südafrika
Die Gewalt gegen Fremde weitet sich aus. Auslöser waren steigende Lebensmittelpreise. Die Ursachen greifen tiefer
Mehrere hundert Männer, Frauen und Kinder drängen sich in der Polizeistation von Alexandra, einem Township Johannesburgs. In den langen Fluren schreien Säuglinge, in den Zellen weinen ihre Mütter, die Väter reden hektisch durcheinander. Völlig überforderte Polizisten versorgen sie in unterschiedlichen Sprachen mit neuen Informationen. Einige sprechen Tsonga, andere Sepedi und wieder andere Portugiesisch. Denn die meisten Menschen hier sind keine Südafrikaner, sie stammen aus den umliegenden Ländern Simbabwe, Mosambik und Malawi oder aus ferneren, von Bürgerkriegen zerrissenen Staaten wie Somalia, Nigeria und der Demokratischen Republik Kongo (DRC). Sie sind nicht auf der Polizeistation, weil sie eine Straftat begangen haben. Sie flüchten, ein zweites Mal.
Denn seit zwei Wochen machen Südafrikaner in den Armenvierteln Hatz auf Zugewanderte. Vereinzelte Übergriffe verdichten sich seit dem 11. Mai zu einer Welle der Gewalt. Gruppen junger Männer ziehen mit Macheten, Revolvern und Eisenstangen durch die Straßen. Sie morden, vergewaltigen, zerstören Häuser und plündern Geschäfte. Vierzehn Jahre nach Ende der Apartheid wird das Land am Kap erneut zum Schauplatz grausamer Szenen. Nur finden die Auseinandersetzungen diesmal zwischen den verschiedenen Bevölkerungsgruppen der Schwarzen statt, die knapp 80 Prozent der südafrikanischen Gesamtbevölkerung ausmachen. Und nicht zwischen Schwarz und Weiß. Vor allem Zulus, die größte einheimische Bevölkerungsgruppe, machen Jagd auf Minderheiten, die nicht ihre Sprache sprechen. Dabei gelten in der Regenbogennation Südafrika offiziell elf Amtssprachen.
"Sie kamen nachts, suchten gezielt nach Ausländern und fanden mich rasend schnell", berichtet Charles Mannyike, "in ihren Augen funkelte blanker Hass, sie wollten mich umbringen." Doch der 28-jährige Mosambikaner konnte in letzter Minute entkommen. Nun bleibt ihm zwar nicht mehr als die Kleidung an seinem Leib, aber er lebt. Maria Mondane, die ebenfalls aus Mosambik stammt, ist erschüttert. "Letzte Nacht kamen die Zulus und sagten, sie wollten uns hier nicht mehr", so die 32-jährige Mutter, die 1992 aus ihrer von einem jahrzehntelangen Bürgerkrieg verwüsteten Heimat in den Südosten von Johannesburg kam. Ob nach den Ausschreitungen noch etwas von ihrem kleinen Second-Hand-Klamottenladen übrig ist, weiß sie nicht. Beide haben große Angst und schauen in eine ungewisse Zukunft.
"In den Armenvierteln entladen sich jahrelange Frustration, Zorn und Neid. Die Schwachen reagieren sich an den noch Schwächeren ab", so Emmanuel Nyakarashi, ein Geistlicher, der sich jetzt um die Versorgung der Flüchtlinge kümmert. "Die Täter werfen den Ausländern vor, ihnen die letzten Jobs zu stehlen und an der hohen Kriminalität im Land schuld zu sein", führt er die Gründe für die Fremdenfeindlichkeit an. In Ramaphosa, einer illegalen Siedlung aus Wellblechhütten, wurden sechs Menschen umgebracht, ein Mann aus Malawi kämpft noch ums Überleben. "Die Ausländer sollen dorthin zurück, wo sie hergekommen sind", fordert Thapelo Mgoqi, der sich als einer der Anführer des Elendsviertels bezeichnet, "die Regierung hat versagt, also mussten wir unser Schicksal selber in die Hand nehmen."
Die schreckliche Bilanz: mehr als 50 Tote, 20.000 Vertriebene und Hunderte zerstörter Unterkünfte und Geschäfte. Die Organisation Ärzte ohne Grenzen warnte, die Stadt Johannesburg steuere auf eine humanitäre Katastrophe zu. Und die Gewaltwelle schwappt auch auf andere Landesteile über. Im 600 Kilometer entfernten Durban kam es zu Zusammenstößen von Südafrikanern und Nigerianern. Auch in Kapstadt und den bevölkerungsreichen Provinzen KwaZulu-Natal und Mpumalanga ist die Lage angespannt.
"Das Ende der Apartheid, der institutionalisierten Rassentrennung und systematischen Unterdrückung der Schwarzen, führte zwar zu einer Verbesserung der Beziehungen zwischen Weiß und Schwarz", so Frans Cronje vom Institut für Rassenbeziehungen. "Der Rassismus der größten einheimischen Bevölkerungsgruppen gegenüber den schwarzen Minderheiten nahm aber rasant zu. Wir sind sehr überrascht und erschüttert, wie schnell in Alexandra und den anderen Townships ein so heftiger Konflikt ausbrechen konnte."
In den Townships herrschen vierzehn Jahre nach Ende der Apartheid weiterhin Armut, Arbeitslosigkeit und Kriminalität. Den Regierungen von Nelson Mandela und Thabo Mbeki gelangen zwar der Durchbruch zur Demokratie, zum Wirtschaftswachstum und ein Ausbau des Sozialstaates. Doch die Arbeitslosenrate liegt bei rund 40 Prozent. Etwa zwei Drittel der Jugendlichen haben derzeit keine Chancen auf einen Job. Jeder zweite Südafrikaner gilt als arm. In den dicht besiedelten Townships sind noch immer nicht alle Haushalte mit fließendem Wasser, Strom und Kanalisation versorgt. Und wer Strom hat, muss seit Dezember mit regelmäßigen Ausfällen leben und massive Preissteigerungen verkraften.
"Die Benzin- und Lebensmittelpreise haben sich in den vergangenen Wochen mehr als verdoppelt", so Emmanuel Nyakarashi, "die Bevölkerung kostet es immer größere Mühe, sich mit dem Lebensnotwendigsten zu versorgen. Dadurch hat sich der Konkurrenzkampf enorm verschärft." Das weltweite Phänomen der Nahrungsmittelknappheit führt in Südafrika zu ersten Aufständen, die sich gegen die Ärmsten der Armen richten. Sie wurden zum Ventil der Unzufriedenheit.
Eigentlich kamen sie, weil Südafrika ihnen noch immer ein wenig mehr bietet als ihre Heimatländer. In Simbabwe, aus dem allein fünf Millionen Einwanderer stammen, herrscht seit Jahrzehnten ein brutaler Diktator, die Inflation liegt bei 1.000.000 Prozent und ein Ende der Misere ist nicht in Sicht. Das benachbarte Mosambik erholt sich nur langsam von einem jahrzehntelangen Bürgerkrieg, in den ländlichen Regionen gibt es weder Schulen noch Arbeit. Und in der Demokratischen Republik Kongo (DRC) terrorisieren Milizen die Menschen.
Südafrika erscheint im Vergleich damit wie ein Paradies. Denn in Johannesburg, Kapstadt und Durban boomt die Wirtschaft, das Land verzeichnet seit Ende der Apartheid ein ununterbrochenes Wirtschaftswachstum von durchschnittlich fünf Prozent. Der Zuschlag für die Austragung der Fußball-Weltmeisterschaft 2010 lässt das Land weltweit als Musterbeispiel für Frieden, Stabilität und Demokratie in Afrika erscheinen. Auch wenn das Bild in den Armenvierteln jetzt anders aussieht.
Die einst vor Menschen und Lebensfreude strotzenden Straßen in Troyeville, einem uralten Teil im Osten Johannesburgs, sind wie leergefegt. Seit der Entdeckung des Goldes im Jahr 1886 kamen Afrikaner aus allen Ecken des Kontinents als Minenarbeiter und machten den Stadtteil zu einem Schmelztiegel der Nationen. Früher waren sie erwünscht, früher wurden sie gebraucht. Mosambikaner, Angolaner und Angehörige der unterschiedlichen Bevölkerungsgruppen der Region lebten friedlich miteinander. Doch jetzt sind die Geschäfte verbarrikadiert, der Wind pfeift durch die grauen Straßen, es herrscht Stille. Mehr als 2.000 Menschen haben sich auch hier in die nächstgelegene Polizeistation geflüchtet. Dort harren sie nun der Lage, eingeschüchtert, schockiert, enttäuscht.
Die Regierung hat das Militär in die Townships entsandt, um die Polizei zu unterstützen und die Lage zu befrieden. Die Polizei nahm bislang mehr als 500 Tatverdächtige fest und versprach den Opfern auf eine Überprüfung ihrer Aufenthaltsgenehmigungen zu verzichten. Regierungssprecher Themba Maseko verurteilte die Aggressionen scharf: "Kein Elend, keine Unzufriedenheit der Welt können diese Gewalt rechtfertigen." Im Gegensatz zu vielen anderen afrikanischen Konflikten wurde die Gewalt hier nicht zentral orchestriert, organisiert oder politisch ausgenutzt. Alle politischen Parteien sprachen sich gegen die Übergriffe aus und riefen zur Toleranz auf, die sich auch ökonomisch für das Land rechnet. Denn durch den Konsum erhöhen die Einwanderer die Nachfrage, südafrikanische Produkte profitieren von ihrem guten Ruf auf den ausländischen Märkten und der Tourismus boomt bislang.
Nun muss sich das Land um sein Regenbogen-Image sorgen und dringend seine Einwanderungs- und Sozialpolitik überdenken, um die Ursachen für den Fremdenhass zu beheben. Glücklicherweise verfügt Südafrika in diesem Jahr über einen Haushaltsüberschuss in Millionenhöhe. Experten fordern nun, einen Teil des Geldes für die sofortige Verbesserung der Lebensverhältnisse in den Townships zu verwenden und die Konkurrenz um die Grundversorgung zu entschärfen. Die Regierung muss schneller für mehr Chancengleichheit, Aufstiegsmöglichkeiten und Wohlstand sorgen und sich auch kontinental um mehr Stabilität, Frieden und Gerechtigkeit bemühen. Die Probleme in Südafrika sind nicht andere als in Brasilien, auf den Philippinen oder in Nigeria. Aus den Unruhen in Johannesburg sollte die ganze Welt lernen.