Deutsche Einheit
Monika Maron findet nach knapp 30 Jahren wieder den Weg nach Bitterfeld. Statt eines Himmels voller Flugasche entdeckt und lobt sie nun blühende Landschaften
Die Bitterfelder seien "nicht mehr gut auf sie zu sprechen", hat ihr jemand erzählt. Eigentlich erstaunlich. Hat Monika Maron in ihrem Debütroman "Flugasche" doch eindeutig Mitgefühl für die Bewohner und Arbeiter des berüchtigten Chemiestandorts der DDR bewiesen. In einer Stadt geboren worden zu sein, in der Schornsteine "wie Kanonenrohre in den Himmel zielen und ihre Dreckladung Tag für Tag und Nacht für Nacht auf die Stadt schießen", sei ein "Schicksalsschlag", schrieb sie damals. "Wer hat das Recht, Menschen im vorigen Jahrhundert arbeiten zu lassen, weil er synthetische Pullover braucht oder eine bestimmte Art von Fliegentöter?", hieß es, eindeutig für die geschundenen Genossen Partei ergreifend.
Doch nicht wenige Menschen in der einst "dreckigsten Region Europas" hatten sich wohl oder übel damit abgefunden, dass täglich Tausende Tonnen von Kohlenstaub vom Himmel fielen, die Böden und Flüsse verseuchten und ihre Lungen schwärzten. Nur daran erinnert werden, wollten sie nicht. Schon gar nicht von einer Schriftstellerin, die aus dem fernen Ost-Berlin kam und mit deutlichen Worten die Umweltverschmutzung und insgeheim auch deren stille Duldung anprangerte. Und zwar über die Grenzen der DDR hinweg, da ihr Buch 1981 verständlicherweise nur in der Bundesrepublik erscheinen durfte und im Westen nicht nur die Umweltbewegten schockierte. Doch selbst wenn sie es gewollt hätte, das Image dieses Landstrichs wäre schon damals nicht mehr aufzupolieren gewesen. Deswegen tat sie gut daran, zumindest ein paar Wahrheiten unter das Volk zu bringen. Jetzt, wo sich rund um Bitterfeld zahlreiche Firmen mit sauberen Zukunftstechnologien angesiedelt haben und man wieder frei atmen kann, sucht sie nach neuen Wahrheiten.
Ihre gut 170 Seiten starke Reportage liest sich weniger wie eine Wiedergutmachung an den Einwohnern von Bitterfeld, das sich landschaftlich und wirtschaftlich wieder weitgehend erholt hat. Mittlerweile präsentiert sich die Gemeinde in einem Werbeflyer schon als "grüne Industriestadt am See" mit Yachthafen, Badestränden und Landschaftsschutzgebieten. Vom titelgebenden "Bitterfelder Bogen", einer imposanten Aussichtsplattform, können diese Touristenattraktionen schon seit drei Jahren bewundert werden. Weit stärker als vom landschaftlichen zeigte sie sich vom wirtschaftlichen Wandel erstaunt. Insbesondere die Erfolgsgeschichte von Q-Sells, dem weltweit größten konzernunabhängigen Hersteller von Solarzellen, hat es ihr angetan. Ihr neues Buch ist auf weiten Strecken eher ein mit großer Empathie und Sympathie geschriebenes Porträt des Global Players. Wobei sie nicht allein der Idealismus und die Ausdauer des unkonventionellen Unternehmensgründers oder die umweltfreundliche Technik fasziniert. Sie interessieren vor allem die Lebensgeschichten all jener Ostdeutschen, die an diesem Aufstieg teilhatten.
So wie der 46-jährige Uwe Schmorl, der es vom Schlosser in der DDR nach der Wende zum Aufsichtsratmitglied von Q-Sells geschafft hat. Und zwar, weil er sich mit der Region gewandelt hat und all jene Stärken mobilisierte, die im real existierenden Sozialismus nicht gewünscht waren oder nicht abgerufen wurden. Er hat sich nicht darauf verlassen, dass neue Arbeitgeber aus dem Westen die Anlagen einfach modernisierten und die alten Belegschaften weiter beschäftigten. Allerdings blendet Maron bei diesem und anderen Porträts immer wieder jene Generation aus, der 1989/90 eine berufliche Neu- oder Umorientierung weitaus schwerer gefallen sein dürfte als den damals 20- bis 40-Jährigen.
Dennoch hat sie unter anderem für dieses Buch mit Fug und Recht den Nationalpreis erhalten, der all diejenigen Persönlichkeiten ehrt, "die sich um die Vereinigung Deutschlands und das Zusammenwachsen Deutschlands in Europa ... verdient gemacht haben." Mit ihrer neuen Bitterfeld-Reportage möchte sie ganz eindeutig auch anderen Regionen in Ostdeutschland Mutmachen und sie anhand der vorwiegend positiven Beispiele zur erfolgreichen Veränderung animieren. Gerade weil sie sich stets bewusst ist, dass sich nicht nur in Bitterfeld-Wolfen die "depressive Stimmung länger hält, als die Umstände, die sie hervorgerufen haben", kämpft sie dagegen an. Freilich weiß auch sie nicht einleuchtend zu erklären, wieso "im Osten auch Menschen, die weder arbeitslos noch persönlich unzufrieden sind, die Möglichkeiten demokratischer Machtausübung" bezweifeln.
Dass "mehr als die Hälfte der Ostdeutschen der Demokratie nicht zutrauen, die bestehenden Probleme zu lösen", schmälert für sie nicht den Erfolg der Einigung. So kann sie auch Günter Grass' Unkenrufen zum Stand der Deutschen Einheit nichts abgewinnen, die er in seinem Tagebuch aus der Wendezeit notiert und unlängst veröffentlicht hat. Ganz im Gegenteil. Wie in ihrer Rezension für die "Süddeutsche Zeitung" greift sie ihn abermals scharf an. Seiner damaligen und von vielen deutschen Intellektuellen geteilten Utopie "einer eigenständigen, konföderierten DDR" und ihrer wirtschaftlichen Überlebenschancen erteilt sie erneut eine überzeugende Absage. Ob es damals jedoch eine andere staatliche Alternative oder einen anderen Weg zur Einheit hätte geben können, diskutiert sie nicht. Und ob Helmut Kohl das mitteldeutsche Chemiedreieck nur deshalb nicht untergehen ließ, weil er aus einer ähnlichen Gegend stammt, wie Maron mutmaßt, scheint ein wenig realitätsfern. Vielleicht sieht sie die jetzige Entwicklung Bitterfelds und ihrer erfolgreichen Bürger auch zu positiv und übersieht dabei die Befindlichkeiten der weniger erfolgreichen Einwohner. Letztere finden wohl auch in den Fotografien ihres Sohnes kaum Trost, die mit ihrer sanften Melancholie einen eigenartigen Kontrast zu ihren eher optimistischen Beobachtungen darstellen. Doch den Mutlosen ist nicht geholfen, wenn der Klage und Verzweifelung das Wort geredet wird. Bleibt also zu hoffen, dass ihr "Bericht" weitere "umweltfreundliche" Investoren und zahlungskräftige Touristen anlockt. Das schafft neue Arbeitsplätze und vertreibt im besten Falle den Unmut der jetzt noch Verzagten.
S. Fischer Verlag, Frankfurt/M. 2009, 173 S., 18,95 ¤