Thema
Peter Pragal
GRENZÖFFNUNG
Zwei unbedachte Worte und verfrühte Euphorie lösten
den nächtlichen Ansturm auf die Übergangsstellen aus
Über die Bösebrücke,
die den Berliner Stadtteil Wedding mit dem Prenzlauer Berg
verbindet, rollt dichter Verkehr. Hinter dem östlichen Ende
der Brücke biegt eine Fahrspur nach rechts. Autos fahren hier
nicht mehr. Die Zufahrt mündet in eine Freifläche, etwa
so groß wie ein Fußballfeld. An ihren ...
Sebastian Hille
PROVINZ
Erst am 9. Dezember öffnete die Mauer in
Mödlareuth
Während sich in Berlin
Menschenmassen gen Westen drängten, plätscherte in
Mödlareuth der Tannbach friedlich und munter durchs Tal. "Hier
war es wie immer", erinnert man sich auf der einen Seite. "Keine
besonderen Vorkommnisse", sagt einer von der anderen Seite. Der 9.
November 1989 war in Mödlareuth ...
Karl-Heinz Baum
DIE GRENZE
Mauer und Stacheldraht offenbarten das hässliche Gesicht
der SED-Diktatur
Es war wohl eine von Karin
Gueffroys besten Ideen: Sie versteckte die Todesanzeige für
ihren Sohn aus der "Berliner Zeitung" in einer
Zündholzschachtel und bat eine Rentnerin, die von Ost nach
West reisen durfte: "Geh damit zum Sender Freies Berlin". Am 22.
Februar 1989 zeigte die Abendschau die ...
Peter Pragal/Karl-Heinz Baum
OPFER
Wie viele Menschenleben das DDR-Grenzregime forderte, ist nicht
restlos geklärt
Sie wurden erschossen oder
verbluteten an ihren Verletzungen. Sie wurden von Minen zerfetzt
oder ertranken in der Ostsee oder anderen Gewässern. Sie
verunglückten tödlich beim Versuch, die Sperranlagen zu
überwinden. Oder sie nahmen sich angesichts des Scheiterns
ihres Fluchtversuches das Leben. Die ...
Peter Jochen Winters
SOMMER 1989
Ausreisewelle und Demonstrationen brachten die SED ins
Wanken
Fast 38 Jahre nach der
Gründung beider deutscher Staaten hat die Bundesrepublik im
Herbst 1987 Erich Honecker, den DDR-Staatsratsvorsitzenden, wie ein
ausländisches Staatsoberhaupt mit allen protokollarischen
Ehren empfangen. Die DDR sah darin ihre Anerkennung als
unabhängiger deutscher Staat. Doch ...
Konrad Weiß
OPPOSITION
Ein Bürgerrechtler erinnert sich an "ein Wunder"
Zu DDR-Zeiten arbeitete ich in der
Jägerstraße in Ost-Berlin, die damals
Nuschkestraße hieß. Nach der Arbeit spazierte ich
regelmäßig zum Alexanderplatz, besuchte unterwegs die
Stadtbibliothek oder trank irgendwo einen Kaffee. Immer kam ich
dabei am Palast der Republik vorbei. Wenn allerdings die ...
Hans-Jürgen Fink
DEUTSCHLANDPOLITIK
Aus zwei Staaten wird eine Republik
Die Öffnung der Berliner Mauer
am Abend des 9. November 1989 stürzte Beteiligte und
Betroffene der politischen Klasse in Nah und Fern zunächst in
tiefe Ratlosigkeit. Die Kontrolle über den Gang der Geschichte
war ihnen offenkundig entglitten. Erst in der zweiten
Novemberhälfte nahm die politische ...
Eckart Lohse
OSTREISE
Spurensuche nach Omas Erzählungen über die
Thüringer Heimat
Hopfgarten, das war ein Stück
meiner Kindheit. Einer Kindheit, die eineinhalb Jahre nach dem
Mauerbau in Göttingen begonnen hatte, weiterführte
über Frankfurt am Main, über Dortmund und Bonn.
Hopfgarten war immer dabei, obwohl himmelweit entfernt. Nicht
geografisch. Da war fast jedes Reiseziel in ...
Jochen Thies
AUSSENPOLITIK
Der zeitliche Korridor für den deutschen
Vereinigungsprozess war eng begrenzt
Der frühere Bundeskanzler
Helmut Kohl (CDU) hat einmal gesagt, dass er sich nach dem Fall der
Berliner Mauer nur auf drei Partner im Westen wirklich habe
verlassen können, auf den damaligen US-Präsidenten George
Bush, auf den französischen EG-Kommissionspräsidenten
Jacques Delors und auf den ...
Claudia Heine
Westreise
Auch in der Bretagne stößt eine Magedeburger Familie
auf Interesse am Mauerfall
Um 21.45 Uhr hatte Roy Scheider im
ZDF den Weißen Hai besiegt und damit dessen blutigen Feldzug
vor einem idyllischen Badestrand gestoppt. Bestens vorbereitet auf
die Gefahren der Weltmeere packten meine Eltern und ich also unsere
Sachen zusammen und starteten Richtung Westen, dem
wild-schönen ...
Thomas Urban
POLEN
Schon Anfang Juni 1989 gab es die ersten halbwegs freien Wahlen
im Ostblock
Mehrere tausend DDR-Bürger
nahmen im Spätsommer und Herbst 1989 den Weg nach Osten, um
nach Westen zu gelangen. Täglich meldeten sich im September
und Oktober mehrere Dutzend Menschen an der Pforte der deutschen
Botschaft im Warschauer Stadtteil Saska Kepa auf dem Ostufer der
Weichsel. Sie mussten ...
Joachim Jauer
UNGARN
Mit der Öffnung des Eisernen Vorhangs veränderten die
Budapester Reformkommunisten Europa und die Welt
Am 15. März 1989, dem
ungarischen Nationalfeiertag, der an die revolutionären
Kämpfe von 1848 gegen Habsburg erinnert, feierte Budapest ein
"Fest der politischen Vernunft". Die Freiheitsdemonstration von
mehr als 100.000 Menschen traf auf eine sich erneuernde
kommunistische Partei. Der Satellit ...
Interview
MICHAIL GORBATSCHOW
Der letzte sowjetische Staatschef über Honeckers Fehler
Herr Gorbatschow, wenn Sie sich an
den Fall der Berliner Mauer im Jahr 1989 zurückerinnern:
Welche Episode steht Ihnen da besonders vor Augen? Wenn ich eine
Episode herausgreifen soll, dann ist das der abendliche Umzug am
Vorabend des 7. Oktober. An diesem Tag hat die DDR ihren 40.
Jahrestag ...
Joachim Jauer
TSCHECHOSLOWAKEI
Ein brutaler Polizeieinsatz gegen Demonstranten stand am Beginn
der »samtenen Revolution«
50 Jahre nach der deutschen
Besetzung löste in Prag das Gedenken an die NS-Verbrechen von
1939 die Abrechnung mit dem Kommunismus aus. Nur eine Woche nach
dem Fall der Berliner Mauer begann im Warschauer Pakt der
nächste Dominostein zu kippen. Ausgerechnet die Demonstration
der Prager Universitäten ...
Karl Feldmeyer
WIRTSCHAFT
Der Westen überschätzte das Vermögen im Osten
Am 30. Oktober 1989 legte der
damalige Leiter der Plankommission der DDR, Gerhard Schürer,
dem SED-Politbüro die von Egon Krenz, dem Nachfolger
Honeckers, angeforderte "Analyse der ökonomischen Lage der DDR
mit Schlussfolgerungen" vor. Das Dokument war als "Geheime
Verschlusssache" eingestuft. Was ...
Sandra Ketterer
ABWANDERUNG
Im brandenburgischen Landkreis Prignitz gingen nach der Wende
viele Arbeitsplätze verloren. Und noch immer ziehen viele
Menschen weg
Es ist ruhig in Pritzwalk um die
Mittagszeit. Ein paar Menschen holen sich belegte Brötchen vom
Bäcker. Eine alte Dame schiebt ihr Gehwägelchen über
den sorgfältig gepflasterten Marktplatz. Über der
Eingangstür vom Rathaus glänzt ein pinkes Plakat in der
Sonne. "Jobstart" steht darauf in großen ...
Kata Kottra
STASI-AKTEN
Die Offenlegung der Dokumente des DDR-Ministeriums für
Staatssicherheit war 1989 stark umstritten
Am 15. Januar 1990 versammelten
sich trotz des kalten Winternachmittags zehntausende Demonstranten
vor der Zentrale der DDR- Staatssicherheit in der Ost-Berliner
Normannenstraße. Gegen 17.00 Uhr war die Menge auf 50.000
Menschen angewachsen, eine halbe Stunde später forderten
bereits 100.000 ...
Ulrike Guckes
BUNDESTAG
Mit der Wiedervereinigung kam auf den Gesetzgeber viel Arbeit
zu
Formal besiegelt war der Beitritt
der DDR zur Bundesrepublik mit dem sogenannten Einigungsvertrag
"über die Herstellung der Einheit Deutschlands", dem Bundestag
und Volkskammer am 20. September 1990 zustimmten. Für den
Bundestag, dem nach der Vereinigung beider deutscher Staaten am 3.
Oktober auch ...
Götz Hausding
ABGEORDNETE
Als die Mauer fiel, begann ihre politische Karriere. Fünf
Parlamentarier erinnern sich
Mit der Maueröffnung begann
für viele Ostdeutsche ein neuer Lebensabschnitt.
Reisefreiheit, Meinungsfreiheit - aber auch politisches Engagement
ohne Gängelung, ohne Repressalien wurde möglich. Viele
damalige DDR-Bürger nutzten die neu gewonnene politische
Freiheit und beteiligten sich aktiv am ...
Interview mit Peter Danckert, SPD,
West-Berliner mit brandenburgischem Wahlkreis
Sie sind in West-Berlin geboren und
haben immer dort gelebt. Wie haben Sie den Fall der Mauer erlebt?
Am 9. November 1989 habe ich zusammen mit meinen beiden
älteren Söhnen die Premiere eines Asterix- und
Obelix-Films im Kino gesehen. Auf der Heimfahrt habe ich die
Nachrichten gehört und bin dann ...
Robert Birnbaum
BONN
Die Bundestagssitzung am 9. November 1989
Die Weltgeschichte traf den
Bundestag unvorbereitet. Ein parlamentarischer Donnerstag ging
seinen Gang: Aktuelle Stunde zur "Schätzung der
EG-Getreideernte", dann Debatte zur Vereinsförderung. Wer die
Protokolle nachliest, muss denken, dass in diesen Stunden der
Behelfsplenarsaal im Bonner ...
Michael Jürgs
ESSAY I
Ein west- und ein ostdeutscher Autor spüren der inneren
Einheit nach
Es sei die bis in den Alltag hinein
spürbare Arroganz der Westdeutschen, die eigentlichen Sieger
zu sein, die sie noch heute so verbittere, sagen nicht nur die
Verlierer der Einheit, bei denen eine Verbitterung noch
verständlich wäre. So argumentieren auch die Gewinner.
Sie messen das Erreichte an ...
Fritz-Jochen Kopka
ESSAY II
Ein west- und ein ostdeutscher Autor spüren der inneren
Einheit nach
Die innere Einheit der Deutschen
war nie so groß wie im Jahr ihres unerwarteten
Zusammenschlusses, als der Wahnsinn groß war und sich am
Horizont blühende Landschaften abbildeten. Seitdem sind wir
einen langen Weg gegangen, immer bewusster und immer weiter weg von
der unbewussten inneren Einheit des ...
Heinz-Joachim Schöttes
VOLKSKAMMER I
Das erste frei gewählte Parlament der DDR war geprägt
von leidenschaftlichen Debatten und harter Arbeit
Am 2. Oktober 1990 war es
geschafft. Um 18.45 Uhr wurde die letzte Volkskammer-Sitzung
geschlossen. Die Abgeordneten waren erleichtert. 180 Tage
Parlamentarierdasein mit endlosen Debatten und chaotischen
Sitzungen - auch sonntags oder nachts - hatten Spuren hinterlassen.
Die meisten der am 18. März ...
Hartmut Jennerjahn
VOLKSKAMMER II
Im SED-Staat waren die Abgeordneten nur Erfüllungsgehilfen
der »führenden Partei«
"Gelächter" verzeichnet das
Protokoll der Volkskammertagung vom 13. November 1989 an dieser
Stelle. "Ich liebe doch alle Menschen", hatte der einst so
mächtige Minister für Staatssicherheit, Erich Mielke,
gerade haspelnd auf "Missfallensäußerungen" reagiert,
die er mit seiner Anrede der Abgeordneten ...
Helmut Stoltenberg
19.1.1989 SED-Generalsekretär
Erich Honecker erklärt, die Mauer werde "in 50 und auch in 100
Jahren noch bestehen bleiben, wenn die dazu vorhandenen Gründe
noch nicht beseitigt sind". 6.2.1989 Der 20-jährige Chris
Gueffroy wird bei einem Fluchtversuch von DDR-Grenzern erschossen.
Es sind die ...
Helmut Stoltenberg
8.8.1989 Die Ständige
Vertretung der Bundesrepublik in Ost-Berlin, die von rund 130
DDR-Bürgern besetzt ist, wird geschlossen. Bis zu 100
DDR-Bürgern gelingt täglich die Flucht von Ungarn nach
Österreich. 14.8.1989 Die Botschaft der Bundesrepublik in
Budapest, in der sich mehr als 170 Fluchtwillige ...
Helmut Stoltenberg
3.10.1989 Die DDR-Regierung
lässt auch die rund 11.000 Flüchtlinge, die sich seit dem
30.9. erneut in und um die Bonner Botschaft in Prag versammelt
haben, in den Westen ausreisen. Zugleich schließt die DDR
faktisch ihre Grenzen, indem sie den visafreien Reiseverkehr in die
CSSR "aussetzt". ...
Helmut Stoltenberg
9.11.1989 In Berlin fällt die
Mauer: 09.00 Uhr Offiziere des DDR-Innenministeriums und der
Staatssicherheit erarbeiten gemäß einem
Politbüro-Auftrag eine neue Ausreisereiseregelung. 12.00 Uhr
Der Reiseregelungs-Entwurf wird an den Ministerrat weitergeleitet.
16.00 Uhr Krenz verliest im ...
Helmut Stoltenberg
27.11.1989 Auf der
Montagsdemonstration in Leipzig mit rund 200.000 Teilnehmern wird
auch die Wiedervereinigung gefordert. 28.11.1989 Kohl gibt im
Bundestag sein Zehn-Punkte-Programm bekannt, das über einen
Zeithorizont von fünf bis zehn Jahren die stufenweise
Entwicklung konföderativer Strukturen ...
Helmut Stoltenberg
5.2.1990 Die Vorsitzenden der
DDR-Parteien CDU, DSU und Demokratischer Aufbruch vereinbaren in
Anwesenheit Kohls, in einem gemeinsamen Wahlbündnis "Allianz
für Deutschland" zur Volkskammerwahl anzutreten. Kohls
bundesdeutsche CDU sagt volle Unterstützung zu. 7.2.1990 Das
Bundeskabinett beschließt, ...