Erstens kommt es anders, zweitens als man denkt. In Koalitionsverhandlungen wird gemeinhin der Rahmen für langfristige Projekte abgesteckt. So kann man denn in der Gesundheitspolitik mit Interesse erwarten, auf welche Leitlinie sich Union und FDP beim umstrittenen Gesundheitsfonds verständigen werden: Die Liberalen fordern die Abschaffung dieses aus FDP-Sicht kostentreibenden bürokratischen Monstrums, während CDU und CSU mit Kanzlerin Angela Merkel an der Spitze dieses System beibehalten wollen. Doch nun wird noch vor der Regierungsbildung diese Grundsatzdebatte von der aktuellen Realität überlagert: Die Koalitionäre sehen sich höchst dringlich mit einem Milliardendefizit in der Gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) konfrontiert.
Nach Kalkulationen des Schätzerkreises beim Bundesversicherungsamt fehlen dem Gesundheitsfonds - der alle GKV-Beitragsgelder einzieht und diese durch Bundeszuschüsse ergänzten Mittel an die einzelnen Kassen verteilt - im nächsten Jahr 7,4 Milliarden Euro. Die Lücke ist das Resultat der Rezession und des für 2010 erwarteten Anstiegs der Arbeitslosigkeit, was die GKV-Einnahmen sinken lässt. Auf der anderen Seite schlagen höhere Ausgaben etwa bei Medikamenten oder Arzthonoraren zu Buche.
Wie kann ein langfristiges Konzept für die Krankenversicherung mit der Lösung akuter Finanzierungsprobleme verbunden werden? Aus Sicht der Liberalen belegt das aktuelle Defizit, dass der Gesundheitsfonds eine Fehlkonstruktion ist. Schon im Startjahr sei der Fonds "pleite", kritisiert der FDP-Politiker Daniel Bahr. Wer an dieser Einrichtung festhalte, führe die Kassen in die Insolvenz. Bahr fordert eine "vorbehaltlose" Diskussion über den Fonds. Für CDU und CSU hingegen treibt der Fonds die Ausgaben nicht in die Höhe. Eine Bereitschaft zu Änderungen lässt die Union bislang nicht erkennen. Ursula von der Leyen, als Gesundheitsministerin im Gespräch, sagte wortkarg: "Es gibt ein Finanzierungsproblem."
Vorgeprescht ist hingegen Markus Söder: Die Pharmaindustrie mache "großartige Gewinne" und solle deshalb zur Deckung des GKV-Defizits herangezogen werden. Mit diesem Vorstoß eröffnete der bayerische CSU-Gesundheitsminister die Debatte, wie das Loch gestopft werden kann.
Denkbar ist eine Anhebung des für alle Kassen einheitlichen Beitrags von 14,9 Prozent, von dem die Arbeitnehmer 7,9, die Arbeitgeber sieben Prozent zahlen. Diese Variante gilt jedoch als unwahrscheinlich, da Union und FDP die Unternehmer schonen wollen. GKV-Vertreter verlangen, die Steuerzuschüsse an den Gesundheitsfonds zu erhöhen, für 2010 sind bislang 11,5 Milliarden Euro geplant: Diese Alternative würde den Bundesetat zusätzlich belasten.
Möglich ist auch die Erhebung von Zusatzbeiträgen durch defizitäre Kassen, was aber allein die Versicherten träfe. Zusatzbeiträge wären verzichtbar, wenn die Kassen durch mehr wirtschaftliche Effizienz ihre Kosten senken würden, etwa durch Fusionen oder die Aushandlung von Medikamentenrabatten mit der Pharmabranche. In Einsparungen sieht die amtierende SPD-Ressortchefin Ulla Schmidt einen Ausweg. Außerdem, so Schmidt, verfügten die Kassen über mehrere Milliarden Euro Rücklagen.