JUBILÄUM
Der Petitionsausschuss wird 60 und präsentiert sich mit einer modernen Online-Plattform
Die Kündigung kam am 18. September. Bis Jahresende, so teilte das Wasser- und Schifffahrtsamt Lübeck mit, sollte Petra Jarray ihr Café am Leuchtturm Bülk an der Kieler Förde schließen. "Das war schon ein Schock. Schließlich wurde mir erst vor zwei Jahren der Bauantrag für einen neuen Pavillon genehmigt." Nun die unerwartete, aber dennoch fristgerechte Kündigung des Pachtvertrages, da rund um den Leuchtturm eine neue Radaranlage installiert werden soll. Nichts zu machen. Oder doch? "Nach dem ersten Schock haben wir gesagt: So geht's nicht - wir müssen etwas tun."
Es fing an mit Unterschriftenlisten von Gästen und Anwohnern - mehr als 6.000 kamen zusammen. "Natürlich habe ich auch das Gespräch mit dem Wasser- und Schifffahrtsamt gesucht. Das lief aber nicht so, wie ich mir das vorgestellt hätte - die waren sehr unzugänglich", erzählt die Café-Betreiberin. Von Kunden erfuhr sie dann von der Möglichkeit, sich an den Petitionsausschuss des Bundestages zu wenden. "Mir war bis dahin gar nicht bekannt, was ein Petitionsausschuss macht", gibt sie ehrlich zu.
Das sollte sich ändern. Der Ausschuss schaltete nach Eingang der Petition das Bundesverkehrsministerium ein, das sich wiederum an das Wasser- und Schifffahrtsamt Lübeck wandte. Mit dem Ergebnis, dass Petra Jarray ein Ausweichstandort auf dem selben Grundstück nur 30 Meter vom bisherigen Standort angeboten wurde. Eine Lösung, mit der die Wirtin sehr gut leben kann. "Ich kann nur jedem raten, wenn er derartige Sorgen mit Behörden hat, auf diesem Wege etwas zu tun. Es ist toll, was dort bewegt wurde", lautet ihr Resüme.
Was Petra Jarray unternommen hat, steht jedem Bürger offen. Schließlich steht in Artikel 17 des Grundgesetzes: "Jedermann hat das Recht, sich einzeln oder in Gemeinschaft mit anderen schriftlich mit Bitten oder Beschwerden an die zuständigen Stellen und an die Volksvertretung zu wenden."
Am 14. Oktober dieses Jahres feiert der Petitionsausschuss sein 60-jähriges Jubiläum. 1949 konstituiert, erhielt der Ausschuss 1975 die Stellung eines Bundestagsausschusses und einen eigenen Zusatzartikel im Grundgesetz, in dem es heißt: "Der Bundestag bestellt einen Petitionsausschuss, dem die Behandlung der nach Artikel 17 an den Bundestag gerichteten Bitten und Beschwerden obliegt."
Mit den Jahren bekam der Ausschuss viele Namen. Vom "Kummerkasten der Nation" war die Rede und auch vom "Seismografen für die Stimmung in der Bevölkerung". Die amtierende Ausschussvorsitzende Kersten Steinke (Die Linke) sieht es so: "Die Eingaben an den Petitionsausschuss sind das Spiegelbild der Sorgen und Nöte der Menschen in unserem Land. Im Grunde kann man sagen, dass wir als Ausschussmitglieder am ehesten wissen, was in diesem Land schief läuft, wo es Gesetzeslücken gibt oder wo etwas verändert werden muss."
Zieht man die prozentuale Verteilung der Eingaben in den verschiedenen Ressorts zu Rate, scheint dies im Bereich Arbeit und Soziales der Fall zu sein. Sowohl im Jahr 2007 als auch 2008 gab es hier mit rund 25 und 23 Prozent die meisten Petitionen. Vielfach geht es dabei um Probleme bei Hartz IV- und Rentenberechnung. Zu den in den vergangenen Jahren öffentlich am intensivsten diskutierten Petitionen gehörten jene zum Bombodrom in der Kyritz-Ruppiner Heide und zum Schicksal der Heimkinder. Der seit 1992 andauernde Streit um den Bombenabwurfplatz fand am 9. Juli sein Ende, als Verteidigungsminister Franz Josef Jung (CSU) erklärte, auf eine Nutzung zu verzichten. Wenige Wochen zuvor hatte sich der Petitionsausschuss mehrheitlich gegen eine militärische Nutzung des Areals ausgesprochen - der Bundestag war schließlich diesem Votum gefolgt.
Den ehemaligen Heimkindern, die in den 1950er und 1960er Jahren in Erziehungsheimen missbraucht und zu unentgeltlicher Arbeit gezwungen worden waren, ging es in ihrer Petition um gesellschaftliche Anerkennung und Aufklärung ihrer Schicksale, aber auch um materielle Entschädigung für erlittenes Leid und geleistete Arbeit. Auf Betreiben des Ausschusses wurde zum Zwecke der Aufarbeitung ein Runder Tisch unter Vorsitz der ehemaligen Bundestagsvizepräsidentin Antje Vollmer eingerichtet.
Seit September 2005 können Petitionen auch online eingereicht werden. Ausgewählte Eingaben können zudem öffentlich mitgezeichnet werden. Vorraussetzung für eine öffentliche Petition ist, dass die Bitte oder Beschwerde "ein Anliegen von allgemeinem Interesse zum Gegenstand hat", wie es in den Verfahrensgrundsätzen heißt. Ob die Petenten zu einer öffentlichen Beratung vor den Ausschuss geladen werden, entscheidet der Ausschuss.
Was 2005 als Modellversuch begann, ist seit Oktober 2008 eine ständige Einrichtung. Absoluter Spitzenreiter bei den Online-Petitionen ist die Eingabe der Berlinerin Franziska Heine vom 22. April 2009, die sich gegen die Indizierung und Sperrung von Internetseiten wendet. Das geplante Vorgehen, Internetseiten durch das BKA indizieren und von den Providern sperren zu lassen führe zu einer Gefährdung des Grundrechtes auf Informationsfreiheit, heißt es in der Petition. Bis zum Ende der Mitzeichnungsfrist am 16. Juni hatte sie 134.015 Unterstützer gefunden.