Muslime in Europa
Ist er ein doppelzüngiger Prediger oder ein Reformer? An Tariq Ramadan scheiden sich die Geister
Eine wahre Laudatio auf Tariq Ramadan hat die in Wien lebende Autorin Nina zu Fürstenberg verfasst. Für sie ist Tariq - sie nennt ihn nur bei seinem Vornamen - der Mann, dem die Aufgabe zukommt, den Islam zu reformieren und die westliche Welt zu verändern. Wer jedoch darauf gehofft hat, in ihrem Buch eine ernsthafte Auseinandersetzung mit dem Gedankengut Ramadans zu finden, wird enttäuscht. Stattdessen begegnen dem Leser mangelnde Distanz und schier grenzenlose Bewunderung für den Philosophen. Anders gesagt: Die teenagerhafte Schwärmerei der Autorin für die "Leitfigur" Tariq nervt: Er ist nicht nur klug, sondern distinguiert und elegant, selbstsicher und höflich, zielsicher, aber nicht arrogant - ein brillanter Redner ist er selbstverständlich auch...
Tariq Ramadan wurde 1962 in der Schweiz geboren. Nach einem Philosophie-Studium sieht er sich ausreichend qualifiziert, um der Gemeinschaft der Gläubigen, der Umma, neue Wege aufzuzeigen. Zu Ramadans medialem Aufstieg leisteten seine Veröffentlichungen jedoch kaum einen Beitrag: Für den Nimbus des Autors ist vor allem seine Herkunft verantwortlich. Ramadan ist ein Enkel des Ägypters Hassan al Banna, des legendären Gründers der berühmt-berüchtigten Muslimbruderschaft. Der Ideologie dieser extremistischen Gemeinschaft folgten zahlreiche islamische Organisationen, darunter auch terroristische Gruppierungen. Aus dem palästinensischen Zweig der Bruderschaft entstand beispielsweise in Gaza die Hamas.
Recht einfallslos hat Nina zu Fürstenberg den Titel des bekannten Theaterstücks von Edward Albee "Wer hat Angst vor Virginia Woolf?" für ihr Buch benutzt. Erfolglos versucht sie, "die Komplexität seiner [Ramadans, die Redaktion] Untersuchungen aufzuzeigen", ihre Erklärungen seiner "Reformen" bleiben unverständlich, nicht zuletzt, weil Ramadan selbst nicht so genau weiß, was er eigentlich will. Oder wie der Islamwissenschaftler Ralph Ghadban feststellt: Tariq Ramadan sei nicht doppelzüngig, sondern "doppeldeutig", weil er "alle gewinnen will".
Da zu Fürstenbergs Ausführungen die inhaltliche Ebene fehlt, orientiert sie sich -was zu begrüßen ist - bei der Darstellung der religiösen Streitfragen lieber an den Äußerungen bekannter Islamwissenschaftler wie Bassam Tibi, der Ramadans religiösen Reformismus als eine Bedrohung des liberalen Islam und "als neoorthodoxen Islam ohne Europäisierung" bewertet.
Ramadan hat zahlreiche Artikel über den Islam in Europa und die Stellung der Gläubigen - darunter versteht er nur die Muslime - im dekadenten Westen verfasst. In seinen Schriften und Vorträgen versucht er, seine Glaubensbrüder gegenüber der säkularisierten Gesellschaft stark zu machen. Lange galt Ramadan nicht als Wissenschaftler, sondern als militanter Intellektueller, ein "Genfer Prediger", wie der französische Islamkenner Gilles Kepel formulierte, bevor die Eliteuniversität Oxford ihm einen Lehrauftrag erteilte und die BBC ihn international als Kommentator aufbaute. Dessen ungeachtet scheiden sich an Ramadan die Geister. Zum Beispiel wegen seiner Behauptung, Großbritannien sei ein "Apartheid-Staat", in dem "Recht unterschiedlich gesprochen" werde. Andere kritisieren seine Versuche, die islamische Aufklärung zu manipulieren. Vor allem Kepel kritisiert Ramadan scharf, weil er die europäischen Muslime politisiere, sie zu Allianzen mit der "antiimperialistischen" Linken dränge und den Islam als Befreiungsideologie stilisiere. Seine Anhänger begrüßen hingegen seinen Einsatz für die "Integration" der Muslime in Europa.
Mal plädiert Ramadan für ein Moratorium, also lediglich eine Aussetzung der Todesstrafe für abtrünnige Ehefrauen, bis in der islamischen Welt Rechtseinigkeit in dieser Frage herrsche. Ein andermal kritisiert er die französischen "jüdischen Intellektuellen", weil sie die "zionistische Politik" unterstützten. Daraufhin bezeichneten ihn führende Vertreter der Sozialistischen Partei als "moslemischen Le Pen" und forderten das Netzwerk Attac auf, ihn auszuschließen. Wie viele islamische Linke und Fundamentalisten gehört auch Ramadan zu den Globalisierungsgegnern. Wegen einer Geld-Spende an Hamas annullierte das US-Heimatschutzministerium 2004 Ramadans Einreisevisum in die USA. Das hielt Premierminister Tony Blair nicht davon ab, den Wissenschaftler zur Teilnahme an einer Arbeitsgruppe nach Großbritannien einzuladen. Dem internationalen Prestige und der medialen Marke "Tariq Ramadan" war dies äußerst förderlich. Dass diese Arbeitsgruppe scheiterte, wissen nur wenige.
In seinem neuen Buch "Radikale Reform" will Ramadan die Botschaft des Islam für die moderne Gesellschaft verkünden und dem zeitgenössischen muslimischen Bewusstsein ein besseres Rüstzeug zur Verfügung stellen. Der Autor selbst bezeichnet die Studie als Quintessenz aus über 20 Jahren intensiver Lektüre. In den ersten drei theoretischen Teilen entwirft er eine "neue Geografie der Rechtsquellen", die dazu führen soll, sowohl das Universum als auch das menschliche Umfeld "bei der Formulierung der ethischen Zielsetzungen der islamischen Botschaft zu berücksichtigen". Diese Botschaft will der Autor neu einordnen.
Nachdem Ramadan in der ersten Hälfte des Buches die islamischen Quellen eingehend erläutert und theoretische Ansätze formuliert hat, präsentiert er Fallstudien. Dem Leser empfiehlt er, mit diesen in die Lektüre einzusteigen, da er seine "Radikale Reform" anhand der Beispiele verdeutliche. Dabei legt er Wert auf die Feststellung, er wolle keineswegs "die Moderne islamisieren", wie ihm fälschlicherweise unterstellt werde.
Nicht zu überzeugen vermag Ramadans Kritik am "exklusiven Monopol" des Westens bei der Benennung allgemeingültiger Werte. In seinen wortreichen Sätzen gelingt ihm keine Erklärung dafür, warum diese Werte einmal allgemeingültig sind, ein andermal nicht und vor allem, warum sie von den Muslimen angeblich nicht übernommen werden können.
Der Autor schlägt einen großen Bogen um darzulegen, dass es normal sei, bestimmten Werten und religiösen Traditionen auch in der heutigen Zeit "treu zu bleiben". Nach langen und umständlichen Ausführungen kommt er endlich zum Punkt: Die Muslime müssen ihre eigene Moderne entwerfen. Dafür offenbart er in seinen "praxisbezogenen" Fallstudien, wie die islamischen Gelehrten "eine Reihe von gründlichen Fachüberlegungen" anstellen können, die der "jeweiligen Zeit und dem Umfeld angemessen sind". Anhand konkreter Beispiele empfiehlt er ihnen, "Text und Kontext" des Korans dialektisch zu betrachten, um "die notwendige Wiederaneignung für die Gegenwart zu ermöglichen, ohne dabei jemals die unveränderlichen Grundlagen der religiösen Botschaft und ihrer Ethik preiszugeben". Mit anderen Worten: Ramadan verlangt von den islamischen Geistlichen nicht weniger als die Quadratur des Kreises.
Es gebe "keine Universalität ohne Diversität, keine Treue ohne Bewegung", meint der Autor. Neben den Fallstudien zur Anpassung der islamischen Ethik und Medizin, Kultur und Kunst, Ökologie und Ökonomie, Gesellschaft und Bildung an die allgemeingültigen Werte der Gegenwart beschäftigt er sich auch mit dem Thema Frau. Abgesehen von seinen Richtlinien an die Gelehrten rät er den Frauen, selbst mit dem Studium des Korans zu beginnen.
Bei näherer Betrachtung versteht Ramadan unter "Reform" schlicht die Anpassung der islamischen Gemeinden an die Gegenwart, ohne dabei die Lehre des Korans aufzugeben. Mit "Radikale Reform" unternimmt er den Versuch, insbesondere jenen im Westen lebenden Muslimen, die ihren Glauben nicht mehr praktizieren, eine Brücke zum Koran zu bauen. Doch dass der Koran in seinem historischen Kontext betrachtet werden muss, ist nicht neu. Worin besteht aber dann das "radikale" Element dieser "Reform"?
Wer hat Angst vor Tariq Ramadan?
Herder Verlag, Freiburg 2008; 191 S., 16,95 ¤
Radikale Reform. Die Botschaft des Islam für die moderne Gesellschaft.
Diederichs Verlag, München 2009; 427 S., 24,95 ¤