WAHLPROGNOSEN
Schon in der Vergangenheit haben Rechtspopulisten im EU-Parlament für Unruhe gesorgt. Nach den Wahlen im Juni könnten sie stärker werden denn je
Als die Abgeordneten des Europaparlaments am 28. September 2006 ihre E-Mails lasen, trauten sie ihren Augen nicht. Sie hatten Post von Dimitar Stojanow, einem 23-jährigen Nachwuchspolitiker aus Bulgarien. Dieser hatte einen Beobachterstatus im Parlament und sollte mit dem EU-Beitritt seines Landes Anfang 2007 regulärer Abgeordneter werden.
Stojanows Mail befasste sich mit der ungarischen EU-Parlamentarierin und Roma-Angehörigen Livia Jaroka. Diese war für einen kleineren Brüsseler Politiker-Preis nominiert - in den Augen Stojanows keine gute Idee. "In Bulgarien gibt es Tausende Zigeunermädchen, die viel hübscher sind", ließ er seine künftigen Kollegen wissen. "Man kann sie auch kaufen, für 5.000 Euro das Stück."
Die Affäre um Stojanow schlug hohe Wellen - handfeste Konsequenzen gab es für den Mann nicht. Drei Monate später zog er tatsächlich ins EU-Parlament ein. Kurz darauf gründeten 19 Parlamentarier verschiedener Länder mit ihm zusammen eine eigene Fraktion. Die "Identität - Tradition -Souveränität" (ITS) war die erste rechtsextreme EU-Fraktion seit 13 Jahren, auch wenn sie wegen interner Querelen nicht lange Bestand hatte.
Nun, vor der Europawahl im Juni, sammeln rechte und rechtspopulistische Gruppierungen in Europa erneut ihre Kräfte. Beobachter glauben, dass sie das beste Ergebnis seit langem erzielen und dem Europaparlament einen neuen Rechtsruck bescheren könnten. "Gerade die Wirtschaftskrise gibt im Moment Anlass zur Sorge", sagt der britische Labour-Abgeordnete Glyn Ford.
Der 59-Jährige beschäftigt sich seit vielen Jahren mit der Entwicklung der Rechten in Europa. Diese habe sich schon vor der Finanzkrise im Aufwärtstrend befunden, meint er. "Wenn nun die Arbeitslosigkeit europaweit steigt, könnten Radikale aus der Verbitterung der Menschen Profit schlagen." Ob Hetze gegen Juden, Roma, Muslime, Schwule oder andere Minderheiten - damit lasse sich in Europa zunehmend punkten, glaubt er. Allein die "British National Party" (BNP) aus Fords Heimatland, bisher nicht im EP vertreten, könnte zwei bis sechs Sitze gewinnen, schätzt der Experte. Auch die "Front national" aus Frankreich und der belgische "Vlaams Belang" seien gut aufgestellt, und nicht zuletzt die osteuropäischen Rechtsparteien. Schon die Erweiterungsrunden 2004 und 2007 hatten neben Stojanow eine Reihe weiterer Hardliner ins Parlament gespült. Deutsche extreme Gruppen werden wohl nicht ins Parlament einziehen. Sie brächten sich aber außerhalb der Volksvertretung ein, sagt die Grünen-Europaabgeordnete Angelika Beer: "Deutsche Neonazis und Rechtsextremisten spielen eine wesentliche Rolle in der europäischen Verzahnung der menschenverachtenden Ideologie." Auch Beer ist der Ansicht, dass sich die europäische Rechte im Juni gute Wahlchancen ausrechnen kann.
Die ITS war nicht die einzige rechtsgerichtete Formation im aktuellen EU-Parlament. Bis heute gibt es die "Union für das Europa der Nationen" (UEN), ein schwer zu fassendes Sammelsurium aus Nationalkonservativen und EU-Skeptikern. Ihr gehört etwa die italienische "Lega Nord" an. Mit 44 Mitgliedern ist die UEN derzeit die viertstärkste Kraft im Parlament - nach Christ- und Sozialdemokraten sowie Liberalen, aber noch vor Grünen und Linkspartei.
Freilich sind die Dimensionen des rechten Flügels im 785-Sitze-Parlament noch überschaubar. Dazu kommt, dass den Rechten ihre Philosophie bis zu einem gewissen Punkt selbst im Weg steht. So zerbrach die ITS Ende 2007 ironischerweise an einem rassistisch motivierten Streit: Die Italienerin Alessandra Mussolini, Enkelin des Diktators, hatte gegen rumänische Einwanderer in ihrer Heimat gewettert. Wutentbrannt traten daraufhin die rumänischen Mitglieder aus der Fraktion aus. Die Übriggebliebenen hatten keine Fraktionsstärke mehr. Nach der Wahl wird es jedoch neue Anläufe zur Fraktionsbildung geben, glauben der Labour-Mann Ford und andere Beobachter.
Einige gemeinsame Ziele lassen sich als Minimalkonsens formulieren: Kampf gegen die Globalisierung und die Konkurrenz aus südlichen Niedriglohnländern sowie gegen den Islam. "Die EU muss endlich aktiv werden und die Demokratie verteidigen", verlangt der britische Journalist und Extremismus-Experte Graeme Atkinson. Zwar ist in den vergangenen Jahren einiges geschehen: So hat die EU einen Rahmenbeschluss gegen Rassismus verabschiedet, der Gewaltaufrufe gegen Ausländer und die Holocaust-Leugnung europaweit unter Strafe stellt. Dazu gibt es die neue EU-Grundrechteagentur in Wien, die rassistische Tendenzen in Europa beobachtet. Doch das reicht längst nicht, meint Atkinson. "Gerade was Osteuropa angeht, ist die EU auf dem rechten Auge blind."