Deutschlands oberster Datenschützer Peter Schaar plädiert für eine Kehrtwende im Verhältnis von Datenschutz und innerer Sicherheit und mahnt mehr Zurückhaltung des Staates beim Zugriff auf persönliche Daten der Bürger an.
Blickpunkt Spezial: Es
sind turbulente Zeiten für den Datenschutz. Wann war dies
zuletzt der Fall?
Peter Schaar: Zu Zeiten der
Volkszählung 1983 war das Thema Datenschutz vielleicht noch
stärker als heute in der Diskussion. Es gab Proteste und
Demonstrationen. Ein Ergebnis war bekanntlich das
Volkszählungsurteil des Bundesverfassungsgerichts, das aus der
Verfassung erstmals ein Grundrecht auf informationelle
Selbstbestimmung abgeleitet hat. Pünktlich zum 25.
Jubiläum haben wir jetzt wieder eine heiße Debatte
über Datenschutz, die dem Anliegen nur nützlich sein
kann.
Blickpunkt: Sie sind für
eine Wiederwahl als Bundesbeauftragter vorgeschlagen. Wie verstehen
Sie ihr Amt und wie lautet Ihre Bilanz nach fünf Jahren?
Schaar: Unabhängige
Datenschutzbeauftragte sind wichtig, und natürlich hat der
Bundesbeauftragte eine herausgehobene Stellung. Seine Funktion als
Warner und Mahner wird in der Öffentlichkeit inzwischen
stärker wahrgenommen. Dies zu erreichen, hatte ich mir
vorgenommen. Das ist natürlich auch den Umständen
geschuldet, ich hoffe aber, auch mit meinen Initiativen und meiner
Überzeugungsarbeit dazu beigetragen zu haben. Der Datenschutz
ist heute nicht mehr generell auf der schwächeren Seite. Im
Gegenteil, in den vergangenen Monaten wurde zumindest für den
Bereich der Wirtschaft sogar ein parteiübergreifender Konsens
sichtbar, die Bürgerinnen und Bürger beim Datenschutz
besserzustellen.
Blickpunkt: Ist das Amt des
Bundesbeauftragten politisch richtig verankert?
Schaar: Natürlich könnte
man sich fragen, ob es weitere Schritte in Richtung einer noch
stärkeren Unabhängigkeit des Datenschutzbeauftragten
geben sollte. Die EU-Kommission hat Deutschland wegen mangelnder
Unabhängigkeit der Datenschutzaufsicht in den
Bundesländern vor dem EuGH verklagt. Manche Frage, die sich in
diesem Verfahren stellt, kann man auf den Bund übertragen,
etwa die Rechtsaufsicht der Bundesregierung über den
Bundesbeauftragten oder die Dienstaufsicht seitens des
Bundesinnenministers. Für unsere praktische Arbeit hatte dies
bisher aber keine Bedeutung. Gleichwohl könnte eine
Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs auch Auswirkungen
auf den Bund haben. Denkbar ist zudem, den Datenschutzbeauftragten
beim Bundestag anzusiedeln.
Blickpunkt: Würden Sie
eine Anbindung an das Parlament bevorzugen?
Schaar: Das würde wohl seine
Unabhängigkeit gegenüber der Regierungstätigkeit
stärken, ich bin mir aber nicht sicher, ob dies zu einem
„besseren Datenschutz” führen würde. Auf
jeden Fall muss gewährleistet bleiben, dass der BfDI auch
weiterhin frühzeitig in das Gesetzgebungsverfahren eingebunden
bleibt, auch schon vor einem Kabinettsbeschluss.
Blickpunkt: Im Grundgesetz
steht kein ausdrückliches Grundrecht auf Datenschutz. Reichen
die Urteile des Bundesverfassungsgerichts?
Schaar: Ich befürworte ein
schwarz auf weiß in der Verfassung verbrieftes Grundrecht auf
Datenschutz. Das ist keine symbolische Forderung. In der
Vergangenheit wurde der Datenschutz häufig als Grundrecht
zweiter Klasse gesehen, eben weil er nicht ausdrücklich im
Grundgesetz steht. In die Verfassung übernommen werden sollten
deshalb das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung aus dem
Ver- fassungsgerichtsurteil von 1983 zur Volkszählung und das
Grundrecht auf Vertraulichkeit und Integrität
informatonstechnischer Systeme aus dem Urteil zur heimlichen
Online-Durchsuchung. Wer sich gegen ein verbrieftes
Datenschutzgrundrecht wendet, müsste eigentlich aus denselben
Gründen auch gegen andere Grundrechte, etwa dasjenige auf
Unverletzlichkeit der Wohnung, sein.
Blickpunkt: Der Staat selbst
sammelt große Mengen an Daten. Sind sie in guten
Händen?
Schaar: Ich glaube nicht, dass der
Staat allgemein mit den Daten von Bürgern unvorsichtig umgeht.
Aber er will – aus im Einzelfall durchaus nachvollziehbaren
Gründen – immer mehr über seine Bürger wissen.
Weil der Staat, anders als die Wirtschaft, auf Zwangsmittel
zurückgreifen kann, ist er aber zu besonderer
Zurückhaltung verpflichtet. Diese Zurückhaltung kann ich
im Augenblick nicht überall erkennen.
Blickpunkt: Seit dem 11.
September 2001 wird die „innere Sicherheit”
großge-schrieben, der Datenschutz eher klein. Ist es Zeit
für eine beherzte Kehrtwende, so wie in der
Finanzmarktpolitik?
Schaar: Ein grundlegender Wechsel
der Sichtweise ist nötig. Immer mehr Daten zu sammeln und
auszuwerten, bringt nicht mehr Sicherheit. Es kann aber sehr
schnell zu einem Daten-GAU führen, der das Vertrauen
grundlegend erschüttert – auch auf internationaler
Ebene. Deshalb fordere ich einen sehr viel kritischeren Blick auf
die Möglichkeiten, Daten zu erheben und zu verarbeiten. Ich
trete auch für einen klaren internationalen Rechtsrahmen ein.
Mir leuchtet nicht ein, dass Staaten ihre Finanzmärkte
regulieren und zugleich – ich denke hier besonders an die USA
– beim Umgang mit persönlichen Daten auf möglichst
wenig Regulierung drängen. Guter Schutz ist die Voraussetzung
dafür, dass die Bürger ihre Daten auch preisgeben, ohne
die Angst, dass damit Schindluder getrieben wird. Das gilt für
die Wirtschaft wie für staatliche Stellen.
Blickpunkt: Aber wer sich
gesetzestreu verhält, hat doch nichts zu verbergen.
Schaar: Jeder hat etwas zu
verbergen, weil jeder ein Recht hat, sich privat und ungehindert
mit anderen Menschen aus-zutauschen. Der Staat hat keinen Anspruch
darauf, jeden Schritt seiner Bür-ger zu kontrollieren. Ein
weiteres Problem in diesem Zusammenhang ist die
„Vernachrichtendienstlichung” der Po-lizei. Seit rund
20 Jahren setzt sie immer mehr verdeckte Methoden ein. Darüber
hinaus gibt es einen massiven Austausch von Informationen zwischen
Polizei und Nachrichtendiensten. Dagegen bin ich nicht prinzipiell,
das Ausmaß geht inzwischen aber zu weit.
Blickpunkt: Was lernt der
Datenschützer aus den jüngsten Fällen von
Datenhandel und -missbrauch in der Wirtschaft?
Schaar: Der Bundesbeauftragte lernt
daraus erstens, dass es um die Datenschutzkultur selbst bei einigen
großen Unternehmen nicht so bestellt war oder ist, wie wir
uns das wünschen. Hier ist mehr Kontrolle nötig, und das
bedeutet eine Aufstockung der Mittel bei den
Aufsichtsbehörden. Momentan gilt: Wer Datenschutzregeln
missachtet, geht ein relativ geringes Risiko ein, entdeckt zu
werden, weil die Datenschutzaufsicht schwach ausgestattet ist.
Unterstützung erhoffe ich mir auch aus dem Bundestag im Rahmen
der Haushaltsberatungen. Zweitens: Wenn Daten verloren gehen,
müssen Mechanismen installiert werden, die den Schaden
begrenzen, vor allem eine Informationspflicht über
Datenschutzverletzungen. Drittens dürfen persönliche
Daten für Werbung nur mit Einwilligung der Betroffenen
weitergegeben werden, und es muss für sie nachvollziehbar
sein, woher die Daten stammen. Schließlich müssen
endlich die Voraussetzungen für Datenschutzgütesiegel
geschaffen werden. Deshalb setze ich darauf, dass noch in dieser
Legislaturperiode das Datenschutzauditgesetz beschlossen wird.
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Erschienen am 19. Nobember 2008
Das Gespräch führte Helmut Spörl
Peter Schaar, Jahrgang 1954, wurde am 17. Dezember 2003 vom Bundestag zum Bundesbeauftragten für den Datenschutz (seit 1. Januar 2006 „für den Datenschutz und die Informationsfreiheit”) gewählt. Der Volkswirt war von 1994 bis 2002 stellvertretender Dienststellenleiter des Hamburgischen Datenschutzbeauftragten.
Der Bundesbeauftragte
für den Datenschutz und die Informationsfreiheit:
www.bfdi.bund.de