HRE-AUSSCHUSS
Bei der Risiko-Bewertung der irischen Banktochter Depfa widersprechen sich die Zeugen
Der Sachbearbeiter und der Banker-Promi. Nacheinander als Zeugen aufgerufen, kreuzten sie am 2. Juli vor dem Untersuchungsausschuss die Klingen: Stéphane Wolter war früher beim Risikocontrolling der Hypo Real Estate (HRE) tätig, Ex-Bundesbankpräsident Hans Tietmeyer saß von Mai bis November 2008 im HRE-Aufsichtsrat und gehörte bis zum Kauf der Depfa durch das Münchner Institut im Oktober 2007 dem Verwaltungsrat dieser Bank an. Insider Wolter bestätigte seine Interview-Äußerungen, wonach mit dem Erwerb der durch kurzfristige Refinanzierungen stark belasteten Depfa "das Umfallen der HRE programmiert" gewesen sei. Ex-Verwaltungsrat Tietmeyer hingegen betonte, im Herbst 2007 sei die Depfa nicht gefährdet gewesen.
Der Rolle dieses Instituts, das durch seine Schieflage im September 2008 nach der Pleite von Lehman Brothers und dem Zusammenbruch der Finanzmärkte den Beinahekollaps der HRE entscheidend verursacht hat, kommt eine zentrale Bedeutung beim Untersuchungsauftrag zu: Hätte ein frühzeitiges Eingreifen von Regierung und Bankenaufsicht die Krise der HRE, die mit fast 90 Milliarden Euro öffentlichen Garantien gestützt wird, verhindern oder abmildern können?
Wolter führte aus, schon beim Kauf der Depfa sei er der Überzeugung gewesen, man könne nur hoffen, dass die Finanzmärkte nicht eines Tages austrocknen. Tietmeyer indes verwies auf die guten Rating-Beurteilungen der Depfa im Herbst 2007. Bei dem Institut habe es keine Probleme gegeben, auch wenn die Gewinnmargen kleiner geworden seien: Derart verneinte der Zeuge die Frage von Unions-Obmann Lutz Dautzenberg, ob die Depfa für den Erwerb durch die HRE als Braut besser geschmückt worden sei. Allerdings räumte Tietmeyer ein, dass die irische Bank wegen der Abhängigkeit von der kurzfristigen Refinanzierung ihrer langfristigen Staatsengagements "verwundbar" gewesen sei. Deshalb habe die Depfa mit einem Verkauf in einem größeren Verbund Risiken besser absichern wollen. Auch Karl Schnitzler, HRE-Prüfer bei der Bundesbank, widersprach Wolter: Es hätten keine Hinweise dafür existiert, dass die Depfa das Münchner Institut in den Abgrund reißen würde.
Aus Sicht der Opposition kann der Sachbearbeiter als ergiebiger Zeuge gelten. Wasser auf die Mühlen von FDP, Linkspartei und Grünen leitete Wolter vor allem mit seiner Aussage, angesichts der wachsenden Risiken bei der HRE hätte sich der Staat schon im Juli 2008 "Notfallszenarien" überlegen müssen. Bereits vor dem Lehman-Fiasko seien die Refinanzierungsprobleme der Depfa immer größer geworden, im August seien "ernsthafte Warnhinweise" aus Dublin übermittelt worden, "dass es eng wird". Für Wolter war die Lehmann-Pleite nicht die Ursache des Debakels der HRE, sondern "nur der Funke, der zur Explosion führte". Die durchgespielten Risikoszenarien, die nur sehr knapp bemessene Liquiditätsreserven offenbart hätten, seien im September "ziemlich genau" eingetreten.
SPD-Obfrau Nina Hauer konterte mit dem Hinweis, dass sich nach Rating-Beurteilungen und laut Bankenaufsicht die Liquiditätslage bei der HRE bis zum Sommer 2008 positiv entwickelt habe. Auch sei Investor Flowers nach Durchleuchtung der HRE-Finanzsituation mit mehr als einer Milliarde Euro noch im April 2008 bei dem Institut eingestiegen. Dazu meinte Wolter, es komme darauf an, welche Unterlagen externe Prüfer zur Verfügung hätten. Der Zeuge warf damit indirekt die heikle Frage auf, ob die HRE-Spitze gegenüber BaFin und Bundesbank alles offengelegt hat. Sollte das nicht der Fall gewesen sein, wäre die Bankaufsicht möglicherweise getäuscht worden. Kritik an der Informationspolitik des HRE-Vorstands übte auch Tietmeyer: Der Aufsichtsrat habe erst am 22. September 2008 von dem Debakel erfahren, zuvor sei man über Probleme nicht unterrichtet worden.
Mediales Getöse Wolter und Tietmeyer liefern Munition für alle Seiten. Dies gilt auch für die Vernehmungen Schnitzlers und eines weiteren Bundesbankprüfers, Klaus-Dieter Jakob. Nach deren Angaben existierten schon vor September "beträchtliche latente Liquiditätsrisiken" (Schnitzler) sowie Probleme beim Risikomanagement, auch sei die Depfa-Refinanzierung riskant gewesen. Doch hätten Eigenkapitalausstattung und Liquiditätslage den Vorschriften entsprochen, so Jakob. Laut Schnitzler hätte sich am Desaster der HRE nach der Lehman-Pleite auch dann nichts geändert, wenn zuvor alle ermittelten Mängel abgestellt worden wären. Nach Jakob ergab sich aus den Prüfberichten der Bankaufsicht keine Aufforderung an die Regierung, vor September bei der HRE einzugreifen. Die HRE-Krise sei erst durch das unvorhersehbare Lehman-Fiasko ausgelöst worden, so die Bundesbanker wie auch Tietmeyer.
Zusehens lauter wird das mediale Begleitgetöse zum Ausschuss. Die Opposition schießt sich auf Finanz-Staatssekretär Jörg Asmussen ein, dem Versagen in der HRE-Krise und besonders beim Schnüren des ersten Rettungspakets vorgeworfen wird. Mit Nachdruck fordert die FDP den Rücktritt des SPD-Politikers. Auch Dautzenberg lässt gegenüber Medien Distanz zu Asmussen erkennen. Hingegen gibt Unionsfraktionsvize Michael Meister dem Staatssekretär Rückhalt, der ebenso von Parteikollegin Hauer verteidigt wird. Im August werden diese Scharmützel auch die Ausschuss-Sitzungen prägen: Dann treten Asmussen und Minister Peer Steinbrück auf.