Breitband
Fünf Millionen Bundesbürger haben keinen schnellen Internetzugang. Für ländliche Regionen ein Standortnachteil
Wie eine moderne Gesellschaft das Recht auf freien Online-Zugang in den Alltag umsetzt, ist in Estland zu bewundern: In der Hauptstadt Tallin gibt es flächendeckend freies Internet. Cafés, Museen, Tankstellen, Parks und seit kurzem sogar Bus und Bahn bieten kostenloses WLan. Überall in den Straßen weisen Schilder auf den staatlich gesponserten Datenfunk hin. Und weil ohnehin fast alle Esten online sind, erledigen sie auch gleich sämtliche Behördengänge am Rechner. "Die Steuererklärung dauert in unserem nagelneuen Regierungsportal nur zehn Minuten, ein Gewerbe anzumelden 15 Minuten", sagt Katrin Pärgmäe vom staatlichen "Estonian Informatics Center". Vor zwei Jahren wurde erstmals online gewählt. Eltern kontrollieren die Hausaufgaben ihrer Kinder auf der Schulwebsite. Parkgebühren werden per SMS bezahlt. Damit alle an diesem hochmodernen Leben teilhaben können, hat Pärgmäes Behörde seit 2006 auch Internet in die Dörfer gebracht - dank Wimax-Funkmasten sind heute 98 Prozent der Esten online - eine enorme Leistung in einem Land, das mit 29 Einwohnern pro Quadratkilometer extrem dünn besiedelt ist.
Auch in Deutschland soll die breitbandige Internetanbindung ländlicher Regionen nun endlich forciert werden. Bis Ende 2010 will die Bundesregierung schnelles Internet-Surfen im ganzen Land ermöglichen. Bis 2014 sollen gar drei Viertel aller Haushalte an das neue superschnelle VDSL-Netz angeschlossen werden. "Eine enorme Kraftanstrengung", sagt der SPD-Bundestagsabgeordnete Martin Dörmann. Er ist skeptisch, dass der Prozess in diesem Zeitraum tatsächlich schon abgeschlossen sein wird, findet es aber "gut, dass man sich ehrgeizige Ziele setzt".
Schätzungen zufolge sind etwa fünf Millionen Bundesbürger vom schnellen Datenfluss abgeschnitten. Während die Ballungsgebiete fast hundertprozentig versorgt sind, hat ein Zehntel der Landbevölkerung überhaupt keinen Zugriff darauf. Besonders betroffen: Sachsen-Anhalt, Mecklenburg-Vorpommern und Rheinland-Pfalz. Laut einem aktuellem EU-Bericht liegt Deutschland, wo 27,5 Prozent der Bevölkerung einen Breitband-Anschluss für schnelles Internet abonniert haben, im EU-Vergleich nur auf Platz 9. "Deutschland spielt hier nicht die Rolle einer Lokomotive", sagte die zuständige Kommissarin Viviane Reding vor einiger Zeit.
"Bei der Breitbandverkabelung sind wir noch nicht so weit, wie wir es eigentlich erwartet haben", räumte auch Bundeslandwirtschaftsministerin Ilse Aigner (CSU) Anfang Mai im Bundestag ein. Der Breitbandausbau sei eine schwierige "Daueraufgabe" und nur mit einem Mix unterschiedlicher Techniken zu bewältigen.
Der flächendeckende Aufbau eines Festnetzes auf dem flachen Land ist unwirtschaftlich. Daher sollen nun Rundfunkfrequenzen, die durch den Umstieg von der analogen auf die digitale Technik frei wurden, für Breitband-Mobilfunkanwendungen genutzt werden - die sogenannte digitale Dividende. Allerdings sind beim Internet per Funk einige technische Probleme zu lösen: Set-Top-Boxen und Fernsehgeräte könnten in ihrer Funktion gestört werden, fürchtet der Verband Deutscher Kabelnetzbetreiber. Auch müssten rund 630.000 drahtlose Mikrofone umgerüstet werden, die bei Konzerten oder Sportveranstaltungen eingesetzt werden und denselben Frequenzbereich nutzen. Geschätzte Kosten: bis zu drei Milliarden Euro.
"Die digitale Dividende ist zur schnellen Schließung der Versorgungslücken nicht geeignet - wohl aber mittelfristig", sagt die FDP-Abgeordnete Gudrun Kopp. Ihr Kollege Hans-Heinrich Jordan (CDU) stimmt dem zu und fordert: "Im nächsten Schritt brauchen wir den zukunftsfesten Breitbandausbau mit Glasfasertechnologien." Sabine Zimmermann (Die Linke) geht noch weiter: "Es wird Zeit, dass Breitband-Anschlüsse so wie normale Telefonanschlüsse als gesetzlich zu garantierende Grundversorgung festgeschrieben werden."
Dabei scheint der Bedarf im ländlichen Raum durchaus unklar zu sein. Die "Breitbandinitiative Bayern" der dortigen Staatsregierung beispielsweise geht nur schleppend voran. Dabei stehen 19 Millionen Euro zur Verfügung, um DSL vor allem in kleine Gemeinden zu bringen. Doch in vielen Fällen hatten Telekommunikationsunternehmen dafür Kostenvoranschläge von mehr als 100.000 Euro eingereicht. Bei maximal 50.000 Euro Staatshilfe ist das für die meisten Dörfer zu teuer.
Nicht besser sieht es in Thüringen aus: Die Mitwirkung der Kommunen lasse "zu wünschen übrig", klagte Landeswirtschaftsminister Jürgen Reinholz (CDU) im Februar. Das Ministerium habe alle Gemeinden angeschrieben, um einen Breitband-Bedarfsatlas zu erstellen. Doch nur zwei Prozent der Antworten hätten verwertbare Aussagen zum konkreten Bedarf enthalten. "Viel hängt vom Engagement der Kommunen ab", sagt Dörmann. Diese müssten schauen: "Kann ich bestehende Infrastruktur zum Ausbau nutzen, etwa vorhandene Gasleitungen? Brauchen wir wirklich gleich die höchste Bandbreite oder reicht es nicht zunächst, wenn die Menschen bequem surfen können?"
Die Notwendigkeit, ländliche Regionen an das schnelle Datennetz anzubinden, ist unter Fachleuten unumstritten. Wenn nicht länger Rohstoffe oder große Mengen an Arbeitskräften die wichtigsten Standortfaktoren sind, sondern viele Unternehmen nur noch elektronische Transaktionen benötigen, können alle Regionen potenziell auf der Weltbühne mitspielen.
"Die Arbeiter von morgen werden von überall aus arbeiten können und viele von uns werden das auch tun", so die amerikanische Future Foundation. Arbeit werde immer weniger eine Frage des Ortes, sondern immer mehr eine Frage, wie wir unsere Zeit nutzen. Gute Nachrichten für breitbandig angebundene Dörfer: "Solche Telearbeitsplätze sind eine Chance für ländliche Gemeinden, die kaum industrielle Fertigung haben", sagt Dörmann. Grietje Staffelt von den Grünen stimmt zu: "Prinzipiell liegt der Fokus darauf, die bisher unterversorgten Gebiete an die technische Entwicklung anzuschließen und die digitale Spaltung nachhaltig und zukunftssicher aufzuheben. Wenn sich - als Nebeneffekt - mehr Menschen vorstellen könnten aufs Land zu ziehen, ist das doch positiv." Vorausgesetzt, sie pendelten nicht zweimal pro Woche in die Stadt, dann seien die Vorteile umweltfreundlicher Technologie wieder aufgebraucht.
Derweil erfinden sich überall auf der Welt Dörfer mithilfe von schnellem Internet neu - als Lebensmittelpunkt nomadischer Überallarbeiter, die abseits der Großstädte Naturfrieden mit Leistungseffizienz verbinden wollen. Coletta di Castelbianco, ein mittelalterliches Städtchen an der italienischen Riviera, gilt als Vorzeigebeispiel der komplett breitbandig angebundenen Idylle, in der stadtflüchtige Wissensarbeiter das Landleben mit hochqualifizierten Jobs verbinden. Zevillage in der Normandie hat sich sogar auf dem Ortsschild in "zevillage.net" umbenannt und rühmt sich, Frankreichs erstes Online-Dorf zu sein. Zwischen Kühen und Treckern leben hier Telearbeiter, die dem hektischen Paris entkommen sind.
Ländliche Regionen können mitmachen beim Kampf um gut ausgebildete Wissensarbeiter. Vorausgesetzt, sie sind online. Sonst passiert, wovon Jordan erzählt: "Aktuell gibt es in meinem Wahlkreis den Fall, dass ein Architekturbüro umziehen muss, da die verfügbare Internet-Bandbreite auf dem Land nicht mehr ausreicht. Solche Unternehmen würden sicherlich im ländlichen Raum bleiben, wenn die Voraussetzungen stimmen."
Der Autor ist freier Journalist in Berlin. In seinem Buch "Morgen komm ich später rein" beschreibt er flexible Arbeitsformen.