die programmatischen Unterschiede sind oft größer als die Gemeinsamkeiten. Wahlversprechen müssen deshalb noch viel unverbindlicher und offener formuliert sein, als man das von nationalen Wahlkämpfen gewohnt ist.
Etwas einfacher als die Konservativen haben es die Sozialisten. Internationale Zusammenschlüsse haben in der Geschichte der Partei Tradition. Forderungen wie Chancengleichheit, soziale Gerechtigkeit und Solidarität kann jede sozialistische Schwesterpartei mittragen. Doch beim Kleingedruckten wird es auch hier schwierig, schon weil sich einige wie die schwedische "Sveriges Socialdemokratiska Arbetareparti" oder die deutsche SPD als Sozialdemokraten verstehen, andere wie die spanische "Partido Socialista Obrero Español" oder die französische "Parti socialiste" als Sozialisten.
Vorsitzender der PES ist seit April 2004 der dänische Sozialdemokrat Poul Nyrup Rasmussen. Im Gegensatz zu Winfried Martens sitzt er als Abgeordneter im Europäischen Parlament, doch bekannter als sein konservativer Gegenspieler ist er dennoch nicht. Ein deutsches Publikum kann vielleicht mit dem Namen Martin Schulz etwas anfangen. Schulz leitet seit den vergangenen Europawahlen die aus 217 Abgeordneten bestehende sozialistische Fraktion im EP. Unfreiwillige Wahlkampfhilfe leistete ihm der italienische Premier Silvio Berlusconi, als er ihm 2003 vorschlug, in einem Film die Rolle des KZ-Aufsehers zu übernehmen. Schulz unterstützte daraufhin die italienischen Sozialisten 2004 in ihrem Europawahlkampf.
Auch der Grüne Daniel Cohn-Bendit schafft es, in zwei europäischen Ländern bekannt, präsent und wählbar zu sein. 1994 und 2004 kandidierte er auf der deutschen Liste der Grünen. Bei der kommenden Wahl wird sein Name wie schon 1999 auf den französischen Wahlzetteln stehen. Auf ihrer Website rühmen sich die Grünen, 2004 als erste Partei mit einer gemeinsamen Wahlkampagne in allen Mitgliedsländern angetreten zu sein. Am 21. Februar 2004 gründeten sie in Rom die Europäische Grüne Partei. Monica Frassoni, Cohn-Bendits gleichberechtigte Kollegin in der Fraktionsführung, ist ebenfalls in zwei Parteienlandschaften verwurzelt. Sie hat einen italienischen Pass, war aber 1999 auf der Liste der belgischen Grünen-Partei Ecolo ins EP gewählt worden.
Doch bei aller Europa-Rhetorik haben auch die Grünen Probleme mit dem Kleingedruckten bei ihren Mitgliedsparteien. Vor allem die nordischen Ableger sind europakritisch bis europafeindlich eingestellt.
Schlagzeilen macht in der Aufwärmphase für die Europawahlen Libertas, die neue europaskeptische Partei des irischen Unternehmers, Multimillionärs und EU-Gegners Declan Ganley. Ganley (39) hatte in Irland eine Kampagne gegen den Lissabon-Vertrag finanziert und damit wesentlichen Anteil am Scheitern des EU-Reformvertrages beim irischen Verfassungsreferendum. Jetzt will er ganz Europa gegen das Vertragswerk und gegen eine weitere Vertiefung der Union in Stellung bringen. Wieviele Mitglieder Libertas hat, ist unklar, eigenen Angaben zufolge hat die Partei bisher aber Ableger in sechs weiteren Mitgliedstaaten gebildet, zuletzt in Deutschland und Großbritannien. Damit hat sie nach dem neuen europäischen Parteienstatut Anspruch auf Förderung als europäische Partei. Das EU-Parlament hat die 200.000 Euro Fördermittel für dieses Jahr allerdings eingefroren, nachdem ein estnischer und ein bulgarischer Politiker verneint haben, Libertas beigetreten zu sein.
Grundsätzlich hat jede Partei, die in mindestens einem Viertel der EU-Staaten durch Europaparlamentarier beziehungsweise durch nationale Abgeordnete vertreten ist und die Prinzipien des Rechtsstaats achtet, Anspruch auf einen Zuschuss aus dem EU-Haushalt. In diesem Jahr erhalten alle elf Europa-Parteien einen Sockelbetrag von gut 160.000 Euro, wie das EP mitteilt. Der Rest richtet sich nach der Zahl der EU-Abgeordneten. Laut Beschluss des Parlamentspräsidiums vom 2. Februar erhält in diesem Jahr die Europäische Volkspartei (EVP), die die größte Fraktion im Europaparlament stellt, knapp 3,5 Millionen Euro. Die Sozialdemokratische Partei Europas (PES) bekommt 3,1 Millionen Euro. 1,2 Millionen Euro gehen an die Liberalen (ALDE). Die Grünen, die Vereinigte Europäische Linke (GUE) und die in Deutschland nicht vertretene Union für das Europa der Nationen (UEN) erhalten jeweils rund 600.000 Euro, die europaskeptische Gruppe Unabhängigkeit/Demokratie (IND) knapp 500.000 Euro. 200.000 Euro erhalten die EU-Demokraten (EUD) und die Europäische Freie Allianz (EFA), die im Europaparlament nur mit einzelnen Abgeordneten, nicht aber als Fraktion vertreten sind.
Die Newropeans sind die einzige Partei, die in allen EU-Staaten mit dem gleichen Namen auf dem Wahlzettel stehen wird. Sie treten mit dem Programm an, die Europäer enger zusammen zu führen. Das Nein der Iren zum Reform-Vertrag hält Parteigründer Franck Biancheri nicht für eine Katastrophe: Auch in anderen EU-Ländern "einschließlich Deutschlands" lehne eine Mehrheit den Vertrag ab. Bis zu einer "grundlegenen Neuordnung der EU" sei der geltende Nizza-Vertrag ausreichend.
Die von den Newropeans angestrebte Neuordnung käme einer Revolution gleich: Biancheri will das EU-Parlament aufwerten, ihm ein eigenes Initiativrecht für Gesetze zugestehen und die Hälfte aller Abgeordneten künftig über paneuropäische Listen wählen lassen. Dabei gehen die Newropeans mit gutem Beispiel voran. Die in den meisten Ländern geltende Fünf-Prozent-Hürde macht ihren Einzug ins nächste Europaparlament allerdings eher unwahrscheinlich.
Daniela Weingärtner ist freie Journalistin und berichtet für Das Parlament aus Brüssel.