WELTMARKT
Eigentlich sollen die Entwicklungsländer an einem fairen Wettbewerb beteiligt werden. Doch in der globalen Handelspolitik konterkarieren die Industrieländer ihre eigene Entwicklungspolitik
Die Bilanz ist vernichtend: Obwohl sie zunehmend in die Weltwirtschaft eingebunden sind, fristen die am wenigsten entwickelten Länder der Welt (LDC) - etwa Bhutan, Uganda oder Afghanistan -, weiter ein Randdasein im globalen Handel. Das achte Milleniumsziel, das unter anderem darauf abzielt, ein nicht diskriminierendes Handelssystem aufzubauen, bleibt unerfüllt. Wohl haben die etwa 50 LDC-Länder den Wert ihrer Exporte seit 2003 verdoppelt - doch nur dank gestiegener Rohstoffpreise. Produkte aus heimischer Verarbeitung, die im globalen Wettbewerb bestehen können, machen gerade einmal 22 Prozent ihrer Ausfuhren aus und einen verschwindend geringen Anteil am Welthandel. Der stagniert bei 0,2 Prozent. Zahlen wie diese legen nahe, dass allein auf offene Märkte angelegte Entwicklungskonzepte fehlschlagen. Entscheidend scheint nicht das "Ob", sondern das "Wie". Ökonomische Modelle zeigen, dass eine handelspolitische Öffnung der Weltmärkte Wohlstand schafft: Weltweit bis zu 150 Milliarden US-Dollar Gewinn verspricht der Abbau von Protektionismus.
Doch die Schieflage zwischen Verlierern und Gewinnern ist groß. In der globalen Handelspolitik konterkarieren die Industrieländer ihre eigene Entwicklungspolitik. In vielen Entwicklungsländern sind zudem fehlgeleitete Investitionen oder fehlende Anreize das hausgemachte Hemmnis Nummer eins. Wird die innere Entwicklung verschlafen, können auch offene Märkte nichts retten. In Burkina Faso etwa wachsen Cashewbäume auf 30.000 Hektar, die 50.000 Tonnen Nüsse produzieren können. Doch nur unregelmäßig kaufen Zwischenhändler aus der Elfenbeinküste und Ghana die Rohnüsse zu niedrigem Preis und verschiffen sie zum Trocknen in Spezialöfen nach Indien, von wo sie als "First class cashew of India" ausgeliefert werden. Wegen der marginalen Beteiligung an der Wertschöpfung verschwinden in der heimischen Wirtschaft hunderttausende Arbeitsplätze, obwohl die Nachfrage nach der Nuss jährlich um fünf Prozent steigt. Das Verarbeitungsland Vietnam ist hingegen dabei, seine Armut durch das Wachstum kleiner Industriebetriebe deutlich zu verringern.
Projekte für Cashew- und Kakaoernten, die in den Aufbau von Wertschöpfungsketten vom Kleinbauern zum Einzelhandelskunden investieren, belegen, dass es anders geht. Experten analysieren mit den Regierungen das Investitionsklima und zeigen Handelsbarrieren auf. So soll die Wettbewerbsfähigkeit gesteigert werden. "Die Analyse, wie man sich in der Globalisierung als Glied einer Kette aufstellen kann, um Anschluss zu finden, ist ein erfolgreicher Ansatz", sagt die Handelsexpertin der Gesellschaft für technische Zusammenarbeit (GTZ), Regine Qualmann. "Es geht nicht darum, der 37.000ste Honigproduzent zu sein, sondern zu sehen: Was können wir, wo ist auf Dauer ein Markt für uns, wie kommen wir dahin", erläutert sie.
Schnell stoßen solche Ansätze aber an Grenzen, wenn beispielsweise philippinischer Milchfisch auf geschützte Märkte kommt. Die Agrarsubventionen der USA und EU sind ein Riesenproblem. "Da können wir noch so viele Wertschöpfungsketten fördern, wir bekommen keine gleichen Spielregeln", klagt Qualmann. Das Auslaufen der Subventionen bis 2013 soll die Preisnachteile armer Länder aus hohen Transaktions- und Transportkosten lindern. Das Vorhaben der sogenannten Welthandelsrunde Doha (siehe Kasten) hängt vom Gesamtabschluss ab, der in der Weltwirtschaftskrise erst recht in weite Ferne rückt.
Überhaupt: Die Doha-Vorschläge, die auf dem Tisch liegen, bedeuten für viele ein Scheitern der Entwicklungspolitik. Die Doha-Runde ist zu einer Marktöffnungsrunde verkommen, es fehlt die Kohärenz: Je mehr ein Land als potenzieller Wettbewerber gesehen wird, desto mehr werden entwicklungspolitische Belange verdrängt.
Während Doha auf der Stelle tritt, verfolgt die EU den Freihandel - in Partnerschaftsabkommen (EPA) mit Afrika, der Karibik und dem Pazifik (AKP) sowie mit Indien, Südkorea, Zentralamerika und dem Staatenbund Asean. Für die EPA lässt Entwicklungsministerin Wieczorek-Zeul (SPD) gerade prüfen, ob wegen der Wirtschaftskrise nachgearbeitet werden muss.
Der Streit zwischen EU und Indien, dessen Pro-Kopf-Einkommen dem des Sudan entspricht, illustriert die Schieflage. Indien lehnt ein Freihandelsabkommen ab, das auf gegenseitiger Marktöffnung basiert. Die EU aber sieht einen wichtigen Absatzmarkt, sie will von der Konsumfreude der wachsenden Mittelschicht profitieren.
Die Entwicklungsländer brauchen jedoch einen Zollschutz, um Raum zu haben, Produktionsmittel aufzubauen. Privates Kapital reicht nicht aus. Wenn billige Massenprodukte den Markt überschwemmen, ist schnell die Existenzgrundlage der Kleinbauern bedroht - durch europäisches Tomatenmark oder US-Mais in Ghana. "Schutz ist zudem nicht nur für Rohstoffe notwendig, sondern für die ganze Verarbeitungskette", betont Marita Wiggerthale von der Hilfsorganisation Oxfam. Aber bei den Verhandlungen der Welthandelsorganisation (WTO) in Genf wurden keine Lehren aus der Krise gezogen. Stattdessen regiert das Prinzip des offenen Marktes mit ungerecht verteilten Klauseln zum Schutz gegen Überflutungen.
Ebenso kritisch, wenn nicht kritischer, bewerten Entwicklungsexperten die Bestrebungen, den Welthandel mit Industriegütern weiter zu liberalisieren. Dabei wird Entwicklungsländern ein geringerer Schutz ihrer heimischen Produktion vor billigerer Importware zugestanden als Industrieländern. Zölle sollen weltweit "harmonisiert" werden, während die Wohlstandsstufen stark auseinanderklaffen. Die Industrieländer verlangen für sich freie Märkte für Anlagen, Maschinen oder Autos. Allerdings hat das Beispiel der asiatischen Tigerstaaten gezeigt, dass Entwicklungsländer sich nur mit schützenden Importzöllen von 30 bis 35 Prozent industriell überhaupt entwickeln konnten. "Wir werden den Schaden nicht kitten können, den die Doha-Runde hinterlässt", sagt GTZ-Expertin Qualmann und fügt hinzu: "Aber es ist gut, dass eine Verhandlungskultur entstanden ist." Auch die Industrieländerorganisation OECD und die WTO heben in einer neuen Bilanz die vier Milliarden US-Dollar schwere Initiative "Aid for Trade" als positiv hervor. Sie begrüßen, dass sich in Entwicklungsländern öfter als früher Handels-, Agrar- und Industrieminister an einen Tisch setzen. Bisher hoben Programme zur Armutsreduzierung nur selten auf Handel als Motor der Entwicklung ab. Jetzt heißt es: Investieren in Infrastruktur, Produktivität, Agrartechnologie. Noch sind die Helfer aber schlecht koordiniert. Am Empfängerende verbauen oft verflochtene Interessen von Politik und Geschäftswelt neue Wege. Und die Frage nach dem ungerechten Handelssystem wird in bewährtem Kästchendenken ausgespart. Vielleicht könnte sie WTO-Chef Pascal Lamy beantworten, der sich symbolträchig an die Spitze der Bewegung gesetzt hat - indem er den Entwicklungsländern besser zuhört.
Marina Zapf ist Redakteurin der "Financial Times Deutschland".