Er ist 60 geworden, aber so engagiert geblieben wie ein Vierzigjähriger, so belastbar wie ein Dreißigjähriger, so unternehmungslustig wie ein Zwanzigjähriger und so neugierig wie ein Zehnjähriger. Und wie vor 60 Jahren will er jeden Tag die Welt ein bisschen besser machen. Eine Welt, die sich stark verändert hat, in der er aber so wichtig ist wie bei seiner Gründung: Der Petitionsausschuss des Deutschen Bundestages ist so alt wie die Republik und wie sie dank seiner Mitglieder jung geblieben.
Das hat auch damit zu tun, dass der Petitionsausschuss in der abgeordneteninternen Beliebtheitsskala nicht an erster Stelle rangiert. Die Politiker streben in den Auswärtigen Ausschuss, den Innenausschuss, den Haushaltsausschuss – in klassische Aufgabenfelder. Doch diejenigen, die diesen Job annehmen, erkennen schnell, wie wertvoll und wichtig dieses Gremium für ihre eigene Fraktion, für alle anderen Ausschüsse, für den gesamten Bundestag ist. Denn hier erfahren sie als Erste, wo es klemmt in Deutschland. Welche Gesetze funktionieren und wo das Gutgemeinte Schlechtes bewirkt, wo Bundestag und Bundesregierung dringend nachsteuern müssen. Und oft genug reicht schon das Einschalten des Petitionsausschusses, damit Mitarbeiter in der öffentlichen Verwaltung ihre im Einzelfall zu hart ausgefallenen Entscheidungen überprüfen und Bürgern entgegenkommen.
Das Petitionsrecht in Deutschland ist älter als der Bundestag. „Einem jeden steht frei, seine Zweifel, Einwendungen und Bedenklichkeiten gegen Gesetze und andere Anordnungen im Staate … sowohl dem Oberhaupt des Staates als dem Vorgesetzten des Departments anzuzeigen”, hieß es schon 1794 im Allgemeinen Landrecht für die preußischen Staaten. Die Paulskirchenverfassung von 1849 und die Weimarer Verfassung von 1919 führten das Grundrecht auf das Einbringen von Petitionen ein. 1949 entschieden sich die Väter und Mütter des Grundgesetzes für die unmissverständliche Vorgabe: „Jedermann hat das Recht, sich einzeln oder in Gemeinschaft mit anderen schriftlich, mit Bitten oder Beschwerden an die zuständigen Stellen und an die Volksvertretung zu wenden.” Um dem Wirken des Petitionsausschusses noch mehr Nachdruck zu verleihen, erhielt er 1975 Verfassungsrang und gehört seitdem zu den Gremien, die nach jeder Bundestagswahl unbedingt gebildet werden müssen. Weitere Rechte im Umgang mit Behörden kamen hinzu.
„Über den Petitionsausschuss mischen sich Bürgerinnen und Bürger in die Politik ein”, lautet für die Ausschussvorsitzende Kersten Steinke (Die Linke) eine der wichtigsten Erfahrungen. „Hier wird das Grundgesetz konkret.” Ihre persönlichen Wünsche zum 60. Ausschussjubiläum: Dass sie und ihre Kollegen auch weiterhin „mit vollem Elan” an die Arbeit gehen und möglichst noch mehr positive Bescheide für die Petenten erreichen mögen. Und dass sowohl die Bundesregierung als auch der Bundestag die Empfehlungen des Ausschusses noch ernster nehmen sollten. Der Petitionsausschuss kann seine Empfehlungen zwar mit eskalierendem Nachdruck versehen. Aber natürlich kann und will er sich nicht über die Gewaltenteilung hinwegsetzen und an die Stelle der zuständigen Behörden treten. Doch durch Ortsbesichtigungen, öffentliche Sitzungen und das neue Mittel der öffentlichen Petition kann er viele Debatten ins Parlament und in die Regierung bringen und letztlich doch für viel Bewegung sorgen – wie zum Beispiel beim Ende der „Bombodrom”-Pläne, die auf ein Luftwaffenübungsgebiet in der Ruppiner Heide abgezielt hatten und letztlich nach Bürgerprotesten und Unterstützung durch den Petitionsausschuss doch wieder eingestellt wurden.
In den 60 Jahren hat der Ausschuss rund 750.000 Petitionen bearbeitet. Die Abgeordneten stützen sich dabei auf die Vorbereitung und Unterstützung durch den Ausschussdienst mit derzeit 75 Mitarbeitern, die jede einzelne Petition lesen und daraufhin abklopfen, wie dem Petenten geholfen werden kann. Eine zunehmende Bedeutung haben im Internetzeitalter die „E-Petitionen”, die über ein Internetportal eingereicht werden können oder aber öffentlichkeitswirksam zur Mitzeichnung und Mitdiskussion auf der Homepage des Bundestages stehen. Binnen eines Jahres registrierten sich allein für dieses Verfahren rund 500.000 Nutzer, die 56.000 Beiträge zu den rund tausend öffentlichen Petitionen verfassten und sich 900.000 Mal bestimmten Anliegen anschlossen.
Auch der Ausschussdienst hat sich verändert, wie Ausschusssekretär Wolfgang Finger, seit zwölf Jahren mit dem Thema Petitionen vertraut, im persönlichen Vergleich feststellt. „Die Petenten sind kritischer geworden”, und mehr als früher bemühten sich die Mitarbeiter, komplizierte juristische Formulierungen in eine bürgernahe Sprache zu übersetzen. Durch die neuen Medien habe sich die Arbeit auch beschleunigt – was mitunter zu falschen Erwartungen führe. Denn „über Nacht” wird ein Anliegen selten politische Realität. Und manchmal wird auch gar nichts daraus, wie eine Reihe origineller Petitionen deutlich macht. Weder wollte sich das Kanzleramt unter Gerhard Schröder in den „Zigarrenverbrauch” des Kanzlers dreinreden lassen, noch fand sich Widerhall für den Vorschlag, ein „Kanzlermausoleum” für die verstorbenen Amtsinhaber in Form einer gigantischen Pyramidenlandschaft entstehen zu lassen.
Oft genug zeigt sich auch, dass die Petenten ihrer Zeit voraus sind. So gruppierte der Ausschuss 1952 die Eingabe einer „Junggesellin” in die Schublade mit den „etwas merkwürdigen Wünschen”. Bei der Debatte über das Anliegen vermerkte das Protokoll „Heiterkeit” über die sonderbare Bitte. Die Frau hatte schlicht Raucher- und Nichtraucherzonen für Gaststätten vorgeschlagen, weil sie sich durch „die rauchenden Männer” belästigt fühlte. Heute beschäftigt sich der Ausschuss mit den Eingaben von Rauchern, die sich diskriminiert fühlen. So ändern sich die Zeiten, aber der Petitionsausschuss bleibt an der Nahtstelle zwischen Problemen und Politik.
Text: Gregor Mayntz
Erschienen am 17. Dezember
2009
Auf der Internetseite des Bundestages lassen sich öffentliche Petitionen und Einzelpetitionen einreichen, unterstützen und im Forum diskutieren.