NAHOST-POLITIK
Für US-Präsident Barack Obama haben Friedensverhandlungen wieder oberste Priorität
Gebannt lauschte die Welt der Antrittsrede des 44. US-Präsidenten Barack Obama am 20. Januar. Nur im Nahen Osten wartete man an diesem Tag vergeblich auf ein kleines Anzeichen, wie sie denn nun aussehen sollen, die "neuen Ideen" für Friedensverhandlungen, die Obama nach seiner Wahl angekündigt hatte. Am nächsten Tag jedoch schon führte Obama seine ersten Telefonate aus dem "Oval Office" des Weißen Hauses mit Israels Premier Ehud Olmert und dem palästinensischen Präsidenten Machmud Abbas. Am zweiten Tag ernannte er mit dem höchst erfahrenen ehemaligen US-Senator George Mitchell einen neuen Sondergesandten für den Nahen Osten. Mitchell hatte schon unter Bill Clinton einen Nahost-Bericht verfasst und darin Israelis wie Palästinenser zu Zugeständnissen aufgefordert.
Nicht nur die Ernennung Mitchells bedeutet alt vertrautes Personal: Obamas Außenministerin heißt Hillary Clinton. Niemand dürfte über die Fährnisse von Nahost-Verhandlungen besser Bescheid wissen als die Ehefrau Bill Clintons, der bis zum letzten Moment seiner zweiten Amtszeit als US-Präsident im Januar 2001 alles unternahm, um ein Friedensabkommen zwischen Israelis und Palästinensern zustande zu bringen. Und niemand ist im Nahost-Geschäft so erfahren wie die ehemaligen Clinton-Berater Martin Indyk oder Dennis Ross, deren Expertise von Präsident Obama bereits eingeholt wurde.
"Camp David Revisited" - so könnte man den neuen, eigentlich sehr simplen Ansatz der amerikanischen Nahostpolitik umschreiben. Es gilt, die Mängel des alten Ansatzes unter Bill Clinton zu begreifen, die neue Situation im Nahen Osten genau zu analysieren und die Konsequenzen daraus zu ziehen. Der ursprüngliche Ansatz der Osloer Abkommen war: Israelis und Palästinenser sollten mit Hilfe "vertrauensbildender Maßnahmen" einander annähern. Die schwierigen Elemente wie die Räumung von Siedlungen, die Teilung Jerusalems oder das Rückkehrrecht palästinensischer Flüchtlinge sollte auf Grundlage dieses schrittweise gebildeten Vertrauens gelöst werden. Wäre der "Kernkonflikt" des Nahen Ostens gelöst, ließen sich auch die "Schurkenstaaten" Syrien und Iran entweder isolieren oder einbinden.
Nur stellte sich dieses Vertrauen nicht ein, weil PLO-Chef Jassir Arafat die Extremisten in seinen Reihen nicht bekämpfte, Israel den Siedlungsbau fortsetzte, die amerikanische Regierung eher mit dem Zuckerbrot lockte als mit der Peitsche drohte - und die stufenweise Verhandlungsstrategie den Extremisten reichlich Gelegenheit gab, jeglichen Fortschritt zu unterminieren.
Seit dem Scheitern von Camp David haben sich die Verhältnisse grundlegend geändert. Hamas ist keine Außenseitergruppierung mehr, deren Bekämpfung man getrost einem ohnehin geschwächten palästinensischen Präsidenten überlassen kann. Sie wurde zu einer politischen Kraft, die man nicht ignorieren kann.
Der Iran, Hauptsponsor der extremistischen Gruppierungen, arbeitet wahrscheinlich mit Hochdruck an einem Atomwaffenprogramm. Sollte Teheran damit Erfolg haben, würden sich die Machtverhältnisse im Nahen Osten grundlegend ändern. Weder Israel kann einen atomar bewaffneten Iran akzeptieren, der offen mit der Vernichtung des jüdischen Staates droht. Noch - und das ist ein neuer, viel versprechender Ausgangspunkt - die arabisch-sunnitischen Staaten, die keine Vormacht des schiitisch-persischen Iran dulden möchten. Sie haben begriffen, dass ihr größter Feind nicht mehr Israel ist, sondern die schiitische Theokratie, die darüber hinaus mit ihrer Unterstützung für die Islamisten der gesamten Region auch die arabischen Regimes zu unterminieren droht. Die Konsequenzen für eine kluge Nahostpolitik sind klar: Bevor überhaupt an eine israelisch-palästinensische Zweistaatenlösung zu denken ist, muss eine Einigung stattfinden zwischen der Fatah, die in der West Bank regiert, und der Hamas, die den Gazastreifen kontrolliert. Danach wird der alte Ansatz auf den Kopf gestellt. Jetzt gilt es, zuerst das Störpotenzial anderer auszuschalten, um einen Ausgleich zwischen Israelis und Palästinensern herbeizuführen. Die Türkei vermittelte bereits Gespräche zwischen Damaskus und Jerusalem.
Sämtliche israelische Premierminister seit Itzchak Rabin signalisierten, dass sie zu einem Rückzug von den 1967 besetzten Golanhöhen bereit seien. Und Syrien möchte sich offensichtlich lieber den sunnitischen Staaten anschließen, als in der iranischen Umklammerung zu verharren. Hier ist vor allem eine klare Ermutigung durch die USA gefordert. Unter Präsident Obama wären auch direkte Verhandlungen mit dem Iran denkbar, die vor allem ein Ziel hätten: ein Atomprogramm und die iranische Unterstützung von Extremisten zu stoppen. Sollten Gespräche nicht ausreichen, schrieb Nahost-Berater Martin Indyk kürzlich in der Zeitschrift "Foreign Affairs", dann müssten tatsächlich stärkere wirtschaftliche Sanktionen in den Vordergrund treten - und selbst die Option eines Militärschlags wäre dann nicht vom Tisch. Hier werden die Prioritäten der Regierung George W. Bushs auf den Kopf gestellt. Jetzt gilt es, erst zu reden, dann entschieden zu handeln. "Es ist nicht einzusehen, ja geradezu fahrlässig, dass wir nicht mit Syrien und dem Iran sprechen", bemerkte der ehemalige Präsidentschaftskandidat der Demokraten, John Kerry, bei der Senatsanhörung der neuen Außenministerin Clinton. Die nickte zustimmend.