BOLOGNA
Zehn Jahre nach Beginn der Hochschulreform fällt die Bilanz im Bundestag gemischt aus
Die Vision ist großartig: Ein Wechsel von einer Universität an die andere - völlig unkompliziert. Der Übergang von Hochschule in Beruf - kein Problem. Die Anerkennung der im Ausland erworbenen Noten und Abschlüsse - eine Selbstverständlichkeit. Was im Juni 1999 von 30 europäischen Staaten mit der Bologna-Erklärung verabschiedet wurde, war nicht weniger als die Schaffung eines europäischen Hochschulraums, mit dem Ziel, die unterschiedlichen Bildungssysteme so weit anzugleichen, dass ein Austausch unkomplizierter wird.
Für Deutschland bedeutete das bisher, dass drei Viertel aller Studiengänge eine neue Studienordnung bekamen, mit einem größeren Anteil an Prüfungen, stärker aufeinander aufbauenden Seminaren und einer von acht auf sechs Semester verkürzten geplanten Studienzeit. Am Ende des Studiums stehen nicht mehr die altbekannten Abschlüsse Magister und Diplom, sondern Bachelor und Master. Knapp 31 Prozent der Studenten waren im Wintersemester 2007/2008 in den neuen Studiengängen eingeschrieben, wie aus dem dritten Bericht der Bundesregierung zur Umsetzung des Bologna-Prozesses in Deutschland (16/12552) hervorgeht, der am 6. Mai Thema im Bundestag war.
Rund zehn Jahre nach dem Beginn des sogenannten Bologna-Prozesses fällt die Bilanz der Hochschulpolitiker im Bundestag gemischt aus. Nach einem Treffen der inzwischen 46 europäischen Staaten, die sich an der Bildungsreform beteiligen, Ende April im belgischen Leuven, weisen nicht nur Oppositionspolitiker auf die immer noch schwierige Umsetzung der Ziele hin. Die CDU-Abgeordnete Anette Hübinger nannte "den internationalen Austausch hemmende Mobilitätshindernisse, zu gedrängte Curricula in den Studiengängen und mangelnde Anerkennung von - insbesondere im Ausland erworbenen - Studienleistungen" als dringend zu lösende Probleme. Sie seien aber in erster Linie der schlechten Umsetzung und nicht der Idee des Bologna-Prozesses geschuldet. Der bildungspolitische Sprecher der SPD-Fraktion, Ernst Dieter Rossmann, fordert, sich bei der Reform mehr auf die Qualität der Studiengänge zu konzentrieren. Die weitgehende Beschränkung auf einen Bachelor mit sechs Semestern sei zu eng. Er plädierte für die Möglichkeit auf "längere, differenziertere Studienzeiten, um im Studium mehr Tiefe und Breite zu gewinnen". Wichtig sei auch, dass die Anerkennung im Ausland erworbener Qualifikationen verbessert werde. "Politik, Wirtschaft und in weiten Teilen die Hochschulen sind selbst einer ganzen Reihe von Pflichten nicht oder nur schleppend nachgekommen", monierte Uwe Barth (FDP). Er fordert mehr Geld für die Hochschulen und Studenten. Die Ankündigung von Finanzminister Peer Steinbrück (SPD), die Finanzierung von Programmen wie dem Hochschulpakt II unter Haushaltsvorbehalt zu stellen, nannte er einen "Skandal".
Die bildungspolitische Sprecherin der Linksfraktion, Cornelia Hirsch, kritisierte den gestiegenen Prüfungsdruck und die immer noch niedrige Zahl von Studenten aus finanzschwachen und bildungsfernen Familien. Die Möglichkeiten, von einer Universität an die andere zu wechseln, seien in den vergangenen zehn Jahren nicht größer geworden. "Den Studierenden wurde versprochen, dass sie zukünftig zwischen Berlin und Madrid wechseln können. Nun stellen sie fest, dass nicht mal mehr ein Hochschulwechsel von Berlin nach Frankfurt funktioniert", sagte Hirsch. Wie Rossmann spricht sie sich für ein gebührenfreies Studium aus. Für eine Revision der Studieninhalte, innovative Lehrkonzepte und Zeit für einen Auslandsaufenthalt auch im Bachelor-Studium plädiert Kai Gehring (Bündnis 90/Die Grünen). Er kritisierte die unzureichende Finanzierung der Reform. Das Vorgehen der Großen Koalition zeige, "Merkels Bildungsgipfel war ein Jammertal".
Trotz aller Kritik will jedoch keiner der Politiker den Bologna-Prozess vollständig umkehren. CDU-Frau Hübinger und ihr SPD-Koalitionskollege Rossmann wiesen auf die starke internationale Beachtung des Bologna-Prozesses hin. In drei US-Bundesstaaten sei das europäische Vorgehen im Pilotverfahren übernommen worden, sagte Hübinger. Rossmann hält es für möglich, dass "dieses Modell zum Benchmark in der globalen Hochschulwelt werden könnte". "Es herrschte auch im Jahr 1999 keineswegs eitel Sonnenschein an den deutschen Hochschulen", sagte Barth mit Blick auf die harrsche Kritik einiger Hochschulverbände an der Reform. Selbst Die Linke stimmt dem grundsätzlichen Ziel des Bologna-Prozesses zu: "Die Idee eines europäischen Hochschulraums ist nicht zu kritisieren", sagte Hirsch über die positiven Aspekte der Reform.
Das Bundestagsplenum überwies den Bericht der Bundesregierung zum Bologna-Prozess sowie je einen Antrag der FDP und der Grünen ( 16/11910, 16/12736) zur Beratung an den Bildungsausschuss. Zwei Anträge der Linksfraktion ( 16/2976, 165246) und ein Antrag der Grünen ( 16/5256) wurden abgelehnt.