Rhetorisch brillieren können sie im Nationalrat der Republik Österreich schon lange nicht mehr. Die Geschäftsordnung begrenzt heute die Redezeiten drakonisch – in einem Hause, in dem nicht nur zu Kaisers Zeiten der Filibuster eine Art Sport war. Man redete, schwatzte, faselte Stunden um Stunden, um Abstimmungen, Fristen, Mehrheiten auszuhebeln. Vor knapp 20 Jahren noch verstanden sich die Grünen im Nationalrat darauf – in einem Fall in einer durchaus gewitzten Rede von nahezu elf Stunden.
Im prunkvollen neoklassizistischen Parlamentspalast am Wiener Ring wird die Redezeit heute karg bemessen. Karg ist auch der reale Einfluss der Parlamentarier: Hier herrscht drakonische, mit der netten Formel „Klubzwang” kaschierte Fraktionsdisziplin. Eine Fraktion heißt „Klub”. Und vielleicht hat es damit zu tun, dass argwöhnische Österreicher ihre Abgeordneten oft für privilegierte Müßiggänger halten, im Kontrast zu deren tatsächlichem Riesenpensum. Dennoch – die Eigeninitiativen des Hohen Hauses sind gering: Gesetzesinitiativen, vom Parlament selbst und nicht von der Regierung initiiert, können als Sensation gelten. Zuletzt wurde im Handstreich ohne tiefere Debatte die Legislaturperiode von vier auf fünf Jahre verlängert – im Rahmen eines politischen Alltagshandels der Parteiführungen einer Großen Koalition.
Die manchmal doch bescheidene Rolle des Parlaments mag durch den Zustand des modernen Plenarsaales symbolisiert werden, in den es hineinregnet, wo die Einrichtung der Fünfzigerjahre vor sich hinbröselt. Man lässt ihn nun renovieren. Der alte prunkvolle, aber höchst unbequeme Reichsratssaal dient heute nur mehr feierlichen Staatsakten und Kulturveranstaltungen, die ein neues, sehr aufgeklärtes Parlamentspräsidium anregt und beschirmt.
Österreich scheint irgendwie noch immer dem Parlamentarismus zu misstrauen: Der vom Volk direkt gewählte Bundespräsident, eine Art Wahlkaiser, hat bei der Regierungsbildung das Heft in der Hand. Das Staatsoberhaupt ernennt und vereidigt Kanzler und Minister. Das Parlament hat zunächst buchstäblich nichts damit zu tun, wählt sie nicht, hat erst hinterher das Wort, könnte allenfalls die neue Regierung gleich wieder stürzen. Gerade versucht man, wenigstens die Berufung von Parlamentarischen Untersuchungsausschüssen als Minderheitenrecht durchzusetzen. Es gab ganze Legislaturperioden, ohne dass dieses Kontrollinstrument tätig geworden wäre. Und der Bundesrat? Als Länderkammer wird er nicht von den Landesregierungen, sondern von den Landtagen selbst beschickt. Nur haben im eher folkloristischen Föderalismus Österreichs die Landtage wenig und der Bundesrat gar nichts zu sagen. Entgegen den ursprünglichen Intentionen der Verfassung, die beiden Parlamentskammern sogar strikte Bindungen für die Regierungsmitglieder bei Beschlüssen in der Europapolitik erlaubt. Weder National- noch Bundesräte nutzen je diese großen Rechte. Vielleicht hat das Ganze doch mit einem Klub zu tun.
Text: Michael Frank, Wien
Erschienen am 17. Dezember
2009