EU-PRÄSIDENTSCHAFT
Seit 1. Januar steht Tschechien an der Spitze der Union. Dabei sorgt nicht nur ein Kunstwerk für Ärger
Ein inzwischen aus der Mode gekommenes tschechisches Sprichwort lautet sinngemäß: "Herr Schwejk sprach eben - wieder mal daneben." Doch die tschechische Regierung scheint es für ihre erste, zu Neujahr gestartete EU-Ratspräsidentschaft wieder zu beleben. Nach drei Wochen Amtszeit lässt sich mit Pleiten, Pech und Pannen schon ein kleines Anekdotenbüchlein füllen.
Zuletzt sorgte Premierminister Mirek Topolánek für Aufregung, als er am 14. Januar im EU-Parlament das Programm für das erste Halbjahr 2009 vorstellte. "Der tschechischen Ratspräsidentschaft obliegt es, die Debatte mit Irland über das Schicksal des Lissabon-Vertrages fortzusetzen." Das müsse sensibel und mit Respekt vor der Souveränität der irischen Bürger geschehen. "Nebenbei gesagt: Wenn es in der Tschechischen Republik ein Referendum darüber gäbe, würde allen Anzeichen nach auch keine Mehrheit zustande kommen", erklärte der amtierende EU-Ratspräsident.
Empörte Reaktionen der Abgeordneten erntete der Ratspräsident aber, als er später in der Debatte sagte: "Der Lissabon-Vertrag ist etwas schlechter als der Nizza-Vertrag, aber etwas besser als der nächste Vertrag." Der CDU-Abgeordnete Elmar Brok, der seinen Ohren nicht traute, vermutete einen Übersetzungsfehler und forderte Topolánek auf, die deutsche Fassung des Debattenprotokolls entsprechend zu korrigieren. Doch am Dolmetscher lag es nicht. Er habe einen Scherz gemacht, erläuterte Topolanek gut gelaunt.
Einen Tag später äußerte Tschechiens Europaminister Alexandr Vondra in der Eingangshalle des Ratsgebäudes die Hoffnung, man werde in den kommenden sechs Monaten miteinander lachen, nicht übereinander. Er hatte kurz zuvor erfahren, dass der tschechische Installationskünstler David Cerny bei seiner Auftragsarbeit fürs tschechische EU-Halbjahr ebenfalls viel Humor bewiesen hatte. Cerny sollte sich mit 26 Künstlerkollegen aus den anderen Mitgliedstaaten zusammentun und ein Kunstobjekt zustande bringen, das die mit Glas überspannte Halle bis Ende Juni schmücken soll.
Doch auch Cerny hatte sich, wie sein Premierminister, für die Ausdrucksform der Schwejkjade entschieden. Er hatte die 26 Künstler erfunden, den Katalog als perfekte Persiflage des überdrehten Kunstbetriebs gestaltet und bei der Konzeption der fiktiven Länderbeiträge mit Klischees nicht gegeizt. Alle bekommen ihr Fett ab. In den Landesumrissen Tschechiens laufen EU-feindliche Sprüche des tschechischen Staatspräsidenten Vaclav Klaus über ein elektronisches Laufband. Deutschland zeigt sich als blinkendes Gewirr von Autobahnen, das manchen Betrachter an ein Hakenkreuz erinnert. Schweden ist ein IKEA-Paket.
Bei der Präsentation des Fiberglas-Reliefs ließen sich viele Betrachter in Brüssel zu ganz undiplomatischen Emotionen hinreißen. Von Buhrufen bis zu jubelnder Begeisterung reichte das Spektrum. Doch seiner Regierung hat Cerny neue diplomatische Scherereien beschert. Bulgarische Diplomaten intervenierten an höchster Stelle und erreichten, dass die Darstellung ihres Landes in Form eines Stehklos am 20. Januar zugehängt wurde. Inzwischen hat sich im Internet eine Initiative bulgarischer Künstler gebildet, die wiederum diese Zensur sehr scharf kritisiert.
Doch im Anekdotenbüchlein stehen inzwischen nicht nur innereuropäische Petitessen, sondern auch außenpolitisch läuft es nicht rund. Den Anfang machte Prags Außenminister Karel Schwarzenberg, als er Ende Dezember im tschechischen Fernsehen Israels Vorgehen im Gaza-Streifen als "Akt der Selbstverteidigung" bezeichnete. Zu dem Zeitpunkt sprach er zwar noch nicht für die gesamte EU. Von einer neuen EU-Ratspräsidentschaft wird jedoch erwartet, dass sie sich bei außenpolitischen Fragen möglichst neutral äußert. Um befürchtete diplomatische Patzer der Tschechen zu verhindern oder abzufedern, drängen sich bei wichtigen außenpolitischen Anlässen inzwischen immer mehr Europäer um den Tisch.
So trafen sich am 21. Januar alle EU-Außenminister in Brüssel mit ihrer israelischen Amtskollegin Zipi Livni, um über einen Ausweg aus der Krise im Nahen Osten zu beraten. Dabei kündigte Livni an, die Grenze zum Gaza-Streifen für humanitäre Hilfe zu öffnen. Im Gegenzug wollen die Europäer wieder Beobachter an den Grenzübergang zu Ägypten entsenden. Damit soll der Waffenschmuggel über den Grenzübergang Rafah in den Gaza-Streifen eingedämmt werden. Am 14. Januar hatte Außenminister Schwarzenberg vor dem Europaparlament die Bereitschaft der EU erklärt, das Mandat der Europäischen Grenzmission "in Umfang und Inhalt zu erweitern".
Gleich in der ersten Januarwoche hatte die neue tschechische Ratspräsidentschaft eine Friedensmission in den Nahen Osten geplant. Sie sollte eigentlich aus dem üblichen Trio bestehen: Der tschechische Außenminister Karel Schwarzenberg als Ratsvertreter, Benita Ferrero-Waldner für die EU-Kommission und der außenpolitische Sprecher Javier Solana sollten der Delegation angehören. Kurz vor Beginn der Reise wurde die Gruppe um zwei weitere Außenminister erweitert: Frankreich, das bis zum 31. Dezember den EU-Vorsitz führte, schickt Bernard Kouchner mit und Schweden, das vom 1. Juli an die europäischen Geschäfte leiten wird, setzte Carl Bildt auf die Delegiertenliste. Im diplomatischen Geschäft steigt der Einfluss einer Delegation keineswegs mit der Anzahl ihrer Mitglieder - im Gegenteil. Einige Beobachter in Brüssel folgerten daraus, dass sich auf das tschechisches Engagement allein niemand verlassen wollte.
Frankreichs Präsident Nicholas Sarkozy hält sich auch nach Ablauf seiner Amtszeit als EU-Ratspräsident ohnehin für so unentbehrlich, dass er parallel zur EU-Delegation und ohne europäisches Mandat in der ersten Januarwoche ebenfalls den Nahen Osten bereiste, um zu vermitteln. "Offen gesagt, wer könnte mir einen Vorwurf machen, weil ich alles versuche, um so viel Leid zu beenden?" fragte er in einem Interview mit libanesischen Zeitungen. Das wird nicht seine letzte eigenmächtige Initiative gewesen sein. Denn Tschechien zeigt wenig Neigung, sich der drängendsten europäischen Probleme anzunehmen.
Als sich Anfang Januar der ukrainische Präsident mit der Bitte an seinen tschechischen Amtskollegen wandte, im Gasstreit mit Russland zu vermitteln, winkte der ab. Es handle sich um ein bilaterales Problem, ließ die tschechische EU-Präsidentschaft anfangs erklären, bevor sie sich dann doch in die Verhandlungen einschaltete. Und das, obwohl Tschechien das Thema Energiesicherheit ganz oben auf seine politische Agenda der kommenden fünf Monate gesetzt hat.
Bei seinem ersten Auftritt am 14. Januar im Plenum des Europaparlaments musste sich Ratspräsident Topolánek einige bissige Fragen gefallen lassen. "Wenn Sie die Handlungsfähigkeit der EU wirklich erhöhen wollen, warum haben Sie dann die Unterzeichnung des Lissabon-Vertrags in Ihrem Land ein weiteres Mal verschoben?", fragte der liberale Fraktionsführer Graham Watson. Und er wollte wissen: "Wenn Sie die Verbreitung von Waffen verhindern wollen, warum bauen Sie dann ein Raketenabwehrsystem auf europäischem Boden? Und wenn Sie Frieden im Nahen Osten erreichen wollen, warum lassen Sie zu, dass sich Europa durch so viele unterschiedliche Friedensmissionen lächerlich macht?"
Der gereizte Ton der Abgeordneten ist verständlich. Anfang Juni werden Europas Bürger an die Urnen gerufen - 30 Jahre nach der ersten Direktwahl zum siebten Mal. Wenn die EU bis dahin vor allem negative Schlagzeilen produziert, wird befürchtet, dass die Wahlbeteiligung weiter in den Keller rutscht. Das mindert die Legitimierung der - wie so oft betont wird - einzig demokratisch gewählten europäischen Institution. Statt, wie ursprünglich geplant, auf der Grundlage eines neuen, demokratischeren EU-Vertrags an den Start zu gehen, müssen die Abgeordneten ihre Mobilisierungskampagne aus der Defensive heraus starten.
Neben Irland blockiert ausgerechnet Tschechien die Reform. Vermutlich soll das tschechische Parlament am 3. Februar über den Lissabon-Vertrag abstimmen. Doch Regierungschef Mirek Topolánek von der Demokratischen Bürgerpartei ODS verfügt mit seiner Koalition aus Christdemokraten und Grünen nur über eine hauchdünne Mehrheit. Für den Lissabon-Vertrag aber ist eine Zustimmung von drei Fünfteln in beiden Parlamentskammern erforderlich.
Oppositionsführer Jirí Paroubek von der sozialdemokratischen CSSD will nur zustimmen, wenn sich die Regierung von ihren Plänen verabschiedet, einen US-Raketenabwehrschirm auf ihrem Territorium zu genehmigen. Topolánek möchte ihn unbedingt durchsetzen, obwohl noch nicht einmal sicher ist, dass der neue US-Präsident Barack Obama die entsprechenden Pläne seines Vorgängers umsetzen wird. Vielleicht wird demnächst Gelegenheit sein, ihn selbst dazu zu befragen.
Die Tschechen möchten Obama anlässlich des nächsten EU-USA-Gipfels gerne auf der Prager Burg empfangen. Eigentlich ist Washington als Gastgeber für das jährliche Treffen an der Reihe. Doch in Prag träumt man davon, den neuen US-Präsidenten im Kreis der 27 europäischen Regierungschefs auf tschechischem Boden zu empfangen. Dann könnte sich Barack Obama gleich daran gewöhnen, dass die europäische Außenpolitik derzeit wieder recht viele Gesichter zu haben scheint.