Michael Adam
Deutschlands jüngster Bürgermeister
Beim Amtsantritt haben Sie gesagt: "Ich bin alles, was man im Bayerischen Wald nicht sein darf: jung, evangelisch und offen schwul." Wie sind Sie Bürgermeister in Bodenmais geworden?
Das kam auch für mich etwas überraschend, ich war ja mitten im Studium und erst 23. In unserem SPD-Ortsverein wollten wir für die Kommunalwahl 2008 einen Kandidaten aufstellen, obwohl niemand an einen Sieg gegen die CSU glaubte. Im Protokoll unserer Sitzung stand: "Auch wenn es aussichtslos ist, kandidiert der Ortsvorsitzende selbst." Das war ich. Dann habe ich in der Stichwahl 56 Prozent geholt.
Jetzt sind Sie 24 und haben Ihr erstes Amtsjahr hinter sich. Wie lief es?
Ich habe meine Heimatgemeinde in einer sehr schwierigen Situation übernommen. Bodenmais war enorm verschuldet und hatte keine funktionierende Verwaltung. Am Anfang hatte ich oft das Gefühl, es ist schon fünf nach zwölf. Aber wir haben das wieder hingekriegt, auch wenn wir schmerzlich sparen und Steuern erhöhen mussten.
Und die Bürger haben das akzeptiert?
Es gab schon einiges Murren, aber sie tragen den Sparkurs mit. Die Leute sind froh, dass die desolaten Gemeindefinanzen endlich öffentlich gemacht wurden.
Und was sagt der politische Gegner?
Hier gibt es neben der SPD nur noch die CSU und die Freien Wähler. In der ersten Gemeinderatssitzung dachte ich: "Wenn Blicke töten könnten, fiele ich jetzt gleich tot vom Stuhl." Die CSU hatte ja 54 Jahre lang die absolute Ratsmehrheit in Bodenmais, bis ich kam. Aber ich bin nie auf Konfrontation gegangen, sondern binde alle Parteien ein.
Was haben Sie im Rathaus verändert?
Es gab vorher kein Teamwork, jetzt arbeiten alle zusammen. Ich habe einige zentrale Verwaltungsposten neu besetzt und auch externe Beratung geholt. Ganz wichtig ist mir Transparenz. Ich versuche, sehr viel zu kommunizieren, es gibt Bürgerbriefe und wöchentliche Newsletter. Aber trotzdem ist es oft mühsam, den Bürgern die Themen zu vermitteln. Da spürt man allgemeine Politikverdrossenheit.
Bodenmais mit seinen 3.400 Einwohnern liegt ja fernab der Großstädte, in einer Region mit vielen Problemen...
Der Ort lebt vor allem vom Tourismus. Früher lief alles wie von selbst, aber die Zeiten sind vorbei. Deshalb haben wir als erstes die alte Kurverwaltung durch eine zeitgemäße Tourismus-GmbH ersetzt. So konnten wir die Übernachtungszahlen - gegen den Trend in der Region - im ersten Halbjahr um rund sieben Prozent gegenüber 2008 steigern.
Die jungen Leute ziehen trotzdem weg.
Ja, von meinem Abiturjahrgang ist fast keiner mehr da. Es gibt zu wenig qualifizierte Arbeitsplätze. Die Industrie wurde zu Zeiten des Eisernen Vorhangs sehr gefördert, nach der EU-Osterweiterung fielen mit den Förderungen immer mehr Stellen weg. Bodenmais geht es durch den Tourismus noch richtig gut. Aber in manchen Gemeinden im Bayerischen Wald kann man das Sterben eines Ortes live beobachten. Was kann da eine Kommune aus eigener Kraft noch machen, wenn die letzte Arztpraxis schließt und der letzte Lebensmittelmarkt aufgibt?
Haben die politischen Zentralen in München und Berlin Sie vergessen?
Der Staat setzt hier die falschen Schwerpunkte. Dass in Bayern verstärkt Metropolregionen gefördert werden, nutzt Gegenden wie unserer überhaupt nichts. Nürnberg und München sind über zwei Autostunden entfernt. Der Staat muss den ländlichen Raum stärker fördern. Sonst werden immer mehr Dörfer sterben.
Profitiert Bodenmais vom Konjunkturpaket?
Ja, wir haben uns um Mittel für die energetische Sanierung unserer Schule beworben. Wegen unserer dramatischen Finanzlage bekommen wir mit gut 1,4 Millionen Euro 87,5 Prozent Zuschuss. Das hilft uns sehr.
Und wie sehen Sie Ihre Zukunft?
Ich mache auf jeden Fall meine Amtszeit bis 2014 fertig.
Dann sind Sie 29.
Ja, dann muss ich mich dringend um meinen Abschluss kümmern. Ich dachte, ich könnte nebenbei weiterstudieren, aber das ist unmöglich bei einer 80-Stunden-Woche. Die Uni Regensburg, wo ich Politik und Volkswirtschaft studiert habe, hat mich einfach rausgeworfen, weil ich zwei Semester lang keine Prüfung ablegen konnte.
Kommen da nicht Zweifel?
Was das Studium angeht, ja. Was meinen politischen Weg angeht, war es genau richtig, in der Kommunalpolitik anzufangen. Aber ein Bundestagsmandat kann ich mir für später gut vorstellen. Ich kandidiere schon jetzt auf der SPD-Landesliste für die Wahl im Herbst - wenn auch auf dem vorletzten Platz. Mein Ziel ist es, mich auf einen guten Listenplatz vorzuarbeiten.
Bereuen Sie manchmal, dass Sie Ihre Jugend mit Haushaltszahlen und Besuchen bei Jubilaren verbringen?
Auf keinen Fall. Ich mache Erfahrungen, die andere ihr ganzes Leben lang nicht machen. Bürgermeister zu sein ist eines der Ämter, in denen man am meisten bewegen kann.
Das Interview führte Claudia Haas.