DDR-Regimegegner
Freya Klier legt die Biografie von Michael Gartenschläger vor
Alles begann mit der Magie des Rock 'n' Roll. Der Sound eines Elvis Presley oder Bill Haley im RIAS und SFB, Jeans und "Bravo" erlangten für Michael Gartenschläger und ostdeutsche Jugendliche ebenso Kultstatus wie im Westen. 1944 in der kleinen, traditionsreichen Garnisonsstadt Strausberg geboren, wächst Gartenschläger als Gastwirtssohn in jener Stadt auf, die seit 1956 als Sitz des Ministeriums für Nationale Verteidigung durch Uniformen und Stechschritt geprägt wird. Westberlin mit seinen Kinos, Plattenläden und bunten Reklamen ist der verlockende nahe Gegenpol.
Zum absoluten Idol für den Autoschlosserlehrling und seine Freunde wird Ted Herold mit seinem Hit "Moonlight". Im elterlichen Schuppen gründen sie konspirativ ihren Fan-Club. Sie hören Platten, begeistern sich an Postern und stehen mit westdeutschen Fans im Austausch. Die "Bravo" berichtet darüber und die Staatssicherheit leitet ein Ermittlungsverfahren ein. Ein Freund, Gerd Resag, fliegt von der Oberschule und der Fan-Schuppen wird polizeilich geschlossen. Das alles geschieht im Frühsommer 1961.
Mehrere Bücher und ein Fernsehfilm dokumentieren Michael Gartenschlägers spektakulären Abbau von Todesautomaten und seine Ermordung durch ein Stasi-Mordkommando. Doch Freya Klier erzählt in ihrer Biografie erstmals auch seinen außerordentlichen Weg hin zum kompromisslosen Gegner des DDR-Grenzregimes.
Zum Schlüsselereignis wird der Mauerbau am 13. August 1961. Die Nachricht trifft den Freundeskreis wie ein Schlag. Zu Fünft malen sie Protestlosungen wie "SED - nee!" Als der Berliner Zentralviehhof brennt, kommt ihnen die Idee, eine nahegelegene LPG-Scheune anzuzünden. Der Sachschaden beträgt 50.000 Mark, stellen die Ermittler fest. Schon am 19. August erfolgen die Festnahmen.
Der eiligst vorbereitete "öffentliche" Schauprozess soll abschrecken. Der Staatsanwalt beantragt für Gartenschläger und Resag die Todesstrafe. Nur ihrem jugendlichen Alter verdanken sie "lebenslänglich". Für die drei weiteren Freunde lauten die Urteile 15, zwölf und sechs Jahre Zuchthaus.
Nach "Oskar Brüsewitz - Leben und Tod eines mutigen DDR-Pfarrers" (2006) und "Matthias Domaschk und der Jenaer Widerstand" (2007) gelingt Freya Klier auch mit diesem Band eine packende Biografie. Illustriert und vertieft wird sie durch zahlreiche Fotos, Dokumente und Erinnerungen der Schwester, von Mithäftlingen, der Lebensgefährtin und an den Aktionen Gartenschlägers Beteiligter.
Nach seinem Freikauf im Jahr 1971 auf Intervention von Amnesty International wird Michael Gartenschläger zum Akteur in teils dramatischen Fluchthilfeaktionen, bevor das Risiko zu hoch wird. Ein Jahr hält sich der Wahlhamburger zurück, bis es ihn entsetzt, dass ein erneutes Opfer der Selbstschussanlagen an der DDR-Grenze nur noch eine kurze Zeitungsnotiz wert scheint. Spontan fasst er den Entschluss, der Welt den Unrechtsstaat DDR vorzuführen. Unterstützt durch einen Freund gelingt es ihm im April 1976 zweimal überaus medienwirksam, Todesautomaten abzubauen. Um die SED-Behauptung zu widerlegen, es handele sich um Attrappen, plant er einen dritten Coup mit einer noch scharfen Streuwaffe. Doch das Stasi-Netzwerk West funktioniert und Minister Erich Mielke gibt den Befehl zur Liquidation. Ein Stasi-Killer- kommando liegt ab sofort auf der Lauer, bis es Gartenschläger am 30. April 1976 wenige Meter vor dem Grenzzaun mit Maschinenpistolen-Salven niederstreckt. Bis 1990 wird der Familie die Beerdigung verwehrt, und Gartenschlägers Verbleib wird als "unbekannte Wasserleiche" verwischt.
Der Prozess gegen die einst mit 1.500 Mark prämierten Mordschützen endete am 9. November 1999 mit "Freispruch aus Mangel an Beweisen". Einmal mehr war damit die juristische Aufarbeitung eines politischen SED-Verbrechens gescheitert. Auch das ist ein Fazit der Biografie.
Michael Gartenschläger. Kampf gegen Mauer und Stacheldraht.
Bürgerbüro Berlin, Berlin 2009; 160 S., 9 ¤