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Der Norden und der Süden streiten um Öl
Im Sudan sind wieder einmal Zehntausende von Menschen auf der Flucht - dieses mal nicht in Darfur, sondern an der innerstaatlichen Grenzlinie zwischen dem Norden und dem Süden des geschundenen Landes. Für viele der bis zu 50.000 Menschen aus der in diesem Gebiet gelegenen Stadt Abjej weckt die hastige Flucht der letzten Tage Erinnerungen an die Jahre des blutigen Bürgerkrieges. Viele hatten erst in den vergangenen ein bis zwei Jahren die Flüchtlingslager verlassen und nach dem Friedensabkommen des Jahres 2005, das dem Süden eine Teilautonomie bescherte, auf einen Neuanfang gehofft. Die Zusammenstöße zwischen den sudanesischen Streitkräften (SAF) und den Ex-Rebellen der sudanesischen Volksbefreiungsarmee (SPLA) haben diese Hoffnungen zerstört. Mit seinen Ölfeldern und dem von zerstrittenen Nomadenclans aus Nord und Süd genutzten Weideland weckt die Region Begehrlichkeiten auf beiden Seiten.
Friedvolle Zeiten waren und sind für die meisten Menschen des Landes die Ausnahme. Seit der Unabhängigkeit im Jahr 1956 war der Sudan nur elf Jahre von gewaltsamen Konflikten verschont. In dem Streit zwischen arabischstämmigen Moslems im Norden und der schwarzafrikanischen animistisch-christlichen Bevölkerung des Südens ging es um Macht, Zugang zu Rohstoffen, Religion und den Einfluss der verschiedenen ethnischen Gruppen. Der 1983 begonnene und 21 Jahre dauernde Bürgerkrieg gehörte zu den blutigsten in Afrika. Mehr als zwei Millionen Menschen wurden getötet, mehr als 4,5 Millionen in die Flucht getrieben.
Über den Status von Abjej und seiner Ölfelder soll 2011 in einer Volksabstimmung entschieden werden. Die Friedensvereinbarungen sehen vor, dass die Einkünfte aus den Ölquellen zwischen Nord und Süd geteilt werden und das Weideland Nomaden von beiden Seiten der Grenze zu gleichen Teilen zur Verfügung steht. Doch das Misstrauen ist groß. Seit den erneuten Schusswechseln, bei denen in der vergangenen Woche mehrere Hundert Menschen getötet worden sein sollen, und der Fluchtwelle aus Abjej mangelt es nicht an gegenseitigen Schuldzuweisungen. Salva Kir Mayardit, der Präsident des Südsudans, warf der SAF "Verbrechen gegen die Menschlichkei" vor. Sie habe den Konflikt eskalieren lassen, weil sie sich geweigert habe, ihre Truppen aus Abjej zurückzuziehen. Ein SAF-Sprecher wiederum sah in der Anwesenheit von SPLA-Soldaten in Abjej einen Verstoß gegen das Friedensabkommen. Für die Zivilbevölkerung bleiben Unsicherheit und Angst. "Die Zahl der Flüchtlinge, Toten und Verletzten in Abjej ist derzeit höher als in Darfur. Das darf nicht akzeptiert werden", warnte der US-Diplomat Alberto Fernandez vor wenigen Tagen.