Ist es übertrieben, in Deutschland von einer Landflucht zu sprechen?
Nein. Das kann man sehr wohl. Wir haben eine Entleerung großer Gebiete - besonders in den neuen Ländern, wo die Leute mangels Perspektive die Orte verlassen. Vor allem junge Frauen. Zurück bleiben junge Männer und alte Menschen. Es gehen eben die weg, die mobiler sind und die einen höheren Bildungsgrad haben. Das führt zu unguten Entwicklungen.
Warum ist dieses Phänomen besonders im Osten ausgeprägt?
Landflucht gibt es auch in den alten Bundesländern. Aber im Osten zeigt es sich verstärkt, was auch damit zu tun hat, dass man dort nach der Wende falsche Prioritäten gesetzt hat. Die ländlichen Räume wurden vernachlässigt zugunsten großer Ballungsgebiete und industrieller Entwicklungen. Mittelständische Strukturen wurden nicht ausreichend unterstützt. Da sind 900.000 Menschen aus den landwirtschaftlichen Betrieben entlassen worden. Nicht, dass ich dieser Art der Produktion nachhänge - es hätte aber niemals diesen Bruch geben dürfen, weil diese Menschen nie wieder den Anschluss gefunden haben.
Mit welchem Ergebnis wurde dieses Thema im Ausschuss diskutiert?
Mit einem enttäuschenden Ergebnis. Nehmen Sie das Beispiel Breitbandversorgung: Die 10 Millionen Euro, die dafür zur Verfügung standen, sind gar nicht abgeflossen. Es ist nur die lächerliche Summe von 500.000 Euro dafür ausgegeben worden. Das ist das Problem einer zu stark sektoral bezogenen Politik, föderaler Umsetzungsprobleme, Kompetenz-Wirrwar und mangelhaftem Querschnittshandeln.
Nun gibt es Wissenschaftler, die sagen, es lohne sich ohnehin nicht, jede Region zu fördern.
Es gibt Konzepte, die nennen sich "Schrumpfungsprozesse gestalten", die aber nur da passieren können, wo es wirklich nötig ist. Der Mittelstand in ländlichen Regionen schafft Stabilität und Wertschöpfung und muss deswegen gestärkt werden. Verödete Räume führen weltweit zu Problemen. Das sollte man nicht anstreben.
Welche Entwicklungsmöglichkeiten gibt es denn?
Bei Erneuerbaren Energien ist das Wertschöpfungspotenzial erheblich. Die Anzahl der grünen Jobs kann sich hier von jetzt 1,8 Millionen auf 3 Millionen ausbauen lassen. Die Agrarpolitik muss die Entwicklung der mittelständischen und nachhaltigen Landwirtschaft durch gute Rahmenbedingungen verbessern. Wir müssen national eine Reform der Gemeinschaftsaufgaben angehen und diese mit einer Grundgesetzänderung so weiterentwickeln, das die EU-Programme und -Finanzen für den ländlichen Raum wirksam eingesetzt werden können - bevor der Point of no return erreicht ist.
Die Fragen stellte
Götz Hausding.