HOMOSEXUELLE
Linke und Grüne sind mit Vorstößen zur Rehabilitierung nach 1945 verurteilter Schwuler gescheitert. Die Mehrheit des Bundestages begründete ihr Nein vor allem mit rechtssystematischen Erwägungen
Ralf ist schwul. Und jeder weiß es. So wie beim Berliner Bürgermeister Klaus Wowereit und FDP-Chef Guido Westerwelle. Na und, könnte man fragen. Sexuelle Orientierung ist und bleibt doch Privatsache - und damit auch, ob Männer nun Männer oder Frauen lieben. Oder umgekehrt. Noch vor wenigen Jahrzehnten aber war dies ganz anders. Lange Zeit war Homosexualität in West- wie in Ostdeutschland strafbar. In der Bundesrepublik war im Strafgesetzbuch festgelegt, dass "ein Mann, der mit einem anderen Manne Unzucht treibt", schlimmstenfalls jahrelang ins Gefängnis wandern kann. Die Formulierung stammte noch aus der Zeit der Nationalsozialisten.
Um solche Menschen, die nach 1945 wegen homosexueller Handlungen verurteilt wurden, ging es in einer Debatte des Bundestages am 6. Mai. Linksfraktion und Grüne hatten Anträge vorgelegt, in denen sie übereinstimmend eine gesetzliche Rehabilitierung und Entschädigung gefordert hatten. Das Parlament lehnte aber beide Initiativen mit der Mehrheit der Koalitionsfraktionen CDU/CSU und SPD sowie der FDP-Fraktion gegen die Stimmen der Antragsteller ab.
Der CDU-Abgeordnete Jürgen Gehb argumentiert, es gehe nicht um das Leid homosexueller Mitbürger, sondern um die grundsätzliche Frage, ob eine Parlamentsmehrheit rechtskräftige Urteile unabhängiger Gerichte aufheben könne. Gehb weist darauf hin, dass eine Stärke der Demokratie in Deutschland darin liege, Dinge zu ändern, wenn sie sie für falsch hielte. Dies sei mit dem Paragraphen 175 gegen Homosexuelle im Laufe der Jahre auch geschehen. Zudem habe sich der Bundestag bereits mehrfach - zuletzt im Jahr 2000 - mit dem Schicksal homosexueller Menschen in der NS- und auch in der Nachkriegszeit beschäftigt. Das Parlament habe für das - gerade auch in der Nachkriegszeit - angetane Leid um Entschuldigung gebeten.
"Durchaus ehrenwert" nennt der SPD-Abgeordnete Carl-Christian Dressel das Ziel beider Anträge. Er verweist darauf, dass die Strafandrohungen sowohl in der Bundesrepublik als auch in der DDR lange Zeit fortbestanden hätten. Die deutsche Sozialdemokratie habe die Verfolgung von Menschen, die aufgrund einvernehmlicher gleichgeschlechtlicher Handlungen unterdrückt wurden, stets bekämpft.
Das Ziel beider Anträge hält der SPD-Parlamentarier dennoch für "nicht realisierbar": Wie Gehb warnt auch Dressel, die Aufhebung von Strafrechtsurteilen würde "massiven verfassungsrechtlichen Einwänden" begegnen. Auch das Bundesverfassungsgericht habe darauf hingewiesen, dass Gesetze, die rückwirkend in die Rechtskraft von Gerichtsentscheidungen eingriffen, den Grundsatz der Gewaltenteilung berührten.
Jörg van Essen (FDP) nennt es aus demselben Grund "rechtssystematisch höchst bedenklich", die Forderung nach der Aufhebung von Gerichtsurteilen aus der Zeit nach 1945 zu stellen. Es sei schon ein "elementarer Unterschied", ob man über die Aufhebung von Urteilen diskutiere, die während eines Unrechtregimes ergangen seien, oder über Urteile, die von unabhängigen Gerichten in einem demokratischen Rechtsstaat ergangen seien. Dabei stimmt van Essen der Auffassung zu, dass in Deutschland auch nach 1945 die strafrechtliche Verfolgung von Homosexuellen ein "Klima der Angst und der Einschüchterung" erzeugt habe. Seine Fraktion habe nie einen Zweifel daran gelassen, dass die Urteile von deutschen Gerichten in den 1950er Jahren aus heutiger Sicht "auf völliges Unverständnis" stoßen müssten. Es sei daher "richtig und notwendig" gewesen, dass der Bundestag einmütig der Auffassung gewesen sei, dass die in der Bundesrepublik und in der DDR fortbestehende Strafandrohung für homosexuelle Männer die Betroffenen in ihrer Menschenwürde verletzt habe.
Für Barbara Höll von der Linksfraktion geht es dagegen darum, endlich den "politischen Mut" zu dem Eingeständnis aufzubringen, dass der nach dem Kriege in der Bundesrepublik und in der DDR fortwirkende Paragraph 175 gegen Homosexuelle zu Unrechten geführt habe. Die Konsequenz heiße Rehabilitierung der Verfolgten und Verurteilten sowie eine Entschädigung. Nach Hölls Angaben wurden zwischen 1945 und 1969 in der Bundesrepublik 50.000 Menschen nach dem Paragraphen 175 verurteilt und aus demselben Grund 3.000 Menschen in der DDR. "Lassen Sie uns jetzt auf die Homosexuellen zuzugehen, deren Biografien zerstört wurden, die wegen ihrer Liebe im Gefängnis gesessen haben, und auf die vielen Lesben, die gezwungen waren, sich zu maskieren", lautet Hölls Appell.
Für den Grünen-Parlamentarier Wolfgang Wieland geht es nicht darum, die Gewaltenteilung zu durchbrechen und den Strafgerichten Fehlurteile vorzuwerfen. Der Gesetzgeber stehe aber in der Verantwortung für eine jahrzehntelange menschenrechtswidrige Gesetzgebung.
Unterstützung findet die Forderung der beiden Fraktionen beim "Verband der Lesben und Schwulen in Deutschland". Seine Sprecherin Renate Heike Rampf sagte dieser Zeitung, der Verband begrüße die Initiativen zur Aufhebung der Urteile. Auch fordere die Organisation eine Entschädigung der Opfer sowie ein klares Bekenntnis zu den Grundrechten von Lesben und Schwulen. Der Rechtsstaat sollte seine begangenen Fehler eingestehen und den Schutz der Rechte von Lesben und Schwulen im Grundgesetz verankern.